Essen. Zivilschutzübungen im Klassenzimmer? Was die NRW-Schulministerin davon hält – und warum ein Schüler vor „Bundeswehr-Propaganda“ warnt.
Die Debatte um Kriegsvorbereitungen im Unterricht reißt unter Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern in NRW nicht ab. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den Kämpfen in Nahost werden Kinder und Jugendliche unweigerlich mit dem Thema Krieg konfrontiert. In den Sozialen Medien kursieren brutale Videos direkt von der Front, in den Klassen im Ruhrgebiet werden immer mehr geflüchtete Kinder, etwa aus der Ukraine, unterrichtet. Wie sollten die Schulen damit umgehen? Müssen sie ihre Schülerinnen und Schüler vermehrt über Krieg aufklären? Sollten sie mit ihnen gar für den Ernstfall proben? Fragen wie diese treiben zurzeit viele Menschen in NRW um.
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Ausgelöst wurde die aktuelle Diskussion um „Krieg und Schule“ von der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie fordert, Schüler auf den Kriegsfall vorzubereiten. „Zivilschutz ist immens wichtig, er gehört auch in die Schulen“, sagte die FDP-Politikerin in einem Interview mit der Funke Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört. Hierzulande erntet sie für ihren Vorstoß vor allem Kritik.
So hält NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) es nicht für nötig, den Lehrplan anzupassen und Kriege vermehrt zu thematisieren. „Ich finde, wir sollten unseren Kindern und Jugendlichen nicht unnötig Angst machen“, sagt Feller auf Anfrage dieser Redaktion.
Die Krisen und Kriege dieser Welt seien im Unterricht in Nordrhein-Westfalen als Thema bereits fest verankert, sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler setzten sich umfassend damit auseinander, so die Ministerin. Außerdem bereite das Ministerium mit seinem „Notfallordner“ – der Handlungsempfehlungen und Präventionsmaßnahmen enthält – die Schulen ausreichend auf verschiedene Krisen vor.
Vater in NRW: „Es braucht keinen Lehrplan für Kriegsthemen“
„Es braucht keinen Lehrplan für Kriegsthemen“, sagt auch Sven Pitzer, Vater und Vorstandsmitglied der Landeselternschaft der Gesamtschulen in NRW. „Als Elternteil wünsche ich mir, dass Schule ein geschützter Raum ist, an dem Kinder und Jugendliche sich wohlfühlen“, so Pitzer. Er möchte nicht, dass sein Sohn mit dem Wissen zur Schule geht, dort Kriegsübungen machen zu müssen. „Ich lehne es ab, dass auf dem Rücken der Jugend anderen Staaten gezeigt werden soll, dass unser Land kriegsfähig ist.“
Zudem glaubt er, dass die Kinder aufgeklärt sind und wissen, dass Krieg existiert. An der Gesamtschule seines Sohnes kommen die Schülerinnen und Schüler etwa aus 150 Nationen. Viele junge Menschen sind aus der Ukraine geflohen. Außerdem sei das Thema in den sozialen Medien dauerpräsent. „Die Schüler kommen viel häufiger mit Videos von bewaffneten Konflikten in Kontakt als wir.“ Wichtig ist deshalb, so Pitzer, dass Fachlehrerinnen und Fachlehrer den Themen im Unterricht Raum geben und sie einordnen.
Bundeswehr an NRW-Schulen? „Sachliche Aufklärung statt uniformierte Propaganda“
Stark-Watzinger forderte die Schulen darüber hinaus auf, ein „unverkrampftes Verhältnis“ zur Bundeswehr zu entwickeln. Auch hier sieht NRW-Schulministerin Dorothee Feller allerdings keinen Handlungsbedarf. Die Bundeswehr sei bereits ausreichend präsent, etwa durch Unterrichtsbesuche von Jugendoffizieren.
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Thaddäus Hildemann, Vorstandsmitglied der „Landesschüler*innenvertretung“ in NRW, würde die Bundeswehr hingegen lieber aus dem Unterricht verbannen. „Es braucht sachliche Aufklärung statt uniformierte Propaganda“, sagt der 18-Jährige.
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Lehrkräftemangel, marode Schulgebäude, ungleiche Bildungschancen: Seiner Meinung nach sollten sich die Schulen in NRW anderen Herausforderungen stellen. „Schule sollte sich auf zukunftsorientierte Inhalte statt auf das Werben für das Militär konzentrieren“, so Hildemann.
Krisenübungen an NRW-Schulen könnten Sicherheit bieten
Anders sieht es Anne Deimel, Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in NRW. Schließlich könnten Zivilschutzübungen oder Treffen mit Jungoffizieren den Schülerinnen und Schülern Handlungssicherheit geben. „Wenn sie eine Krisensituation zum Beispiel einmal durchgespielt haben, wissen sie, dass sie gut aufgestellt sind“, sagt sie.
Wichtig sei allerdings, dass jede Schule selbst entscheiden kann, ob und wie sie mit dem Thema Krieg und Krisenvorbereitung umgeht. „Wir haben viele verschiedene Schulen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen“, so Deimel. „Wenn Lehrkräfte merken, dass ihre Schüler Bedarf haben, sollten sie darauf eingehen. Aber es darf nicht zur Pflicht werden.“
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