Essen. Er stritt fürs Centro und das Klima: Oberhausens Alt-OB Burkhard Drescher verlässt mit 72 Jahren Innovation City - mit einem Geständnis
Burkhard Drescher kommt mit etwas zum Interview, das ihm lange gefehlt haben dürfte: Zeit. 13 Jahre lang stand er als Oberstadtdirektor und Oberbürgermeister an der Stadtspitze von Oberhausen, er hat das Centro erstritten und seine Erweiterung gegen Widerstände und mit tollkühnem Kniff durchgebracht. Als Klimamanager von Innovation City hat er gezeigt, wie Klimaschutz im Kohlerevier funktionieren kann und sich damit bundesweit einen Ruf erarbeitet. Nun verabschiedet sich der 72-Jährige von Innovation City in den Ruhestand und verrät Thomas Mader und Stephanie Weltmann, was seine Schreibtischunterlage mit der Rettung des Gasometers zu tun hat.
Herr Drescher, Sie haben als Chemielaborant bei Bayer angefangen, danach haben Sie über den zweiten Bildungsweg studiert, heute gehören Sie zu den bekanntesten Klimamanagern Deutschlands. Sind Sie manchmal von sich selbst überrascht?
Burkhard Drescher: Sagen wir mal so: Ich war immer relativ lebendig. Und motiviert. Als ich zwölf Jahre alt war, sagte eine Lehrerin zu mir: Drescher, du hast ein Mäusehirn, aus dir wird nichts. So etwas hat mich angetrieben und heute finde ich es natürlich gut, wenn ich hier und da sehe, was ich eben doch erreicht habe.
Nun verlassen Sie Innovation City ausgerechnet in einem Jahr, das als das wärmste und nasseste in die Geschichtsbücher eingehen wird. Können Sie da guten Gewissens gehen?
Teils, teils. Auf der einen Seite bin ich unzufrieden damit, wie wenig die Energiewende von unten vorangetrieben wird, obwohl wir diesen Ansatz in Bottrop so erfolgreich entwickelt haben. Die waren ja alle bei uns, Minister, der Kanzler. Aber stattdessen sehen wir in Berlin Scheinklimaaktivitäten wie die Diskussion um Wärmepumpen. Anderseits habe ich ein Ziel erreicht: Die Innovation City Management GmbH trägt sich ab dem nächsten Jahr wirtschaftlich selbst.
Welche Niederlage von Innovation City ärgert Sie heute am meisten?
Unser Ansatz wird sich durchsetzen, aber das braucht noch zehn Jahre oder mehr. Und dafür bin ich zu ungeduldig, das ärgert mich. Ich glaube, dass wir jedes Stadtquartier energetisch autonom so umbauen können, dass es den Folgen des Klimawandels besser standhält. Wir brauchen aber einfache und niederschwellige Förderprogramme und weniger Ideologie. Nicht jedes Haus muss gleich ein Nullenergiehaus sein. Wenn jemand nur sein Dach sanieren kann, ist das auch schon was. Lasst die Menschen doch erst mal anfangen.
Lange vor Fridays for Future haben Sie so etwas Dröges wie die Wärme- und Energiewende erfolgreich verkauft. Wie ist Ihnen das gelungen?
Wir haben die Menschen selbst zu Akteuren des Umweltschutzes gemacht. Wir sind in die Schulen und Kitas gegangen, haben Wettbewerbe ausgeschrieben, wir haben über 4000 Energieberatungen in zehn Jahren gemacht. Heute wird immer der Eindruck erweckt: Klimawandel ist teuer. Unsere Botschaft war immer: Klimaschutz kostet nicht, er entlastet die Haushaltskasse. So ist das doch. Man guckt beim Nachbarn in den Keller auf das kleine Kraftwerk, das er installiert hat, und fragt: Was bringt dir das finanziell?
Sind Sie ein Verkäufertyp?
Wissen Sie, wir könnten auch wochenlang Workshops machen und uns Wollknäuel zuwerfen, aber am Ende geht es darum, loszulegen. Wir müssen machen. Und das habe ich getan. Ich glaube also, man kann mir eher das Etikett eines Machers anheften.
An Weihnachten sind vielfach Generationen mit sehr unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Klimawandel an einen Tisch gekommen. Halten Ihnen Ihre Enkel dann Ihre Klimabilanz vor?
