Gelsenkirchen. Die “Gelsenkirchener Erklärung“ des Städtetags NRW hat es in sich. Nicht nur bei der Digitalisierung der Schulen liegt vieles im Argen.

  • Die Schulen in NRW sind nicht "zukunftsfest", warnt der Städtetag NRW in einer "Gelsenkirchener Erklärung".
  • Gerade die Städte und Stadtteile mit den größten Problemen benötigten die bestmögliche Ausstattung, betonen die Kommunen.
  • Der Bildungserfolg von Kindern hänge immer noch zu sehr von ihrer Herkunft ab.

Mitten in der bundesweiten Debatte über Schuldenbremse und Einsparungen fordern die Städte in NRW vom Land viel mehr Geld für die Schulen. In einer „Gelsenkirchener Erklärung“ legten die Städte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Donnerstag eine Wunschliste vor. Sollten diese Wünsche nicht in großen Teilen erfüllt werden, verliere NRW womöglich bildungspolitisch „eine ganze Generation“, warnte Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) beim Bildungskongress des NRW-Städtetags.

In welchem Zustand sind die Schulen in NRW?

Gerade in hoch verschuldeten Städten gehe es längst „ans Eingemachte“, heißt es. „Die Jahre in der Haushaltssicherung kann man leider an den Schultoiletten in NRW sehen“, sagte der Städtetag-NRW-Chef und Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU). Die Schulen müssten mit vielen Milliarden Euro „zukunftsfest“ gemacht werden.

Was ist der Kern der „Gelsenkirchener Erklärung“ der NRW-Städte?

Es geht um eine auskömmliche und auf lange Sicht angelegte Schulfinanzierung. „Ob beim Ganztag oder bei der Digitalisierung: Wir leben von der Hand in den Mund, von Förderprogramm zu Förderprogramm“, kritisierte Kufen. Das Land NRW müsse die Städte hier besser unterstützen und dürfe den Dialog auf Augenhöhe nicht scheuen. Ein Schulsystem unter Sparzwang könne Kindern nicht beibringen, was sie im Leben benötigen, und aus ihnen auch keine überzeugten Demokraten mit Zivilcourage machen.

Der Essener Bundestagsabgeordnete und Bildungsexperte Kai Gehring (Grüne) rief nach einer „gesamtstaatlichen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen“ gegen marode Schulen, Lehrkräftemangel, fehlende Kitaplätze und gescheiterte Schullaufbahnen.

Was sind die größten Baustellen in der Bildung?

Erstens: Digitalisierung. „Schulbuch und Kreidetafel haben ausgedient. Die Finanzierung der Digitalisierung muss daher neu geregelt werden“, sagte Kufen. Der „Digitalpakt Schule“ von Bund und Ländern habe zwar 1,4 Milliarden Euro für die Digitalisierung gebracht Es gebe aber kein Folgeprogramm, daher hingen Schulträger und Schulen „in der Luft“. Laptops, Tablets und andere Geräte müssten gewartet und irgendwann ersetzt werden, Pädagogen benötigten Fortbildung für den digitalen Unterricht. Dafür fehle aber Geld, so der Städtetag. Laut Kufen benötigten die Schulen in NRW jedes Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich für die Digitalisierung.

Zweitens: Ganztag. Der Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschüler ab 2026 ist längst noch nicht ausfinanziert und sollte laut dem Städtetag sogar weit über die heute üblichen Betreuungsangebote hinausgehen. „Vormittags Schule und nachmittags Betreuung, das funktioniert nicht“, warnt Kufen. Viele Kinder benötigten zusätzlich Hilfe, zum Beispiel bei den Hausaufgaben und beim Deutschlernen. Oberbürgermeisterin Welge kann sich einen „echten“ Ganztag mit Unterricht auch am Nachmittag in ihrer Stadt „in der Fläche“ vorstellen, OB Kufen plädiert für eine Wahlfreiheit der Schulen.

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Drittens: Ungleiches ungleich behandeln. In NRW gibt es zwar einen „schulscharfen Sozialindex“, an dem abgelesen werden kann, welche Schulen großen Unterstützungsbedarf haben, aber der müsse verfeinert und so ausgestattet werden, dass Schulen in sozialen Brennpunkten wirklich mehr Personal, Technik und moderne Räume bekommen. „Bildung nach Kassenlage der Kommunen“ lehnt der Städtetag ab.

Welche Probleme treffen das Ruhrgebiet?

„Wir unterrichten an manchen Grundschulen Kinder, von denen 90 Prozent eine andere Muttersprache als die Schulsprache Deutsch haben“, sagte Gelsenkirchens OB Welge. Der Sozialindex müsse in Teilen des Ruhrgebiets noch viel mehr Wirkung entfalten. Außerdem hätten die langen Jahre der Spardisziplin Spuren an den Gebäuden hinterlassen.

Thomas Kufen schlägt auch aus anderem Grund Alarm: „Wir erleben eine große Sprachlosigkeit in Bildungseinrichtungen beim Thema Nahostkonflikt und Antisemitismus. Die Schulen benötigen mehr Zeit, um über diesen Konflikt zu diskutieren, um jungen Menschen, die hier leben, zu sagen, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar sei.

Was sagt die NRW-Schulministerin?

Dorothee Feller sagt, dass die Probleme nicht von heute auf morgen zu lösen seien: „Wir werden einen langen Atem brauchen. Denn zur Wahrheit gehört, dass sich in den vergangenen Jahren einiges angestaut hat. Aber wir gehen die Dinge jetzt mit Schmackes an.“

Sie erinnerte an das Konzept der Landesregierung gegen den Lehrkräftemangel und an den Versuch, die Leitungen von Grundschulkindern zu verbessern, zum Beispiel über mehr Lesezeit. Die Länder verhandelten mit dem Bund gerade einen Nachfolge-Digitalpakt, und im Januar werde Schwarz-Grün einen ersten Gesetzentwurf für die Umsetzung des Anspruchs auf Ganztagsbetreuung vorlegen.

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