Ruhrgebiet. Es bleibt oft nicht bei einer Dose - doch die Folgen übermäßigen Konsums können gravierend sein: Müssen Energydrinks verboten werden?

Sie heißen „Red Bull“, „Monster“, „Rockstar“ oder „Flying Horse“ und sie sind in jedem Supermarkt zu finden: Energydrinks gelten als Wachmacher, insbesondere junge Menschen greifen vor der Prüfung, auf der Party oder nach einer langen Nacht gern zu den Getränkedosen. Ärzte und Verbraucherschützer sehen das mit wachsender Sorge. Die AOK Rheinland/Hamburg warnt jetzt vor allem Kinder und Jugendliche vor dem Konsum und möglichen Gesundheitsrisiken. Denn die Auswertung des neuen „Kindergesundheitsatlas“ der Krankenkasse zeigt: Energydrinks haben Alkohol und Tabak in der Beliebtheit bei Schulkindern schon überholt. 22 Prozent der 14- bis 17-Jährigen trinken sie nach Elternangaben sogar regelmäßig, mindestens einmal pro Woche.

Was ist ein Energydrink?

Wiebke Kohl-Heckl
Dr. Wiebke Kohl-Heckl ist Oberärztin der Klinik für Naturheilkunde an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte – und Expertin für Energydrinks – obwohl sie sie nicht mag. © KEM | KEM

Eine Art (Dosen-)Limonade mit viel Zucker, viel Koffein und anderen Zusatzstoffen; „darunter in Deutschland meist Taurin“, erklärt Wiebke Kohl-Heckl, Oberärztin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, Internistin und Expertin fürs Thema. Die organische (Aminosulfon-)Säure, die die Wirkung von Koffein verstärkt, gab Red Bull zudem den Namen. Taurin kommt von Taurus (lat.) und das bedeutet: Stier. Tatsächlich wird Taurin längst synthetisch hergestellt, auch wenn sich hartnäckig der Mythos hält, er werde aus Stierhoden oder -urin gewonnen.

Wer trinkt Energydrinks?

Nicht nur, aber vor allem: junge Menschen. Nur 42 der 14- bis 17-Jährigen haben noch nie einen Energydrink getrunken, heißt es im jetzt veröffentlichten AOK-Gesundheitsatlas, der sich auf Elternangaben beruft. Selbst von den Elf- bis 13-Jährigen konsumieren danach fünf Prozent mindestens wöchentlich Energydrinks, bei den Sieben- bis Zehnjährigen sind es zwei Prozent. Weltweit werden jährlich rund fünf Milliarden Liter verkauft, Tendenz steigend. In Deutschland, so Kohl-Heckl, liege der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch bei 6,4 Litern. Erhebungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zufolge konsumieren 60 Prozent der deutschen Jugendlichen regelmäßig Energydrinks. Das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) stuft 17 Prozent der jungen Konsumenten als „Hoch-Akut-Trinker“ ein, die oft mehr als einen Liter des Getränks innerhalb weniger Stunden zu sich nehmen; und neun Prozent als „chronische Hochverzehrer“, die an vier bis fünf Tagen pro Woche Energydrinks trinken.

Warum und wann werden Energydrinks konsumiert?

„Gerne in Kombination mit Alkohol“, erklärt Kohl-Heckl. „Wodka-E“, Wodka gemischt mit Energydrink, sei ein beliebtes Partygetränk. Aber Energydrinks seien für Jugendliche inzwischen zudem „Alltagsgetränk“, eines, das „auch mal zwischendurch lecker“ sei; oder nach einer durchgezockten Nacht wach machen soll. Die Werbung verspricht, dass Energydrinks darüber hinaus Aufmerksamkeit, Konzentration und Leistungsfähigkeit steigern sollen.

Wirken Energydrinks wirklich?

„Koffein und Zucker machen tatsächlich wach, das ist bewiesen“, sagt Expertin Kohl-Heckl. Ob Energydrinks wirken, „dazu gibt es nicht viele Daten“. Nicht einmal, dass Taurin (als Nahrungsergänzungsmittel) die Regenerationsfähigkeit verbessern soll, sei durch wissenschaftliche Studien belegt. „Untersucht hat man das bislang nur im Reagenzglas.“

Von welchem Inhaltsstoff geht Gefahr aus?

„Gefährlich ist die Kombination“, erklärt die Essener Ärztin. „Alkohol erweitert die Gefäße, Koffein verengt sie – und das merkt man.“ Energydrinks schmeckten – wegen des Zuckers – Jugendlichen auch besser als Kaffee oder Alkohol pur. „Darum trinken sie mehr davon.“

Welche gesundheitlichen Risiken sind bekannt?

