Bottrop. Knapp drei Jahren nach dem Ende des Kohleabbaus verfüllt die RAG ihre letzten Schächte in Bottrop. Für Steiger Jakubeit wieder ein schwerer Tag.

Von da unten, aus mehr als 1000 Metern Tiefe, holten Kumpel vor bald drei Jahren das letzte Stück Steinkohle nach oben, das in Deutschland gefördert wurde. Unvergessen, wie der bitterlich weinende Bergmann Jürgen Jakubeit den mit dem Hammer gehauenen Brocken am 21. Dezember 2018 dem Bundespräsidenten reichte. „Das ist ein Stück Geschichte, das ich hier in den Händen halte“, sagte Frank-Walter Steinmeier.

Seit Donnerstag gibt es tatsächlich kein Zurück mehr: Die RAG hat mit der Verfüllung der letzten Schächte auf Prosper Haniel in Bottrop begonnen. Dem inzwischen wohlpräpariert im Schloss Bellevue residierenden sieben Kilo starken Stück wird kein weiteres folgen. Und wie immer, wenn wieder etwas endgültig geworden ist auf der Vorzeigezeche des Ruhrgebiets, kommt Prominenz und betont die historische Schwere.

Zwei Monate lang fließt Beton in den Schacht

Die hat der dickliche graue Brei ganz sicher: Erst war Schicht im Schacht, jetzt kommt Beton rein, „bis zur Grasnarbe“, wie Michael Drobniewski betont, Chef der Wasserhaltung bei der RAG. Er selbst ist hier vor Jahrzehnten zum ersten Mal eingefahren, entsprechend „komisch“ sei ihm zumute. Zwei Monate lang rund um die Uhr wird Betont gemischt und gepumpt, in Schacht 2 direkt neben der Mischanlage über einen Schlauch, in Schacht 1 über ein Förderband. Dann ist der Deckel drauf.

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„Feddich?“, fragt RAG-Chef Peter Schrimpf - dann drückt er mit Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler und drei Bergleuten, die vor drei Jahren noch unten waren, den roten Knopf, der das Band in Bewegung setzt. Jürgen Jakubeit ist einer von ihnen. Ihm fällt das Lächeln für die Fotografen deutlich schwerer als den anderen, es quält ihn sichtbar. „Ich hätte lieber nicht gedrückt“, verrät er anschließend, „jetzt kann hier nie wieder ein Mensch einfahren.“

Den roten Knopf mag Steiger Jürgen Jakubeit nicht so gerne drücken, die Hand drauf haben Michael Drobniewski, OB Bernd Tischler und RAG-Chef Peter Schrimpf (v.l.).
Den roten Knopf mag Steiger Jürgen Jakubeit nicht so gerne drücken, die Hand drauf haben Michael Drobniewski, OB Bernd Tischler und RAG-Chef Peter Schrimpf (v.l.). © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Jakubeit, mit 52 Jahren im Vorruhestand, muss nicht sagen, dass er „Bergmann aus Leidenschaft“ war. Das verraten nicht nur seine Gesichtsmuskeln: Ein-, zweimal die Woche gibt er Führungen im Trainingsbergwerk Recklinghausen, außerdem besucht er regelmäßig Altenheime, um von unter Tage zu erzählen. „Ganz loslassen kann ich nicht“, sagt er. Deshalb ist sein größter Wunsch für Prosper Haniel, dass „der da stehen bleibt“ – sagt er und zeigt auf den mächtigen Doppelbock. Immerhin habe unter ihm schon der Papst gesprochen – Johannes Paul II. 1987.

Der Steiger wird gerne lesen, was OB Tischler unserer Zeitung dazu gesagt hat: „Der bleibt, denn stellen wir unter Denkmalschutz.“ Ansonsten richtet er den Blick nach vorn, sagt, die Stadt habe „viele Ideen für die Flächen, die der Bergbau uns jetzt zurückgibt“. Denn Flächen, vor allem für Gewerbe, sind rar in Bottrop und dem ganzen Ruhrgebiet. In vier Jahren, sagt Tischler, will er das Gelände fertig zur Vermarktung haben. Wohnungen, Gewerbe und Parks stellt er sich hier an der A42 vor. „Bei uns klopfen viele Unternehmen an, die gerne und möglichst schnell hierhin kommen wollen“, sagt das Stadtoberhaupt.

RAG muss nur für den Beton Hunderte Millionen ausgeben

Die Schächte in Bottrop sind freilich nicht die letzten, die es zu verfüllen gilt, um die 5000 zählt die RAG. „Bis Ende 2024 werden wir brauchen“, sagt RAG-Chef Schrimpf. Allein der Beton kostet dem Unternehmen zufolge eine dreistellige Millionensumme. Der Rückzug unter Tage sei „kein einfaches Thema“, betont Schrimpf. Bevor der Beton fließen kann, mussten die Bergleute ihre Gerätschaften, Förderbänder, Gleise, Motoren und alles, was da unten nicht bleiben soll, aus den Gruben holen.

Jürgen Jakubeit überreicht am 21. Dezember 2018 auf Prosper Haniel unter Tränen das letzte Stück Kohle dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Er hat es auch Schacht 2 geholt, der jetzt mit Beton verfüllt wird.
Jürgen Jakubeit überreicht am 21. Dezember 2018 auf Prosper Haniel unter Tränen das letzte Stück Kohle dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Er hat es auch Schacht 2 geholt, der jetzt mit Beton verfüllt wird. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Der größte Vorteil zubetonierter Schächte: Das Grubenwasser kann viel einfacher abgepumpt werden. Diese Aufgabe ist für das Ruhrgebiet elementar, der Bergbau hinterlässt sie der Region auf ewig. Aus verfüllten Schächten geht das deutlich einfacher, es werden riesige Tauchpumpen eingelassen, die sich von oben bedienen lassen. Niemand muss mehr nach unten und die Schächte und Stollen intakt halten, um das Wasser von noch weiter unten zu holen.

Kein Grubenwasser mehr in die Emscher

Hier auf Prosper Haniel in Bottrop wird gar nicht mehr gepumpt, wie RAG-Manager Drobniewski erklärt. Es wird stattdessen unter Tage nach Dinslaken geleitet. Die dortige Zeche Lohberg ist einer der nur noch sechs Standorte, an denen die RAG Grubenwasser pumpt. An dieser Stelle wird es in den Rhein eingeleitet, im südlichen Ruhrgebiet in die Ruhr. „Dadurch entlasten wir die Lippe und ziehen die Emscher komplett frei von Grubenwasser“, so Drobniewski. An der Emscher-Einleitung war PCB im Grubenwasser nachgewiesen worden, was nach wie vor für Kritik von Umweltschützern sorgt.

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Ob mit der Verfüllung der Schächte auch das Risiko von Bergschäden sinkt? „Nein, das spielt keine Rolle“, sagt RAG-Chef Schrimpf. Noch immer melden Hausbesitzer und Kommunen jedes Jahr um die 20.000 Fälle von Rissen und Absenkungen, hinter denen sie den vom Bergbau ausgehöhlten Untergrund als Ursache vermuten. Oft liegen sie richtig. Allein 2020 hat die RAG dafür mehr als 130 Millionen Euro zahlen müssen. Sie hofft und rechnet auch fest damit, dass es mit jedem Jahr weniger werden. Denn mit oder ohne Beton: Einige Jahre nach Ende des Abbaus komme in der Regel nichts mehr ins Rutschen. Nach mehr als 200 Jahren industriellem Bergbau sollte das Erdreich unter der Ruhr, der Lippe und der Emscher demnach bald zur Ruhe kommen.