Düsseldorf. Antisemitismus in Schulen: Warum Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Lehrkräfte davor warnt, einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ermutigt als NRW-Antisemitismusbeauftragte Lehrkräfte, nach den Herbstferien mit den Schulkindern intensiv über den Terror der Hamas in Israel und über Judenfeindlichkeit zu diskutieren. „Ich traue den Lehrerinnen und Lehrern zu, diese schwierigen Fragen in altersgerechte Worte zu fassen“, sagte die 72-Jährige im Gespräch mit Matthias Korfmann.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wie sollten Lehrkräfte in den Tagen nach den Herbstferien mit dem Thema Hamas-Terror und Israel umgehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Gesprächsbedarf wird groß sein, zumal es in NRW sehr viele Schulkinder aus unterschiedlichen Herkunftsländern gibt. Wir wissen zum Beispiel aus dem Mai 2021, als es Raketenbeschüsse der Hamas gegen Israel gab, dass es da an vielen Schulen emotional wurde und Worte hin- und herflogen. Das war schon eine Herausforderung für die Pädagoginnen und Pädagogen.

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) den Schulen noch vor Unterrichtsbeginn Informationen und Unterrichtsmaterialien zum Nahostkonflikt zur Verfügung stellt. Lehrkräfte sollten diese Themen auch aktiv ansprechen, wenn das Interesse vorhanden ist. Es darf jedenfalls nicht passieren, dass, wenn ein Schüler aus einer Haltung oder Emotion heraus Israel beschimpft und Palästinenser nur als Opfer bezeichnet, ein Lehrer sagt, wie machen jetzt aber Matheunterricht. Das Thema darf nicht weggedrängt werden.

Sind die Lehrkräfte auf diese Diskussionen vorbereitet?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich traue ihnen zu, diese schwierigen Fragen in altersgerechte Worte zu fassen, und viele Lehrkräfte fangen bei diesem Thema ja nicht bei null an. Sie erleben, dass zuletzt immer häufiger auf Schulhöfen „Scheiß Jude“ gesagt wird. Antisemitismus spielt im Unterricht eine Rolle.

Lehrerinnen und Lehrer können sagen, dass die Situation für die Palästinenser seit langem schwierig ist und dass es auch auf dieser Seite berechtigte Anliegen gibt. Es kann aber nichts rechtfertigen, wenn Kindern die Köpfe abgeschnitten, Geiseln verschleppt werden und eine Terrormiliz einen Krieg beginnt, dessen Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Hier wurden bewusst und barbarisch Menschen von Hamas-Terroristen umgebracht.

Wie weit sind Sie bei Ihrer Arbeit, Antisemitismus in NRW verstärkt zum Thema im Unterricht und in der Lehrkräfteausbildung zu machen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Da gibt es drei Ebenen. Erstens werden die Schulen bald zum ersten Mal einheitliche Unterrichtsmaterialien für alle Schulen zu Antisemitismus bekommen. Das ist ein Projekt der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit dem NRW-Schulministerium und meinem Büro. Zweitens befinde ich mich mit Schulministerin Feller in einem guten Dialog darüber, das Thema Antisemitismus verpflichtend zum Bestandteil des Vorbereitungsdienstes für Lehrkräfte zu machen. Drittens gibt es Pläne, Antisemitismus im Rahmen der Lehrkräfteausbildung in den Hochschulen zu verankern. Dazu benötigt man das Handeln der Hochschulen, denn sie genießen Wissenschaftsfreiheit.

Antisemitismus kommt oft aus den Familien. Hat der Staat eine Chance, solche Meinungen aufzubrechen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist schwer, an die Eltern heranzukommen. Schülerinnen und Schüler erreicht man in der Schule, aber das familiäre Umfeld ist sehr unterschiedlich. Ich spreche darüber auch mit den muslimischen Verbänden, aber das ist bisher mühsam.

Der Konflikt in Israel könnte weiter eskalieren. Befürchten Sie, dass die derzeit überwiegend israelfreundliche Stimmung kippen könnte, wenn immer mehr Bilder von einer leidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu sehen sind?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich sehe die Gefahr, dass sich die Stimmung dadurch etwas verschieben könnte, hoffe aber, dass sie sich nicht dreht. Wir brauchen eine möglichst breite Solidarität mit Israel. Es gibt heute schon vereinzelt pro-palästinensische Demos und die Verherrlichung des Terrors der Hamas. . Die Hamas wird die Bilder von leidenden Zivilisten für ihre Zwecke benutzen, obwohl sie sie selbst provoziert. Da müssen Menschen fliehen, weil die Hamas in der Nähe von Krankenhäusern ihre Kommandostrukturen aufgebaut hat. Die Zivilisten werden von der Hamas instrumentalisiert.

Reichen die Instrumente aus, um Solidaritätsbekundungen mit der Hamas in NRW zu verhindern?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Verherrlichung von Terror und Kriegsverbrechen ist ein Straftatbestand. Es ist Gerichten auch möglich, im Vorfeld eine Demo zu verbieten, wenn davon auszugehen ist, dass dort zum Beispiel israelische Fahnen verbrannt werden. Im Zweifel muss man von diesen Instrumenten Gebrauch machen, und jeder hat das Recht, das gerichtlich klären zu lassen.

Nimmt der Antisemitismus in NRW und in Deutschland zu?

Leutheusser-Schnarrenberger: Man kann es nicht so sehr an der Zahl der Straftaten ablesen, aber der Antisemitismus ist in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet. Ja, er nimmt zu, und er bekommt immer wieder neuen Nährstoff.