Essen. In den letzten zwei Jahren kamen viele geflüchtete Schüler nach NRW. Warum Eltern die Migration Sorge bereitet – und wie Schulen reagieren.
Die Zahl ist groß und sie bereitet vielen Menschen Sorge: Hunderttausende Menschen sind seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren nach NRW geflüchtet, darunter viele Kinder im schulpflichtigen Alter. Etwa 100.000 Schülerinnen und Schüler aus allen Teilen der Welt wurden in dieser Zeit an den Schulen aufgenommen, deutlich mehr als in den Vorjahren. In jeder Schulklasse sitzen nun durchschnittlich ein bis zwei Kinder, die in den vergangenen beiden Jahren ohne jegliche Deutschkenntnisse angekommen sind.
Was macht das mit den Schulen in NRW? Diese Frage bewegt Eltern und Lehrkräfte.
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Das ist etwa der Vater aus Witten, der den Eindruck hat, dass seine Söhne in der Schule nicht genug gefördert werden. „Zuhause müssen wir unsere Kinder oft nochmal beschulen“, sagt er. In der Schule gebe es einfach zu viele Kinder, die Unterstützung brauchen.
Das ist etwa die Familie aus Gelsenkirchen, die in eine andere Stadt umzieht. Weg von der Schule mit vielen Flüchtlingskindern hin zur Vorzeige-Grundschule in einem ruhigen Stadtteil. Ein Viertel, in dem mehr Kinder die deutsche Sprache sprechen.
Oder die Lehrerin aus dem Ruhrgebiet, die sich auf Elternabenden manchmal nur mit Händen und Füßen verständigen kann. „Viele Eltern verstehen die deutsche Sprache einfach nicht.“
Einer von 25 Schülern in NRW ist seit 2022 als Flüchtling gekommen
Es gibt viele Stimmen dieser Art. Aber kaum jemand möchte sich offen und mit eigenem Namen äußern. Aus Sorge, vereinnahmt zu werden von Ausländerfeinden und Populisten. Wer Fragen zu diesem Thema stellt, hört fast immer eine Einordnung: Ich finde es gut, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, aber ich habe Sorge, dass unsere Schule das einfach nicht schafft.
Es stellt sich also die Frage: Wie groß ist die Belastung der Schulen durch 100.000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler?
Wer das von Peter Kovac wissen will, muss nicht lange auf eine Antwort warten. „Die Kinder sind keine Belastung. Im Gegenteil“, sagt der Schulleiter der Astrid-Lindgren-Grundschule in Oberhausen. Mehr als 30 Kinder aus der Ukraine werden an seiner Schule zurzeit unterrichtet. Trotzdem hätte Kovac kein Problem damit, noch mehr aufzunehmen.
Im Durchschnitt ist von 25 Schülerinnen und Schülern in NRW derzeit einer in den vergangenen zwei Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Oberhausen liegt deutlich über dem Durchschnitt. Besonders viele neu zugewanderte Kinder sind im Grundschulalter. An der Schule von Peter Kovac ist es jedes zwölfte Kind.
Für Kovac funktioniert die Integration dennoch problemlos. Das liege vor allem daran, dass sie an seiner Schule „unglaublich schnell“ Deutsch lernen würden – und damit auch „unglaublich schnell“ am regulären Unterricht teilnehmen könnten, sagt er. Die Schülerinnen und Schüler besuchen von Tag eins an eine reguläre Klasse, haben zusätzlich Deutschunterricht.
Die Idee: Kinder lernen am besten eine neue Sprache, wenn sie diese täglich anwenden. Das, so die Theorie, funktioniert am besten auf dem Schulhof oder im Klassenraum, wo sich die Kinder mit Gleichaltrigen unterhalten können und Stück für Stück, quasi ganz nebenbei, immer besser sprechen und verstehen können. Ein Sprachbad nehmen, nennen Kovac und Expertinnen und Experten das.
Eine gute Theorie. Die allerdings wenig mit seinem Alltag zu tun hat, sagt der Leiter einer Grundschule in einer anderen Stadt in NRW, in der in den vergangenen beiden Jahren noch mehr Kinder zugewandert sind als in Oberhausen. „Von 28 Kindern in einer Klasse sprechen bei uns nur zwei überhaupt Deutsch“, sagt der Schulleiter, der anonym bleiben möchte. Die Idee, dass neu zugewanderte Kinder quasi nebenbei im Schulalltag Deutsch lernen, könne da nicht funktionieren. Es ist banal: Damit die Schüler in der deutschen Sprache „baden“ können, müssen die Kinder um sie herum Deutsch sprechen.
