Bottrop. Es wird geraubt, geräumt, verschrottet: Ende des Jahres ist die letzte Zeche Deutschlands Geschichte. Ein Besuch auf der Baustelle Bergwerk.
Vor Schacht 10 liegt ein Haufen Stahl im Staub. „Ist er das?“ Nicht mehr zu erkennen, zwei Bergleute machen trotzdem Fotos, „weiß nicht, wie oft wir da gestanden haben“: im großen Förderkorb von Prosper Haniel. Man hat diesen Rest der Zeche zerlegt in drei Teile, abgelegt zu Füßen eines Förderturms, der keine Seile mehr hat. Wofür auch. Ende 2018 hat Deutschland hier in Bottrop seinen Bergbau zu Grabe getragen, „Ende dieses Jahres“, sagt Michael Sagenschneider, „wird das Bergwerk nicht mehr existieren.“
Es ist so still. Keine Maschinen. Keine Menschen. Sie reden viel über die Stille an diesem Tag, an dem sie zeigen, was vom Bergbau übrig blieb. „Wir haben das doch nie still erlebt, da rappelte immer was.“ Bergwerkssprecher Michael Sagenschneider, der mal Fahrsteiger war, geht nur noch ungern über das Gelände, mit dem Helm auf dem Kopf. „Ich stelle fest: Es ist vorbei.“ Und alles so endgültig: „Kein Seil mehr am Schacht, sieht Scheiße aus“, sagt der gelernte Bergmechaniker Uwe Hölting. Kein Korb, der sie nach unten bringen könnte. „Keine Kohle mehr, die man anfassen kann.“ Nächste Woche werden sie noch einmal anfahren, es gibt noch Wege nach unten, es wird um technische Fragen gehen und das Grubenwasser. „Ich glaube“, sagt Sagenschneider, „dann ist es auch wirklich gut.“
Eine Zeche „reißt man nicht in drei Tagen ab“
Auch interessant
Seit Dezember räumen sie hier auf, diese Woche erst schlugen sie fast 5000 Meter Seile ab. Unter Tage, wo sie früher Kohle abbauten, haben sie nun Technik abgebaut, Leitungen raus, Gummi, Holz, Wasserdrucksperren, alles Öl aus den Maschinen. Eine „Riesen-Materialschlacht“, sagt Sagenschneider. Einen „enormen Schrottwert“ förderten sie zu Tage, Bergleute nennen das „Rauben“, und dabei „macht keiner mehr die Arbeit, die er mal gelernt hat“. Es dauert und geht trotzdem schnell, so eine Zeche „reißt man nicht in drei Tagen ab“. Zumal: „Fördern war einfacher als der Rückzug.“
1200 Meter tief ist es inzwischen ziemlich leer geworden, von einst 140 Kilometern Grubenstrecke sind jetzt schon nur noch 45 Kilometer offen, und auch die „reduzieren sich mit dem Verfüllen radikal“. Ab Anfang Dezember nämlich werden sie Zigtausende Tonnen Sand und Beton in die Tiefe kippen, nicht ganz nach unten, aber bis auf 543 Meter, wo dafür extra eine „Bühne“ entsteht. Wie ein Pfropfen soll sie wirken, was sich anhört wie ein Stöpsel, aber der wird 50 Meter dick.
Schon jetzt sind Lkws dabei, das Material anzuliefern: 50 Ladungen Sand am Tag, jedes Mal 26,5 Tonnen. „Das letzte, was wir machen“, sagt Michael Sagenschneider, „ist: Deckel drauf.“ Sie wickeln ihren eigenen Arbeitsplatz nicht nur ab, sie bauen ihn zu. „Darunter werden wir alles besenrein hinterlassen.“ Obwohl niemand mehr dorthin kommt, die Endreinigung zu kontrollieren, „das ist für alle Ewigkeiten zu“.
Diese Stille: Das Einzige, was noch zu hören ist, ist die Lüftung
Prosper II ist das eigentlich schon jetzt. Die Bandanlagenhalle hat kein Band mehr, ihre letzte Prüfung war im Februar, am Hydranten hängt ein Schild: „Außer Betrieb.“ Die Rohkohlenmischhalle steht leer, etwas Sonnenlicht kämpft sich durch das Kuppeldach. Zugang 46 ist ein Bauzaun, Schlüssel Nr. 33 muss man beim Pförtner holen. In die Aufbereitung kommt man gar nicht mehr hinein, die Türen sind schon zugeschweißt. Am Eingang zum Förderberg steht ein Fass: „Sonderentsorgung kontaminierte Kleinteile“, davor ein Metallcontainer für 11.750 Kilo Kabelschrott. Uwe Hölting schaut gedankenverloren ins Dunkle: „Das tut in der Seele weh.“ Das Einzige, was hier noch zu hören ist, ist die Lüftung.
