Bottrop. Innovation City hat die Energiewende um zehn Jahre vorweggenommen. Heizung, Dämmung, Solar: Sieben Thesen, was das Land von Bottrop lernen kann.
Die Energiewende hat einen Anfang und einen Ort. Bottrop, 2010. Damals hat der Initiativkreis Ruhr das Zehnjahresprojekt „Innovation City“ angestoßen und Bottrop hat den Zuschlag bekommen. Es hat Zeit gebraucht, es war kleinteilig, aber hier haben sie die Leute für ihren Heizungskeller begeistert. Im Projektgebiet, das 67.000 Einwohnern umfasst, hat Bottrop seinen CO2-Ausstoß halbiert, hat als Gesamtstadt die höchste Solarzellen-Dichte in NRW, hat rund zehn Jahre Vorsprung auf den Rest der Republik. Also: Was kann Deutschland von Bottrop lernen?
Sieben Thesen, wie die Energiewende besser vorankommt
- Bürger zu Akteuren machen
- Im Quartier kommunizieren
- Stromverkauf erlauben
- Nahwärme fördern
- Kostenlose Energieberatungen
- Beratung vom Bürger aus denken
- Warmmietenneutrale Sanierung
Bürger zu Akteuren machen
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„Die große Idee von Innovation City ist, die BürgerInnen zu Akteuren des Klimaschutzes zu machen“, sagt Burkhard Drescher, der die Unternehmung von Anfang an leitet. Und man nimmt die Menschen mit, „indem man sie davon überzeugt, dass Klimaschutz eine finanzielle Entlastung bedeutet. Aber man muss den Umbau mit den Menschen zusammen organisieren.“ Denn die Bürokratie, die Komplexität schreckt viele ab. Wer sich eine Photovoltaik aufs Dach setzen will, muss Beratung und Handwerker finden, muss sich in Register eintragen lassen und seine Steuererklärung anpassen. Zu all diesen Punkten hat Innovation City strukturierte Prozesse erarbeitet und Angebote gemacht.
Im Quartier kommunizieren
Botschaften aus dem Rathaus verhallen oft, „darum ist unsere kommunikative Ebene das Quartier“, sagt Drescher. „Da kann ich mit den Leuten noch reden, da geht es von Mund zu Mund. Wir haben es in Bottrop erlebt: Wir haben eine Kraft-Wärme-Kopplung eingebaut in einer Straße. Und es hat nicht lange gedauert, da klingelten die Nachbarn bei unserem Energieberater und wollten auch ein Kraftwerk im Keller.“
Das hat allerdings nur funktioniert, weil anfangs Mitarbeiter von Haus zu Haus gezogen sind und erklärt haben, dass es unter jener Nummer Energieberatungen kostenlos gebe. Abendveranstaltungen mit Dutzenden und Hunderten Bürgern folgten. Auch die Bottroper Schulen waren dabei. „Wir haben in unseren Räumen mit den Kindern Häuser gebaut und Windräder, und die Kinder haben dann ihre Eltern, Oma, Opa, Tanten, Onkel motiviert“, erinnert sich Drescher.
Heute arbeitet Innovation City auch mit Quartiersbüros, in die man einfach reinschneien kann. 25 gibt es mittlerweile bundesweit, die meisten im Ruhrgebiet, denn hier funktioniert es wie unter Nachbarn. Wollen wir auch, haben mittlerweile 17 Revierstädte beschlossen. Allein Oberhausen entwickelt derzeit drei Quartiere nach dem Vorbild Bottrops.
