Bochum/Mainz. Patienten wie Kai Clemens aus Dortmund hoffen auf einen Impfstoff, der Darmkrebs kurieren kann. Nicht ohne Grund. Der Kandidat heißt: BNT-122.
Eine Impfung, die Krebs heilen soll? Zu schön, um wahr zu sein? Kai Clemens aus Dortmund hat sie erhalten – im St. Josef-Hospital des Katholischen Klinikums Bochum.
Bei einer Darmspiegelung im Januar 2023 wurde bei dem heute 61-Jährigen ein aggressives Dickdarm-Karzinom gefunden. Seine Frau, erzählt Clemens, habe ihn zu der Vorsorge-Maßnahme bewegt, „Probleme hatte ich keine.“ Auf den Bildern, die später in der Radiologie entstanden, habe aber sogar er als Laie erkennen können, dass „da was war, was nicht dahin gehört“: ein großer Tumor auf der linken Seite des Dickdarms, der sich bereits in die Darmwand gefressen hatte. Der Dortmunder, Chef eines Bildungszentrums und einer Fahrschule, wurde operiert. Danach erhielt er eine Chemotherapie über drei Monate.
Leitlinie empfahl: Abwarten und Beobachten
Als der vierte Zyklus überstanden war, sagten die Onkologen: Das war‘s, mehr können wir nicht tun. Die Leitlinie empfehle als weitere Behandlung „Watch and Wait“ – abwarten und gut hingucken. „Mir erschien das zu wenig“, erzählt Clemens, „ich wollte etwas tun. Und ich wollte eine engmaschige, intensive Überwachung.“ Die Ärzte sagten: Es gibt da so eine Impf-Studie von Biontech....
Tatsächlich forschen Pharmakonzerne weltweit seit langem an therapeutischen Impfstoffen gegen die verschiedensten Krebsformen. (Präventive Vakzine etwa gegen Gebärmutterhalskrebs/Humane Papillomviren oder Leberkrebs/Hepatitis B sind längst zugelassen.) Biontech arbeitet (zusammen mit der Roche-Tochter Genentech) an einem mRNA-basierten Vakzin gegen Darmkrebs, konzentriert sich aktuell auf zwei Studien in diesem Bereich. In beiden kooperiert das Mainzer Unternehmen, das während der Pandemie den allerersten mRNA-basierten Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelte, mit der Ruhr-Universität (RUB) und dem Katholischen Klinikum Bochum (KKB).
Das Bochumer „ColoPredict“-Register
Die Professorinnen Anke Reinacher-Schick und Andrea Tannapfel leiten das Bochumer „ColoPredict“-Register. Reinacher-Schick ist Direktorin der Klinik für Onkologie und Hämatologie im KKB, Tannapfel Direktorin der Klinik für Pathologie der RUB. 2013 ging das Register an den Start. Seither sammelt es Daten und Krankheitsverläufe von Patienten mit frühem Darmkrebs. Inzwischen sind 200 zertifizierte Darmkrebs-Zentren in ganz Deutschland angeschlossen, von mehr als 10.000 Betroffenen liegen genetisch analysierte Tumorinformationen vor. Bundesweit gibt es nichts Vergleichbares. „Als wir anfingen“, erinnert sich Reinacher-Schick, „wurden wir noch belächelt. Aber da spielte der VfL auch noch in der zweiten Liga.“
Biontech greift für eine Beobachtungsstudie auf das ColoPredict-Register zurück. Mittels modernster Diagnostik (Liquid Biopsy) wird untersucht, ob Patienten und Patientinnen mit Darmkrebs, die nach Operation und Chemotherapie einen bestimmten Biomarker, sogenannte „zirkulierende DNA“ (ctDNA), im Blut aufweisen, schneller einen Rückfall erleiden als andere.
200 Probanden für Studie gesucht – weltweit
Kai Clemens Blut wurde in Bochum genetisch untersucht. Er war ctDNA-positiv, zeigte sich – und damit einer der wenigen geeigneten Kandidaten für ein weiteres globales Forschungsvorhaben, bei dem Biontech mit Bochum kooperiert: die 2021 gestartete BNT122-Studie. Dabei handelt es sich um eine Phase-2-Studie, in der die Wirksamkeit eines individualisierten mRNA-basierten Impfstoffs gegen Darmkrebs erstmals an Patienten geprüft wird. Erste Erkenntnisse werden laut Biontech für 2026/27 erwartet. Insgesamt sollen 200 Probanden für die Studie gewonnen werden. Man sucht auch in den USA, in Belgien und Spanien danach.
