Essen. 25.000 Menschen starben in der Grippesaison 2017/18. Gerade rollt die neue Welle an. Schützt die Impfung? Ist sie sicher? Wer braucht sie wann?

Der Winter naht und mit der kalten Jahreszeit beginnen Nasen zu laufen und Hälse zu kratzen: Die Menschen „erkälten“ sich. Meist ist ein solch grippaler Infekt rasch überstanden. Doch mit der echten Grippe, der Influenza, ist das anders, sie kann sehr krank machen, sogar töten. Die Grippeimpfung schützt, sagen Ärzte. Was man dazu wissen muss.

Influenza: Das ist die aktuelle Lage

Die Grippewelle rolle gerade an, etwas früher als sonst, hört man von den Hausärzten in NRW. Dem Landeszentrum Gesundheit wurden in den vergangenen vier Wochen 95 Influenza-Fälle gemeldet, 20 davon im Ruhrgebiet. „Am Klinikum sehen wir derzeit die ersten Infektionen, und zwar sowohl Influenza A wie Influenza B“, erklärt Prof. Ulf Dittmer, Chef-Virologe der Universitätsmedizin Essen. „Deutschlandweit ist die Lage ähnlich.“

Der Biologe erwartet den Höhepunkt der Grippe- und auch der RSV-Erkrankungen für Mitte Januar bis Anfang März, und er glaubt, „dass wir einiges sehen werden an Infektionen“. Auf der Südhalbkugel der Erde, die als Indiz für das Geschehen bei uns gilt, sei die diesjährige Grippesaison schwer gewesen, „nicht extrem schwer, aber schwer“.

Wie gefährlich ist eine Grippe?

Eine echte Grippe sei mit einer gewöhnlichen Erkältung, einem grippalen Infekt, nicht zu vergleichen, erklärt Dittmer. Sie könne sehr starke Erkrankungen verursachen, „bei Alten und Vorerkrankten sind insbesondere Lungen-Entzündungen gefürchtet“. Diese könnten lebensbedrohlich sein. In starken Grippewellen sei stets eine sogenannte „Übersterblichkeit“ zu beklagen, „Zehntausende sterben in solchen Zeiten“, weiß der Virologe. In der letzten außergewöhnlich schweren Grippesaison 2017/18 zählte das RKI 25.100 Tote.

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Anders als ein grippaler Infekt, der oft langsam mit leichtem Halskratzen und laufender Nase beginne, starte eine Grippe-Erkrankung typischerweise sehr abrupt, mit Fieber und Gliederschmerzen, einem starken Krankheitsgefühl „von jetzt auf sofort“.

.Jedes Jahr gibt es neue saisonale Impfstoffe gegen Grippe. Denn Influenzaviren verändern sich oft. Die WHO analysiert die jeweils dominierenden Varianten und legt danach fest, wie der Impfstoff zusammengesetzt sein soll.
.Jedes Jahr gibt es neue saisonale Impfstoffe gegen Grippe. Denn Influenzaviren verändern sich oft. Die WHO analysiert die jeweils dominierenden Varianten und legt danach fest, wie der Impfstoff zusammengesetzt sein soll. © dpa | Robert Michael

Wie gut schützt die Grippeimpfung?

Die Wirksamkeit ist laut RKI von Saison zu Saison (selbst innerhalb einer Saison) und von Impfling zu Impfling unterschiedlich, hängt unter anderem von den tatsächlich kursierenden Virustypen ab und wie sie sich verändern. Studien zeigten, dass in den Saisons 2010/11 bis 2019/20 im Schnitt von 100 geimpften älteren Erwachsenen sechs an Influenza erkrankten (und zehn der Ungeimpften). 400.000 Erkrankungen, schätzt das Robert-Koch-Institut (RKI), werden in Deutschland jährlich durch die Grippeimpfung verhindert. Die Erkrankung verläuft zudem bei Geimpften nachweislich milder und mit weniger Komplikationen.

Wer braucht die Grippeimpfung?

Gefährlich kann die Grippe vor allem alten oder immunsupprimierten Menschen und chronisch Kranken werden. Die Ständige Impfkommission empfiehlt sie daher allen über 60 Jahren, Vorerkrankten sowie medizinischem und pflegerischem Personal, aber auch Schwangeren (im zweiten Schwangerschaftsdrittel) und allen, die mit besonders gefährdeten Personen zusammenleben . „Vor allem Menschen mit Lungen-Erkrankungen sollten sich unbedingt impfen lassen“, rät Ulf Dittmer. Kinder benötigten die Grippe-Impfung eigentlich nur bei einer Vorerkrankung der Lunge.