Wie gut der Unterricht funktioniert, ist von Schule zu Schule unterschiedlich
Wer mit Schulleitern, Lehrern und Experten spricht, sich Unterricht an Schulen anschaut, der kommt zu der Erkenntnis: Wie gut der Unterricht mit – oder trotz – neu zugewanderter Kinder funktioniert, ist von Stadt zu Stadt, von Stadtteil zu Stadtteil und von Schule zu Schule unterschiedlich.
Und damit ist man zurück bei einer altbekannten Analyse: Die Schulen in NRW haben sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Während für einige zusätzliche Herausforderungen leicht zu meistern sind, haben andere schon jetzt so große Herausforderungen, dass zusätzliche Aufgaben zum Problem werden.
Für den Solinger Schulforscher Thomas Groos geht es deswegen also vor allem darum, Schulen in besonderen Lagen zu helfen – sie also besser auszustatten. Ansätze dazu gibt es bereits. Das Schulministerium stuft die Schulen in NRW etwa in einem Sozialindex ein, dafür werden unter anderem der Schüleranteil mit nicht-deutscher Familiensprache, Migrationshintergrund und diagnostiziertem Förderbedarf bewertet. Stufe neun bedeutet die höchste Belastung, Stufe eins die niedrigste.
Die Schule von Peter Kovac hat den Index sechs, die Schule des anderen Schulleiters liegt bei neun, der höchsten Stufe. Es ist in diesem Fall der Unterschied zwischen: Wir schaffen das – und wir sind überfordert.
Die Förderung der Schulen in benachteiligten Quartieren ist aus Sicht vieler Experten daher noch nicht hoch genug. Schulforscher Thomas Groos weist außerdem auf die Probleme mit den Zuständigkeiten hin. „Das Land kümmert sich um Lehrkräfte und pädagogische Konzepte, während die Kommunen und Schulträger für Infrastruktur, Digitalisierung und etwa von Teilen der Schulsozialarbeit zuständig sind“, erklärt Groos. Da komme es oft zum Finanzierungs- und Zuständigkeitswirrwarr.
Viele Eltern befürchten, dass ihre Kinder Nachteile haben werden, wenn sie gemeinsam mit Flüchtlingskindern unterrichtet werden. Zum Beispiel eine Mutter aus Essen, deren Tochter im Sommer eingeschult werden soll. Täglich checkt sie ihre Mails und hofft, dass es nicht „die Problemschule um die Ecke“ wird. Ihre Tochter wolle sie bestmöglich fördern. „Ich habe Sorge, dass sie in der Klasse untergeht, wenn viele Kinder erst Deutsch lernen müssen oder einen hohen Förderbedarf haben“, sagt sie.
Eltern wünschen sich zunehmend eine homogene Schule
Eine andere Mutter ist deshalb schon mit ihrer Familie umgezogen – von einer lauten Hauptstraße mit hohen Häusern, in denen viele Menschen unterschiedlichster Nationen wohnen, in ein ruhiges Wohnviertel mit vielen jungen Familien.
Mit ihrer Entscheidung sind die beiden nicht allein, sagt Schulforscher Thomas Groos. Er beobachtet, dass sich Eltern zunehmend eine homogene Schule für ihr Kind wünschen. Groos geht davon aus, dass etwa 40 Prozent der Kinder nicht die Grundschule in ihrem direkten Einzugsgebiet besuchen. Er kann die Sorge der Eltern nachvollziehen. „Es handelt sich oft um eine Art Abstiegsangst. Eltern möchten, dass es dem eigenen Kind mindestens genauso gut ergeht wie ihnen damals selbst.“ Doch viele Eltern nehmen wahr, dass die Gesellschaft immer heterogener wird, dass es nicht einfacher wird.
Faktisch seien die Bedenken der Eltern jedoch nur bedingt haltbar, sagt Groos. Zumindest, wenn es rein um den Migrationshintergrund geht. In der Forschung könne man feststellen, dass Migration kein ausschlaggebendes Kriterium für Bildungserfolg ist. „Es geht vielmehr um soziale Schichten und den Bildungshintergrund als um die Nationalität.“ So kämen etwa viele Geflüchtete aus der Ukraine oder aus Syrien mitnichten aus schwierigen Verhältnissen. „Sie sind schlicht vor dem Krieg geflüchtet.“
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