Nein. Natürlich bin ich viel durch die Welt geflogen, als ich bei der Gagfah war (Anm. d. Red.: Drescher war bis 2009 Vorsitzender der Geschäftsführung des Immobilienunternehmens). Aber auf der anderen Seite haben meine Frau und ich unsere Einkommen früh investiert, um unser Haus mit Photovoltaik und Geothermie so umzubauen, dass es fast autonom ist. Meine Bilanz ist also ganz in Ordnung, ich würde sie aber nicht aufarbeiten wollen. Meine jüngste Tochter hat aber durchaus bei Fridays for Future mitgemacht.
Gab es Ärger, weil sie die Schule für die Klimaproteste geschwänzt hat?
Ich fand das sogar gut. Diese Generation wird noch eher Gefahr laufen, im Wasser zu stehen als meine. Und bei den Kindern ist im normalen Alltag mehr Unterricht ausgefallen als sie durch die Streiks versäumt haben könnten. Mich stimmt eher nachdenklich, dass zu wenige politisch unterwegs sind. Wenn man das Klima retten will, muss man die Welt politisch gestalten. Die persönliche Klimabilanz ist dagegen eine eher theoretische Anforderung.
Der Werdegang des Burkhard Drescher
1951: Burkhard Drescher wird in Neuss geboren.
1967: Chemielaborant, später Chemotechniker bei der Bayer-AG.
1980-87: Lehrer, unter anderem für Chemie.
1990: Stadtdirektor, dann Oberstadtdirektor in Oberhausen.
1992: Drescher rettet den Gasometer vor dem Abriss.
1994: Grundsteinlegung des Centros als Keimzelle der neuen Mitte Oberhausen. Für das Konzept zeichnet Drescher verantwortlich, der auch den Kontakt zu Investor „Eddie“ Healey pflegt. Zwei Jahre später folgt die Eröffnung. Pläne für eine Überdachung der alten Einkaufszone werden nicht verwirklicht.
1997: Oberbürgermeister von Oberhausen.
2004: Drescher drückt die Centro-Erweiterung durch. Andere Städte klagen dagegen – erfolglos.
2004: Ausstieg aus der Politik und Wechsel in den Vorstand der RAG-Immobilien AG.
2006 CEO des Wohnungskonzerns Gagfah.
2009 selbstständiger Berater.
2011 Geschäftsführer Innovation City Management (ICM). Im Projektgebiet von Bottrop soll Drescher innerhalb von zehn Jahren die Treibhausgasemissionen halbieren. 2020 ist das Ziel erreicht.
2022 Die Green-Zero-Gruppe des Kölner Unternehmers Dirk Gratzel übernimmt ICM.
2023 Burkhard Drescher verlässt ICM und wird wieder freier Berater.
Bevor Sie Klimamanager wurden, haben Sie in Oberhausen das Centro ermöglicht, 2004 die Erweiterung durchgebracht. Wenn Sie heute durch das Centro laufen, haben Sie das Gefühl: Das habe ich geschafft?
Wir waren letztens auf dem Weihnachtsmarkt und wollten eine Bratwurst essen. Es war aber so voll, da war kein Durchkommen. Da sagte meine Frau: Das bist du doch selbst schuld. (lacht)
Ich denke aber schon noch an die Öffnungsveranstaltung. Es war mir nicht in die Wiege gelegt, von London nach New York zu reisen, um mit dem britischen Centro-Investor Eddie Healey Einkaufszentren und Stadien anzuschauen. Vorher kannte ich ja nur die Stadthalle Neuss. Und ich denke manchmal: Was wäre, wenn die Neue Mitte heute nicht da wäre? Sie ist jetzt der ökonomische Motor von Oberhausen mit 23 Millionen Besuchern und 12.000 Arbeitsplätzen im Umfeld.
Schmerzt es Sie umgekehrt, wenn Sie durch die Oberhausener Innenstadt laufen?
Nein. Viele Innenstädte sehen heute ähnlich aus wie die von Oberhausen. Im Grundsatz dürfen die Zentren nicht mehr geprägt sein vom Einzelhandel. Der findet online statt, beim Bäcker und im Supermarkt und in den „Urban-Entertainment-Centern“. Die Innenstädte sollten Wohnplätze werden, mit Grün, Spielplätzen und Wasser. Was mich schmerzt ist, dass da nicht schneller gehandelt wird.