Impfungen gegen Grippe und Covid19 können gleichzeitig verabreicht werden.

Wo erhalte ich die Impfung?

Ärzte raten: Beim Hausarzt. „Diese Ärztinnen und Ärzte kennen die Vorgeschichte ihrer Patientinnen und Patienten und können so individuell beraten“, erläutert Stefan Kuster, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Es impfen aber auch andere Fachärzte sowie Arbeitgeber. Bundesweit beteiligen sich zudem 1500 Apotheken an der Impfaktion; seit 2022 wurden 93.000 Grippeimpfungen in öffentlichen Apotheken durchgeführt. Allein in der aktuellen Saison und im Bereich des Apothekerverbands Nordrhein waren es schon jetzt 7.300, erläutert dessen Vorsitzender Thomas Preis. Auch in Westfalen-Lippe ist jede fünfte Apotheke dabei. Über das Verbraucherportal www.apoguide.de oder unter www.impftermine.de findet sich die nächstgelegene.

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Welche Impfstoffe stehen zur Verfügung?

Es sind derzeit acht verschiedene Tot-Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller zugelassen. Alle enthalten dieselben Antigene derjenigen Virusvarianten von denen die Weltgesundheitsbehörde annimmt, dass sie das kommende Grippe-Geschehen dominieren werden, „jeweils zwei verschiedene Stämme der Influenza A und der Influenza B“, erläutert Dittmer, weshalb man auch von einem Vierfach-Impfstoff spricht. Das klassisch hergestellte Vakzin basiert auf Hühnereiweiß. Afluria, Influsplit, Influvac, Vaxigrip und Xanaflu zählen zu dieser Kategorie. Es gibt zudem etwa für Menschen, die allergisch auf Hühnereiweiß reagieren, einen Impfstoff ohne: Flucelvax. Für ältere (hochbetagte) Menschen, deren Immunantwort auf eine Impfung oft schwach ist, die aber zum besonders gefährdeten Personenkreis gehören, stehen darüber hinaus zwei weitere Grippe-Impfstoffe zur Verfügung, die das Immunsystem besonders stark stimulieren: Das Hochdosisgrippevakzin Eflueda (zugelassen und von der Stiko empfohlen für Menschen über 60 Jahren) enthält im Vergleich zum Standard-Impfstoff die vierfache Antigen-Menge; Fluad (zugelassen ab 65) setzt auf einen „Immunverstärker“. Auf dem Markt ist zudem ein Nasenspray als Lebend-Impfstoff für Zwei- bis 17-Jährige: Fluenz.

Wie sicher ist die Impfung?

„Sehr sicher“, sagt Dittmer. „Die Impfung enthält nur Teile des Virus, in der Regel bestimmte Proteine. Deshalb erzielt sie auch nur eine moderate Immunantwort, und daher sind auch nur moderate Nebenwirkungen zu erwarten.“

Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin Essen.
Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin Essen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

“Der Klassiker“, so Dittmer, seien kurzzeitige, eher harmlose Nebenwirkungen wie Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle oder Schüttelfrost, leichtes Fieber und Abgeschlagenheit. Diese träten meist wenige Stunden nach der Impfung auf und hielten maximal zwei, vielleicht drei Tage an. Grund zur Sorge sind sie nicht, sondern: Folge der erwünschten, natürlichen Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff, erklärt Stefan Kuster.

In „sehr, sehr seltenen Fällen“ (konkret: in einem von einer Million Fällen, so Dittmer) könne es nach einer Grippe-Impfung allerdings auch zu schweren allergischen Reaktionen bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock kommen. „Superselten“ aber nicht ausgeschlossen seien zudem Nervenentzündungen, die zu neurologischen Problemen führen könnten.

Ist Sport nach der Impfung verboten?

Nach einer Standard-Grippe-Impfung rät der Virologe „sicherheitshalber“ zu ein bis zwei Tagen Sport-Ruhe. „Dabei geht’s aber eher um Leistungssport als ums Radeln oder Spazieren gehen. Das ist durchaus erlaubt, solange man nach der Impfung kein Fieber hat.“

Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Grippeimpfung?

