Ruhrgebiet. Deshalb ist das Ruhrgebiet so grün: Grünzüge lockern seit 100 Jahren die Industrieregion auf. Sechs Revierstädte machen sie nun wieder schön.
Es steht eine Bank am Ölbach in Bochum, aber sie blickt nicht aufs Wasser. Warum nicht, ist dem Stadtbaurat ziemlich klar: Der Bach fließt ganz unten und sehr geradeaus in einer Halbbeton-Schale, sagt Markus Bradtke, das sei „nicht sehenswert“. Aber das soll es wieder werden: Im Osten des Ruhrgebiets haben sich sechs Städte zusammengetan, den Grünzug in ihrer Mitte wieder aufzuhübschen.
Es hätte aus der Region ein Industriemoloch werden können, in dem Zechen und Stahlwerke und alle Städte untrennbar ineinandergewachsen wären – ein bisschen so, wie Vorurteile das oft behaupten. Dass es so eben nicht ist, liegt an klugen Menschen, die das vor 100 Jahren schon zu verhindern wussten: Sie zogen ein Gitternetz aus Grünstreifen durch das Ruhrgebiet, schnitten Frischluftschneisen in den grauen „industriellen Haufen“, wie jemand sagt. So kommt es, dass Besucher heute regelmäßig staunen: „Alles so schön grün hier.“
42 Ideen sollen sich um Geld aus Fördertopfen bewerben
Sieben solcher Grünzüge verlaufen von Nord nach Süd, oft entlang von Autobahnen, fast immer von Wasserläufen. Ein Pilot-Projekt befasst sich jetzt mit Grünzug E: Der ist mehr als ein Streifen, er ist eine Schlangenlinie aus Gärten, Feldern, Wäldchen und manchmal nur begrünten Hinterhöfen von Castrop-Rauxel und Herne über Dortmund und Bochum bis hinunter nach Witten und Hattingen. Genau diese Städte schauen ab sofort gemeinsam mit dem Regionalverband Ruhr (RVR) auf diesen Grünstreifen, der sie trennt und zugleich verbindet. Sie wollen ihn, sagt die RVR-Beigeordnete für Umwelt, Nina Frense, „nicht nur bewahren, sondern gestalten“.
42 Ideen haben sie entwickelt, Wiesen, Wald und Wasserwege lebenswerter zu machen. Neue Bänke, das wäre so eine Idee, klügere Schilder (oder überhaupt welche), bessere Anbindungen. In Witten etwa, da gibt es ein Rittergut, das keiner findet und das keinen Weg zum Wasser hat. In Herne ist das gleichnamige „Meer“ noch nicht grün genug. In Bochum könnten sie den Ölbach aus dem Beton befreien, in Castrop-Rauxel, das Schloss Bladenhorst besser zugänglich machen, in Hattingen die Ruhrpromenade endlich angehen. Alles soll touristisch interessanter werden, Bäche sollen renaturiert und ihre Ufer Blühstreifen bekommen, denn es ist ja so, sagt Susanne Brambora-Schulz vom RVR: „Die Biene hört nicht in Bochum auf, die Blume zu suchen.“
Schluss also mit dem Kirchturmdenken, das bleibt ja ein Dauerthema der Region, das Grün wächst schließlich über die Stadtgrenzen hinaus. Schon weil auch das Klima nicht Halt macht an ihnen und der Freizeitsportler erst recht nicht, der mit dem E-Bike das Ruhrgebiet nach allen Seiten durchkämmt. (Die Grünzüge von West nach Ost sind entlang der größeren Flüsse ja längst viel besser erschlossen und in Schuss).
Ist das eine Park? Oder nur ein begrünter Hinterhof?
Nur wächst das Grün langsam, und auch das gehört zur Wahrheit: Das Projekt ist ein Pilot, die Ideen sind genau solche: die zunächst durch eine Bestandsaufnahme müssen, in einem Wettbewerb bestehen, der in ein Handlungskonzept… Es soll kein Kaugummi-Projekt werden, aber „es ist nicht morgen alles fertig“, ahnen die Stadtplaner. Und bei manch oberflächlich Grünem, gesteht Umweltdezernentin Frense, müsse man erst gucken: „Ist es Brache, ist es Hinterhof?“ Sie reden von einer „Dekade“ jedenfalls: Erst in einer gewissen Zukunft soll der Grünzug E zur Blaupause werden für seine Nachbarn bis hinüber nach Duisburg.
Ziel aber ist es, das Ruhrgebiet zur „grünsten und lebenswertesten Industrieregion der Welt“ zu machen, wie Frense sagt. Sie führt die Fäden zusammen, will bei Bewerbungen um Geld aus der Landesförderung „Grüne Infrastruktur“ helfen, machte aber selbst eine ordentliche Summe locker: Bislang kam schon eine Viertelmillion Euro zusammen. Man spricht von einem „Mehrwert, von der Kröte bis zum Menschen“, einer nennt das Wort „Wohlfahrtswirkung“.
Als erstes wird am Bochumer Ölbach die Natur „gesichert“
Bei ersten Beradelungen von „E“ allerdings hatte nicht nur Stadtbaurat Bradtke „ernüchternde Erlebnisse“. Nicht nur, dass sein Ölbach „kein naturnahes Gewässer“ ist: Der Ortstermin ist Beispiel für das, was er meint: über der Wiese die Autobahn, darunter ein historischer Bauernhof nebst ritterlichem Anwesen, das niemand findet. Das Gras so hoch, dass das Bächlein darunter verschwindet, der Verkehrslärm so laut, dass man den Buchfink kaum hört. Blumen? Keine.
Man wird das nicht alles ändern können, aber das Mögliche besser machen. Und dafür als erstes die Natur sichern, sagt Ricarda Bergmann vom RVR, also den Boden, die Luft, die Biodiversität untersuchen: „Was bindet Stickstoff, wie viel Sauerstoff bringt uns was?“ Was dann wiederum dem Menschen nutzen soll. Und dem Klima.