Bottrop. Ein Jahr nach dem Ende des Steinkohle-Bergbaus kommt nun der Deckel auf den Pütt: Die Schächte in Bottrop werden mit Beton verfüllt.

Nun ist wirklich Schicht am Schacht: Genau ein Jahr nach dem Ende des Steinkohle-Bergbaus kommt in Bottrop der Deckel auf den Pütt. Die Schächte 9 und 10 der letzten deutschen Zeche Prosper Haniel werden verfüllt. Es ist des Abschieds letzter Akt.

In der ersten Nacht schon sind schon satte 1000 Kubikmeter Beton in die Tiefe gestürzt, die Technik heißt tatsächlich „freier Versturz“. Sie messen das immer um vier Uhr, still senkt sich das Lot in die Dunkelheit. Man stellt sich das Klatschen der hellbraunen Matsche in einem Kilometer Tiefe vor, aber niemand bekommt es zu hören: Wo früher die Bergleute zum Förderkorb gingen, gleich neben den alten Stempeluhren, lässt ein Bretterverschlag nur noch Platz für das Förderband. Nicht auszudenken, es würde ein Mensch mit dem Modder hinabstürzen! (Jemand macht einen Witz über Mafia-Morde.)

Laster bringen 88.000 Tonnen Sand zu den Schächten 9 und 10

Baustelle Bergwerk: Eine Bagger kippt Füllmaterial in eine Mischanlage zu Füßen des alten Förderturms.
Baustelle Bergwerk: Eine Bagger kippt Füllmaterial in eine Mischanlage zu Füßen des alten Förderturms. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Glückauf“, sagen die Männer, sie sind nur noch zu viert an diesem Morgen. Der alte Bergmannsgruß, der einst wünschte, dass man neue Gänge auftun möge unter der Erde und danach gesund wieder ausfahren. Dabei taten sie zuletzt das Gegenteil unter Tage, und ausfahren tut nun niemand mehr: Seit Dezember 2018 haben die Bergleute in Bottrop ihre eigene Zeche leer „geraubt“, wie sie sagen, alles abgebaut dort unten, nur keine Kohle mehr. „Alles, was wir mit Mühe aufgebaut haben“, sagt Bergbauingenieur Achim Flachmeier, „mussten wir nun wieder abreißen.“ Zum Schluss haben sie die Strebe abgedämmt, gewissermaßen also zugemauert, nun machen sie den Schacht dicht. Kein Glückauf mehr, das Wort bleibt, aber es ist ein leeres.

Lkws haben seit Monaten Sand hergeschafft, sie tun es immer noch: 88.000 Tonnen insgesamt, es ist ein reger Verkehr aus Lastern und Baggern. Ein motorisierter Straßenfeger fährt ihnen hinterher, man tut das für die Anwohner, allein, es nutzt nicht viel bei diesem Wetter: Der Dreck wird mit dem Regen nur verrührt. Am Zaun steht „Baustelle“, lange schon erinnern hier nur noch Fördergerüst und Bushalte an das Bergwerk.

„Wir schließen die Verbindung zwischen unten und oben“

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Dabei erkennt das Navigationsgerät an diesem Punkt Bottrops: das „Verbundbergwerk Prosper Haniel, Schacht 9, 24 Stunden geöffnet“. Aber das war einmal. Ab sofort wird 24 Stunden zugemacht. Hier im „freien Versturz“, auf Schacht 10 haben sie dem Beton eine Brücke aus Stahl gebaut, ein sogenanntes Widerlager, damit darunter das Grubenwasser fließen kann zum Rhein. Dort bildet das Material einen „Pfropfen“, mancher sagt auch „Korken“, jedenfalls ist danach kein Durchkommen mehr: „Wir schließen die Verbindung zwischen unten und oben“, sagt RAG-Sprecher Christof Beike. „Standsicher verfüllt, termingerecht und in der nötigen Qualität“, sagt Guido Dahm, der für Aufbereitung und Verkauf des Geländes steht.

Fast hätten sie es nicht mehr geschafft in 2019, es wird nun auch noch sechs bis acht Wochen dauern und bis zu 56 Tage trocknen. Aber es sei „ein Signal“, sagt Beike, „dass es dieses Jahr noch losgeht“. Zwei Kumpel in Arbeitskleidung kommen zum Gucken, sie dürfen ein schnelles Foto machen, aber man sieht nicht viel. Der Beton-Silo ist abgehängt, die „Zentrale“ ist der orangefarbene Container Nr. 5, eine blaue Tafel meldet den Befund der „arbeitstäglichen Prüfung“: i.O. für „in Ordnung“. Die Uhr am Eingang steht auf viertel vor sieben, aber das tut sie schon sehr lange.

Ein „Scheißgefühl“ für Bergmann Achim Flachmeier, einem der letzten seiner Art

Achim Flachmeier (l.) und Guido Dahm vom Bergbauunternehmen RAG bzw. der BAV Aufbereitung Herne mit den Plänen für die Schachtverfüllung.
Achim Flachmeier (l.) und Guido Dahm vom Bergbauunternehmen RAG bzw. der BAV Aufbereitung Herne mit den Plänen für die Schachtverfüllung. © Funke Foto Services | Lars Fröhlich

Für Achim Flachmeier, der für den Rückbau unter Tage zuständig war, ist das hier die vorletzte Schicht. Nach 42 Jahren. Der Marler war schon auf Auguste Victoria und auf Bergwerk Ost in Hamm, die letzten zehn Jahre arbeitete er in Bottrop und wusste längst, dass er hier zumachen wird. Trotzdem: „Ein Scheißgefühl.“ Es sei, sagt der 56-Jährige, „schwer zu sehen, dass eine Ära zu Ende geht“.

Aber er wollte sie ordentlich zu Ende bringen. „Definitiv verhindern, dass das Grundwasser verschmutzt.“ Dafür haben sie alles herausgeholt, was etwa Öl enthielt. „Es ist schier unmöglich“, sagt Flachmeier, „dass da unten was passiert.“ Man habe, sagt Kollege Dahm tatsächlich, „der Nachwelt eine saubere Grube hinterlassen“.

„Schweizer Käse“ ist dicht

Allein wird die Nachwelt davon nichts mehr sehen. Der Beton ist dicht, der Schacht damit auch, „wenn Sie den Schweizer Käse da unten einmal verlassen“, weiß Dahm, „ist zu, da geht nichts mehr“. Und niemand mehr hinunter. Es ist auch keiner mehr da: Ab der nächsten Woche ist das Bergwerk personell „auf null“. Mit ihm schließt vor Schacht 10 auch die Kantine. Letzte Schicht, letzte Pommes-Schranke.

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In der 16. Folge von nah&direkt geht es um das Erbe des Steinkohle-Bergbaus im Ruhrgebiet.
Von Theresa Langwald und Philipp Nesbach

>>INFO: ZWEI TIEFE SCHÄCHTE

Der Schacht 9 (Prosper IV) in Bottrop-Grafenwald wurde 1958 abgeteuft und war zum Schluss 1013,40 Meter tief. Sein Durchmesser beträgt 7,25 Meter.

Der Schacht 10 (Prosper V) in Bottrop-Kirchhellen wurde ab 1976 abgeteuft, zunächst als Frischwetterschacht. Erst im April 2007 erreichte der Schacht mit seinem Durchmesser von acht Metern) eine Tiefe (bergmännisch: Teufe) von 1317 Metern: Zuletzt wurde auf der 7. Sohle abgebaut.