Nicht einfach zu beantworten, sagt Experte Dittmer. Der Impfstoff sei seit Ende September auf dem Markt. „Aber da zirkulierten die Viren ja noch gar nicht. Das tun sie erst jetzt, ab Ende Oktober, Anfang November.“ Studien zeigten, dass, wer sich erst jetzt impfen lasse, im Februar, auf dem Höhepunkt der Welle, besser geschützt sei, als der, der bereits im September geimpft wurde. „Die Schutzwirkung der Grippeimpfung hält nicht so lange vor, nur einige Monate“, erklärt Dittmer. Es sei denn: Man wiederholt die Impfung alljährlich. „Wenn Sie schon fünf-, zehnmal gegen Grippe geimpft sind, baut sich ein Impfschutz auf, der sehr viel länger anhält. Selbst dann, wenn man mal ein Jahr auslässt…“

Bis Mitte Dezember sollten Risikopatienten geimpft sein, sagt Stefan Kuster.

Impfung trotz überstandener Infektion?

Auch für diejenigen, die eine Grippe-Infektion bereits überstanden haben, mache eine anschließende Impfung Sinn, so Dittmer, „denn es ist ja ein Vierfach-Impfstoff. Wenn Sie an Influenza A erkrankt waren, sind Sie ohne Impfung vor Influenza B nicht geschützt.“

Wer an Corona erkrankt war, sollte mit der Grippe-Impfung warten, bis die Symptome der Infektion komplett abgeklungen ist.

Was kostet die Impfung?

Die gesetzlichen (und die meisten privaten) Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten für alle Versicherten, für die die Grippeimpfung empfohlen wird. Auch für den neuen Hochdosis-Wirkstoff und oft auch für andere Impfwillige. Der Impfstoff für die über 60-Jährigen koste für Selbstzahler 54,81 Euro, erläutert der Apotheker Preis; der für Kinder und Unter-60-Jährige etwa halb so viel.

Ist ausreichend Impfstoff vorhanden?

Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut hat bis Ende Oktober insgesamt 22,2 Millionen Dosen freigegeben. In den Praxen in Westfalen-Lippe, so Stefan Kuster, gebe es keinerlei Engpässe. Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein bestätigt das, betont aber, die Nachfrage sei bereits jetzt höher als in den vergangenen Jahren, „besonders seitens der Jüngeren“. „Es gibt genügend Impfstoff“, versichern die Apotheker. Das könne sich bei starker Nachfrage aber noch ändern, erklärt Nina Grunsky für den Verband Westfalen-Lippe. Sie appelliert mit Blick auf die Lieferprobleme bei anderen Arzneimitteln dringend dafür, sich jetzt impfen zu lassen, „damit im Winter nicht eine Grippeepidemie auf gravierende Engpässe trifft“.

Trägt die Impfung zur Herdenimmunität bei?

Die Impfung schützt vor allem vor einem schweren Verlauf einer Grippe-Erkrankung, verhindert aber auch Infektionen. Und wer sich selbst nicht infiziert, kann auch keinen anderen damit anstecken. Insofern könnte die Impfung nicht nur dem persönlichen Schutz dienen, sondern auch dem Aufbau einer „Herdenimmunität“. „Doch dafür sind die Impfraten viel zu gering“, bedauert Dittmer. Die Zielvorgaben der Europäischen Union, die eine Impfquote von 75 Prozent bei den Älteren vorsehen, würden in Deutschland „nicht annähernd“ erreicht, sagt auch das Robert-Institut. In der Saison 21/22 ließen sich demnach in den westlichen Bundesländern nur 41 Prozent der Über-60-Jährigen immunisieren.

Warum ist die Impfquote so niedrig?

Ulf Dittmer meint, weil noch immer viele Menschen grippalen Infekt und Grippe verwechseln, für ganz ähnliche Erkrankungen halten, „die mich schon nicht umbringen werden“. „Erst wenn sie die echte Grippe kriegen, realisieren Menschen, wie ernst das sein kann. Und auch Junge wundern sich dann, wie lange sie die außer Gefecht setzt.“ Es gebe zudem genetische Faktoren, die einen schweren Verlauf begünstigten. Und niemand wisse, ob er eine solche Veranlagung in sich trage oder nicht. Ihm sei das tragische Schicksal einer Familie gut in Erinnerung. In drei aufeinanderfolgenden Jahren erlagen die Mutter und drei ihrer Kinder der Grippe. Keiner von ihnen war vorerkrankt. Keiner war geimpft.

Was sonst noch hilft?

Mit einer akuten Atemwegsinfektion empfiehlt es generell, sich ein paar Tage zurück zu nehmen und Sozialkontakte weit möglichst zu reduzieren.“ Heißt, so Stefan Kuster: „Wer krank ist, bleibt idealerweise zu Hause.“ Als Therapie bei Grippe-Symptomen empfiehlt er zudem Bettruhe, viel trinken und den Körper Zeit zu geben.

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