Stromverkauf erlauben
„Mit einem Federstrich in der Mietgesetzgebung könnte man den Vermietern die Möglichkeit geben, ihren Mietern Strom zu verkaufen“, sagt Drescher. „Alle Hauseigentümer und Wohnungsgesellschaften könnten ihre Dächer mit Photovoltaik bestücken und den MieterInnen vielleicht für zwölf Cent den Strom verkaufen statt für 40 Cent von den Stadtwerken.“
„Derzeit müssen Wohnungsgesellschaften allerdings alle MieterInnen einzeln befragen, die haben ein Wahlrecht. Darum können sie nur Stückwerk machen und lassen die Finger davon, weil es zu komplex ist“, sagt Drescher. „Auch die Nachbarn müssten sich vernetzen können. Meine Solaranlage produziert manchmal viel zu viel Strom, den ich spottbillig einspeisen soll. Derzeit darf ich diesen Strom nicht mal meinen Nachbarn verkaufen.“
Nahwärme fördern
„Jedes Stadtquartier kann man so umbauen, dass es energetisch autark wird“, sagt Drescher. „Fernwärme ist immer das erste Mittel. Natürlich müssen wir noch daran arbeiten sie nachhaltig zu erzeugen.“ Die Alternative aber ist die Nahwärme. Also die gemeinschaftliche Nutzung von Infrastruktur für Wärme oder Strom.
Man kann etwa Abwärme aus Flüssen und Hafenbecken holen, aus Computer-Zentren und dem Abwasser. Für den Einzelnen ist es meist nicht wirtschaftlich, sich einen Wärmetauscher in den Keller zu bauen. Für eine Siedlung aber lohnt es sich. Auch die Emschergenossenschaft zum Beispiel verfolgt nun diesen Ansatz, Wärme aus Abwasser zu gewinnen.
„Wenn man Nahwärme fördern würde, und die Kommunen das den BürgerInnen anbieten mit Energieberatung, dann kommen wir viel, viel schneller weiter.“
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Kostenlose Energieberatungen
„Freie EnergieberaterInnen wollen den Hausumbau begleiten, weil sie allein vom Gespräch nicht leben können. Letztlich wird es dadurch für die BürgerInnen teurer“, erklärt Drescher. Er hat sehr schnell eigene Berater eingestellt und den Prozess strukturiert, er läuft längst IT-gesteuert.
Die Bürger geben Infos über Gebäude und Verbrauch. Dann kommt ein Berater kostenlos vorbei für bis zu zweieinhalb Stunden. „Das ist der Schlüssel“, sagt Drescher. „Denn die Dinge sind komplex. Man muss die Leute an die Hand nehmen und ihnen helfen, sich durch die bürokratischen Geflechte durchzuarbeiten. Es geht immer um viel Geld, und um Wirtschaftlichkeit.“
Beratung vom Bürger aus denken
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„Wenn wir die Leute beraten, geht es auch um Dinge, die man kombinieren kann. Um die Einbruchsicherheit von Fenstern zum Beispiel“, sagt Drescher. Für ein neues Dach muss man vielleicht 30.000 Euro auf den Tisch legen. „Man kann aber auch nur den Speicher dämmen. Das kann man mit den Nachbarn in Eigenarbeit für 2000 Euro machen, und man hat immer noch einen Effekt von bis zu 90 Prozent.“
„Was nicht funktionieren wird“, sagt Drescher, „ist, erst mal alle Gebäude im Bestand so zu sanieren, dass sie Wärmepumpen-fähig sind. Der Weg von unten geht anders herum: Ölheizungen raus, Nahwärmeleitungen rein, und dann die Leute sukzessive beraten, wie sie diese Kosten weiter reduzieren können über Dämmung. Und zwar niedrigschwellig. Es bringt schon viel, die Kellerdecke zu dämmen.“
Warmmietenneutrale Sanierung
Innovation City hat auch mehrere bestehende Häuser so umgebaut, dass sie mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Nicht alles, was machbar war, war wirtschaftlich sinnvoll. Aber die wichtigere Erkenntnis ist vielleicht ohnehin rechtlicher Natur: „Für solch einen Umbau muss man mehr Kaltmiete nehmen können, als gesetzlich erlaubt ist“, sagt Drescher. „Dafür nimmt man nichts mehr für Heizung und Energie – so bleibt die Warmmiete identisch.“ Das schafft Anreize für Eigentümer und Sicherheit für Mieter.