Für das Gebäude auf Schacht 9 passt der Generalschlüssel nicht mehr. „Hier“, sagt Sagenschneider, „kann man die Traurigkeit sehen. Ein stiller Standort.“ Im Schaukasten hängt der letzte Termin für April, vor jeder Tür Flatterband, am Eingang ein Vogelhäuschen; hier geht niemand mehr hindurch. „Unbefugten ist das Betreten der Baustelle streng verboten.“ Baustelle, nicht Bergwerk. Die Zeit auf der Normaluhr ist um viertel vor sieben stehengeblieben.
Unterm Dach der Schwarzkaue hängt noch ein einziger Korb, ein einziger schmutziger Helm, die restlichen Seile baumeln ins Leere. Der Korb 3385 „gehörte“ mal Harid, er hat es auf eine Kachel geschrieben, doch auch Harid ist längst weg. Es riecht feucht, die Halle ist kalt, hier duscht schon lange keiner mehr; früher waren sie 1000, jeden Mittag. Vor der Tür, die Bushaltestelle, heißt immer noch: „Bergwerk Prosper IV“.
Auch interessant
„Merkwürdiger Zustand“, sagt Sagenschneider. „Herzschmerz.“ Noch hängen die Plakate aus dem letzten Jahr vor der Zeche: „Danke Kumpel“ und „100 Prozent Kumpel bis zuletzt.“ Uwe Hölting sagt: „Einmal Bergmann, immer Bergmann. Aber das Glückauf bleibt.“
Aber sonst nicht viel. 500 Mitarbeiter sind sie gerade noch auf Prosper, wahrscheinlich am Ende dieser Woche schon wieder weniger, und am Ende des Jahres, sagt Sagenschneider, „muss die Null stehen“. Es sei „kein Kommen mehr, nur noch ein Gehen“. Dabei sagen die Bergmänner nicht: „Ich gehe in Rente.“ Sie sagen: „Ich gehe nach Hause.“ In diesem Jahr geht jeden Tag einer nach Hause, sie können unmöglich zu allen Ausständen. „Das macht dick“, sagt Uwe Hölting. „Es macht ‘ne Menge traurig“, sagt Michael Sagenschneider.
Ein Stück Kohle geht mit: „Man muss wissen, wo man herkommt“
Es macht aber auch stolz. „Man kann irgendwann sagen, man hat wirklich abgeschlossen.“ Uwe Hölting geht danach nach Hause, Michael Sagenschneider noch für eine Zeit in die Konzernzentrale nach Essen. Er hat sein Büro schon eingerichtet, das erste, was eingezogen ist, war ein Stück Kohle: „Ab und zu anfassen, das erdet. Man muss wissen, wo man herkommt.“
Jemand wird noch die Heiligen Barbaras abholen, von jeder Sohle eine, die von der 6. geht ins Knappschaftskrankenhaus, die von der 7. ins Archiv. Was in Bottrop bleibt: „Vielleicht“, sagt Sagenschneider, „irgendwann ein Stein an der Straße: ,Hier war das Bergwerk’.“
>>INFO: SCHÄCHTE WERDEN VERFÜLLT
Die Schächte unter Prosper Haniel werden im Dezember mit einem Sand-Beton-Gemisch verfüllt. Etwa vier Wochen soll das dauern, im 24-Stunden-Betrieb.
Eingeleitet wird nicht bis in 1200 Meter Tiefe, sondern „nur“ 543 Meter tief, wo derzeit eine Art Stahl-/Beton-Propfen entsteht. Bei einem Durchmesser von acht Metern werden allein für Schacht 10 Tausende Tonnen der Verfüll-Masse benötigt.
Die Strecken selbst bleiben frei, dort wird sich der Berg mit der Zeit sein „Revier“ zurückerobern. Dass dadurch Bergsenkungen entstehen könnten, halten die Experten für ausgeschlossen.
Fotostrecke- Zeche Prosper Haniel wird rückgebaut