Aber das Centro war der Startschuss für den Wettkampf der Städte im Handel.
Ja, klar, das haben dann alle versucht. Das Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum gab es schon. In Essen hat der Planungsdezernent Hans-Jürgen Best, ein ehemaliger Mitarbeiter von mir, den Limbecker Platz angestoßen. Aber die meisten Projekte wurden gar nicht realisiert. Das Centro ist doch ziemlich allein geblieben.
Es gab das Versprechen an die Nachbarn, dass das Centro nicht erweitert wird. Das haben Sie 2004 gebrochen, kurz bevor Ihre Amtszeit endete.
Nein, das haben wir nicht gebrochen. Schon im ursprünglichen Bebauungsplan waren 110.000 Quadratmeter Nettoverkaufsfläche ausgewiesen, die aber nicht ausgeschöpft wurden. Es war also noch Spielraum da. Das ist auch von allen Gerichten so bestätigt worden. Viele Freunde hat mir das aber nicht eingebracht, das ist richtig.
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Als im Rat der Stadt über die Erweiterung des Centro entschieden wurde, haben Sie den Regierungsvizepräsidenten aus dem Ratssaal ausgesperrt, was sicher nicht die feine Art gewesen ist. Auch den Gasometer haben Sie nur durch einen Trick erhalten.
Die RAG war damals Eigentümerin und wollte den Gasometer abreißen. Die Genehmigung lag auf meinem Schreibtisch und ich hätte sie nur unterzeichnen müssen, dann wäre der Gasometer weg gewesen. Ich habe sie aber unter meine Schreibtischunterlage gelegt und mir gedacht: Da muss ich noch mal gucken. Karl Ganser von der Internationalen Bauausstellung ist dann mit uns im klapprigen Seitenaufzug den Gasometer hochgefahren - und ich habe Höhenangst - und sagte: Wir machen daraus eine Ausstellungshalle. Da dachte ich: Das ist machbar.
Den Abrissantrag hat niemand vermisst?
Er lag drei oder vier Wochen bei mir. In der Zeit hatten wir die Finanzierung geklärt und ich konnte dem Rat der Stadt versprechen, dass der Erhalt des Gasometers die Stadt niemals auch nur einen Euro kosten würde. Bis heute ist das Versprechen gegenüber dem Rat eingehalten worden.
Sie haben auch das Rathaus ohne Ämter propagiert. In anderen Städten haben sie gezittert, dass dieses Beispiel Schule machen würde.
Ich bin überzeugter Demokrat. Wir haben einen Auftrag aus der Bürgerschaft, die Verwaltung so effektiv zu machen, wie es nur möglich ist. Industrieunternehmen brauchen eine Baugenehmigung innerhalb von sechs Wochen. Das geht nicht mit dem normalen Verwaltungsablauf, wo die Akte durch die Ämter wandert und wenn einer krank ist, bleibt sie vier Wochen liegen. Bei uns haben alle gleichzeitig Kopien bekommen. Und ich habe auch immer gesagt: Ich halte es nicht mehr für notwendig, dass in der Stadtverwaltung Beamte arbeiten. Die Mitarbeiter sollten alle gleichgestellt sein.
Wie müsste sich das Ruhrgebiet aufstellen?
Das Ruhrgebiet müsste sich wirklich als Metropole auf dem Radarschirm der Weltwirtschaft positionieren. Man hätte als ehemalige Kohle- und Energieschmiede Deutschlands die Chance, nun auch die Vorzeigeregion zu werden für den klimagerechten Stadtumbau. Es gibt da einige richtige Ansätze mit der Emschergenossenschaft, der OB von Herne treibt das Thema „grünste Industrieregion der Welt“ voran. Aber man stelle sich vor, eine Region mit über fünf Millionen Einwohnern sagt: Wir sparen in zehn Jahren die Hälfte an CO₂ ein. Bumm! Da würde die Welt gucken. Ich behaupte, das geht.
Wie geht es für Sie persönlich weiter?
Ich habe schon seit längerem eine Beratungsfirma in Oberhausen, die belebe ich nun wieder. Und was sich mir bis jetzt nicht erschlossen hat: wie der Rasenmäh-Roboter eigentlich den Rasen mäht. Der fährt mal so, mal so und dreht sich wieder. Das Rätsel könnte ich ja noch lösen.