Von Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen, Nierenversagen und Todesfällen im möglichen Zusammenhang mit dem Konsum von Energydrinks berichtet das Bundesinstitut für Risikobewertung, „wenn diese zusammen mit Alkohol oder ausgiebiger sportlicher Betätigung aufgenommen wurden“. Ein flächendeckendes Meldesystem gibt es nicht. Kohl-Heckl hat in Essen solche Fälle auch noch nicht gesehen. Aber sie sagt: Energydrinks steigern Puls und Blutdruck; sie können Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen; Unruhe (körperlich wie emotional) auslösen oder Schlafstörungen verursachen. Der hohe Zuckeranteil in Energydrinks – in einer großen Dose stecken 20 Stück Würfelzucker – könne zudem zu Diabetes führen. („Und wenn statt Zucker Süßungsmittel im Drink sind, macht es das nicht besser. Die verändern die Darmflora und damit den Stoffwechsel ebenfalls...“)

Der Kindergesundheitsatlas der AOK stellt einen klaren Zusammenhang zwischen dem regelmäßigen Konsum von Energydrinks, Übergewicht und zu wenig Bewegung her. Die Ergebnisse zeigten, dass 14- bis 17-Jährige, die jede Woche Energydrinks trinken, einen höheren Body-Mass-Index (BMI) haben als andere; zehn Prozent dieser Jugendlichen seien übergewichtig, sieben sogar adipös und vier extrem adipös). Jugendliche, die oft Energydrinks trinken, trieben zudem seltener Sport (64 vs. 73 Prozent).

Tatsächlich findet auch Expertin Kohl-Heckl bemerkenswert, dass Energydrinks, in hohen Maßen genossen, genau das Gegenteil von dem bewirken, was die Werbung verspricht: „Jugendliche und junge Erwachsene, die regelmäßig ein, zwei Energydrinks täglich trinken, sind unruhig, schlafen schlechter als andere und bringen weniger Leistung. Und deswegen greifen sie immer häufiger zum Energydrink. Das bringt auch eine gewisse Abhängigkeit mit sich.“ Andere koffeinhaltige Getränke, Kaffee etwa, hätten diese Wirkung nicht.

Welche Mengen sind unbedenklich?

In Deutschland regelt die Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung, was in einem Energydrink sein darf und was nicht. Die Verordnung legt auch Höchstmengen für Koffein (320 Milligramm pro Liter, das entspricht in etwa einer Tasse Filterkaffee) Taurin und andere Inhaltsstoffe fest. Die EFSA hält maximal drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht am Tag für unbedenklich. Ein 50 Kilo schweres Mädchen ist damit schon bei zwei kleinen Dosen am Limit. „Erwachsene, die sich gesund ernähren und bewegen, können sicher ab und an mal einen Energydrink trinken“, sagt Kohl-Heckl. Das Problem sei: Bei einer Dose bleibe es bei Jugendlichen oft nicht. Der Zucker überdecke ja den bitteren Kaffeegeschmack (oder den von Alkohol). Wer aber über den Abend verteilt fünf kleine Dosen zu sich nähme, lande bei insgesamt 400 Milligramm Koffein, „und damit schlägt ein Herz schon schneller“. Alkohol allein mache zudem müde. „Der Energydrink hilft, das nicht zu merken.“

Festival-Getränk: Wenn es gilt, lange Nächte zu „überstehen“, greifen Jugendliche gern zu Energydrinks. Zu viel davon kann allerdings der Gesundheit schaden
Festival-Getränk: Wenn es gilt, lange Nächte zu „überstehen“, greifen Jugendliche gern zu Energydrinks. Zu viel davon kann allerdings der Gesundheit schaden © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Gibt es gesündere Alternativen?

Grundsätzlich, sagt die Expertin, sei nichts gegen ein, zwei Tassen Filterkaffee täglich („am besten schwarz“), sagt Kohl-Heckl. Schwarzer oder grüner Tee könnten ebenfalls helfen, wach zu bleiben. Auch Wolfsbeerensaft (Gojibeerensaft) könne man „probieren“.

Wer sollte komplett auf Energydrinks verzichten?

Kinder, Schwangere und Stillende.

Ist ein Verbot von Energydrinks sinnvoll?

In anderen Ländern (Polen, Lettland, Litauen, Norwegen und Schweden) dürfen Energydrinks nicht an Minderjährige abgegeben werden. Die Verbraucherzentralen fordern nun ein solches Verkaufsverbot auch für Deutschland. „Ich kann das verstehen“, sagt Kohl-Heckl, „man weiß halt noch nicht, was Energydrinks langfristig machen. Und das Gehirn von Jugendlichen ist noch nicht ausgereift. Aber ich bin kein Freund von Verboten. Wenn ich meinem Sohn den Zucker komplett verbiete, würde er sich bei erstbester Gelegenheit doch umso mehr darauf stürzen.“ Sie plädiert deswegen für mehr Aufklärung, Gefahrenhinweise auf den Dosen („wie bei Zigaretten“) und eine deutliche Einschränkung der Werbung für Energydrinks.

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