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Denn die Rekrutierung sei „anspruchsvoll“, erklärt das Unternehmen, die Probanden müssten Tumor-OP und Chemotherapie hinter sich haben und zugleich ctDNA-positiv sein. Aber „zirkulierende DNA“ findet sich nur in wenigen Blutproben. Tatsächlich nur bei 12,3 Prozent aller gescreenten Patienten, erläuterte Reinacher-Schick im Mai in Chicago, auf dem weltgrößten Krebskongress – für die Biomarker-basierte Studie liegen bereits erste Ergebnisse vor. Die Daten zeigten, so Biontech, dass bei Vorhandensein von ctDNA nach der Operation tatsächlich ein erhöhtes Rückfallrisiko besteht.
„Es geht um Krebs, da bin ich risikobereit“
Kai Clemens gilt damit als Risikopatient. 15-mal wurde er im Rahmen der Studie geimpft. Mit einem eigens und nur für ihn hergestellten Cocktail, seiner individuellen Variante des Impfstoffkandidaten „BNT122“ („Cevumeran“). Zunächst einmal wöchentlich, dann in immer größeren Abständen erhielt er die therapeutische Impfung über ein Jahr lang. „Das erste Mal war heftig“, erinnert er sich: Fieber, Schüttelfrost. „Ja, er hat ordentlich geklappert“, bestätigt Reinacher-Schick. „Aber 30 Minuten später waren die Beschwerden verschwunden“, sagt Clemens. Sorgen, dass das Vakzin, das ihm verabreicht wurde, nie zuvor an Menschen erprobt worden war, hatte er nie. „Ich hab keinen Gedanken daran verschwendet, ob mir womöglich ein dritter Arm wächst nach der Impfung“, erklärt er. „Es geht um Krebs, da bin ich risikobereit.“
„Eine Impfantwort ist Schall und Rauch, wenn der Krebs zurückkehrt. “
Reinacher-Schick berichtet, dass die ersten Ergebnisse hoffen ließen. „Bei 100 Prozent der bisher mit BNT122-Geimpften war früh und langanhaltend eine Reaktion des Immunsystems zu erkennen.“ Man wisse aus Studien zu Bauchspeicheldrüsenkrebs, dass dort nur die Hälfte der Geimpften so positiv reagierte. Die Ärztin sagt aber auch: „Es wird Jahre dauern, bis der Impfstoff, selbst wenn er sich bewährt, zugelassen wird. Und so eine Impfantwort ist Schall und Rauch, wenn der Krebs zurückkehrt. Rückfälle sind der eigentliche Biomarker.“
Kai Clemens geht es gut. Aber erst in fünf Jahren, sagt er, werde er „klarer sehen“. Er wirbt für die Vorsorge, er selbst habe die Darmspiegelung zu lange vor sich hergeschoben.
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>>>> So funktioniert die Impfung
Tumorzellen verstecken sich durch molekulare Täuschmanöver oder Tarnkappen vor dem körpereigenen Immunsystem. Therapeutische Impfstoffe gegen Krebs wollen das gezielt unterbinden, damit das Immunsystem den „Feind“ wieder erkennen und bekämpfen kann. „Sie stecken den Krebszellen quasi ein Fähnchen auf“, verdeutlicht Reinacher-Schick.
Das funktioniert bei mRNA-basierten Vakzinen ganz ähnlich bei Corona: nur dass das Immunsystem gegen Krebs-typische Oberflächenproteine (etwa sogenannte Neoantigene) scharf gemacht wird, nicht gegen Virus-typische. Da Tumor nicht gleich Tumor ist, muss auch der Impfstoff individuell sein.
Biontechs-Impfstoffkandidat richtet sich gezielt gegen Patienten-spezifische Neoantigene. Daher spricht man auch von „individualisierter Neoantigen-spezifischer Therapie“ oder der „iNeST“-Studie.