Ruhrgebiet. Neue Baugebiete im Revier müssen qualitativ hochwertig sein, meinen Experten. Auch die Nahversorgung spielt eine große Rolle.

Zugegeben: Für manche ist dieser See ein besserer Tümpel. So groß wie zwei Dutzend Fußballfelder etwa und gerade einmal 1230 Meter lang. Wassersportler kann das kaum beeindrucken. In den Baldeneysee, das Seglerparadies im Essener Süden, passt der Phoenix See in Dortmund glatte elf Mal hinein.

Trotzdem hat es das zum Regenrückhaltebecken aufgestaute Emschernass nebst seiner schicken Uferbebauung zum Inbegriff modernen Wohnens im Ruhrgebiet gebracht. Mehrere Tausend Menschen sind in den vergangenen zehn Jahren auf das ehemalige Stahlwerksgelände im alten Arbeiterstadtteil Hörde gezogen. Auch BVB-Stars haben hier gebaut. Der Phoenix See wurde so zum Vorzeigeprojekt auf internationalen Immobilienmessen – und ist bis heute Lieblingskind der Marketingstrategen des Reviers, wenn es um das Thema Wohnen geht.

Anfang einer Entwicklung

Vor allem: Der Phoenix See steht für den Anfang einer Entwicklung. Bei der Suche nach attraktiven Wohnquartieren, die auch Menschen außerhalb der Region interessieren könnten, tauchte das Ruhrgebiet – von Einzelfällen abgesehen – bis dato nie als Top-Adresse auf. Jahrzehntelang prägte das Thema Arbeit die dicht bebaute Stadtlandschaft zwischen Ruhr, Emscher und Lippe. Schöner Wohnen tat man am Rhein, im Münsterland, in den grünen Randgebieten der Region.

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Mitten im Revier – dort wo malocht wurde – ging es in puncto Wohnen immer zuerst um Zweckmäßigkeit, nicht um Lebensqualität. Trotz aller Erfolge beim Strukturwandel kam das Ruhrgebiet lange nicht los von diesem Aschenputtel-Image. Noch vor wenigen Jahren bewarb eine große Immobilienzeitung eine schmucke Wittener Gründerzeitvilla in der Rubrik: „Wohnen bei Düsseldorf“.

Vergleichsweise moderates Preisniveau

Inzwischen hat sich viel getan – auch wenn Düsseldorf und Co noch immer den Ton angeben auf dem Wohnungsmarkt und nicht jedes aus dem Boden einer alten Brache gestampfte Neubaugebiet im Revier jedem gefällt. Ins Ranking der beliebtesten Städte hat es ohnehin keine Ruhrgebietskommune je gebracht. Andererseits ist der Immobilienmarkt im Revier nicht derart heiß gelaufen wie in Berlin, München oder Frankfurt.

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„Der Wohnungsmarkt Ruhr zeichnet sich im Vergleich mit anderen Ballungsräumen in Nordrhein-Westfalen durch ein moderates Preisniveau und einen ebensolchen Preisanstieg beim Bauland aus“, heißt es denn auch im aktuellen Wohnungsmarktbericht des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Preissteigerungen konzentrierten sich auf die Hellwegzone, schreiben die Experten weiter. Das Spektrum für Bauland- und Immobilienpreise sei nach wie vor groß. Das ermögliche vielen Zielgruppen die Eigentumsbildung.

Dieser Entwicklung will auch der neue Regionalplan des RVR Rechnung tragen. Das Tausend Seiten starke Behördenpapier, das noch von der Politik in Verband und Kommunen abgesegnet werden muss, legt für die nächsten 20 Jahre fest, wo im Ruhrgebiet gebaut, gearbeitet und gelebt werden kann und wo Umwelt und Natur die Oberhand behalten.

Auf Qualität kommt es an

„Vom Feuerwehrmann bis zur Krankenschwester: Wir müssen für alle Nachfragegruppen ein adäquates Wohnangebot bereithalten“, sagt Michael Bongartz, beim RVR zuständiger Referatsleiter für die Regionalplanung. Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müsse man geeignete Flächen finden. Letztlich komme es aber auf die Qualität der Flächen an.

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Michael © Joachim Kleine-Büning

„Gut ausgebildete Fachkräfte achten besonders auf ihr Wohnumfeld. Wollen wir solche Menschen ins Ruhrgebiet locken, müssen wir auf die Qualität der Flächen achten“, sagt Bongartz. Eine große Rolle spiele auch die Nahversorgung: Wo ist der nächste Bäcker, der nächste Supermarkt? Wie weit ist es bis zum Arzt? Liegen Schulen und Kitas in der Nähe? Und wie ist das neue Zuhause an den Nahverkehr angeschlossen? Diese Fragen müssten bei der Ausweisung und Planung künftiger Wohngebiete unbedingt mitgedacht werden, so der gelernte Raumplaner.

2,65 Millionen Bestandswohnungen

Wo überhaupt kann man im Ruhrgebiet wohnen. Und wie sieht das Potenzial aus? 100.000 Hektar Wohnbaufläche gibt es in den Grenzen des RVR, das sind tausend Quadratkilometer, zusammengenommen ein Gebiet größer als die Gesamtausdehnung von Berlin. Auf einem knappen Viertel des Ruhrgebiets wird demnach gewohnt. Die rund 2,65 Millionen Bestandswohnungen sind laut RVR-Wohnungsreport im Landesvergleich überdurchschnittlich alt. Zwei von drei Wohnungen befinden sich in Mehrfamilienhäusern, aber rund 70 Prozent der Gebäude sind Ein- und Zweifamilienhäuser.

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Der neue Regionalplan des RVR weist nun weitere 3500 Hektar für neue Wohngebiete aus. Das wirkt auf den ersten Blick wenig, entspricht aber als Ganzes genommen in etwa der Größe der Nordseeinsel Borkum. Überschlägig können darauf nach Einschätzung der RVR-Raumplaner 115.000 neue Wohnungen entstehen – rein rechnerisch wäre das Platz für über 300.000 neue Revierbürger.

Duisburg hilft Düsseldorf aus

Letztlich kommt es auf die Bauform an, wie viele Menschen in welchen Neubaugebieten wohnen können. In Eigenheimen sind es naturgemäß weniger als in einem Mehrfamilienhaus. „Wer was baut oder ob überhaupt gebaut wird, das legt am Ende jede Stadt selbst fest, nicht wir“, betont Bongartz. Die Planungshoheit bleibe bei den Kommunen. Anders als bei Gewerbegebieten sieht der Plan auch keine stadtübergreifenden Wohngebiete vor.

„Hier hat das Ruhrgebiet noch große Chancen“, sagt Bongartz. Mit einer großen Ausnahmen: Duisburg hilft mit seinem 60 Hektar großen Planungsgebiet „6 Seen Wedau“ dem zum Bersten vollen Düsseldorf aus. Nur weil die stark wachsende Landeshauptstadt aus allen Nähten platzt und einen sogenannten Bedarfsüberhang angemeldet hat, darf Duisburg die ehemalige Gleisanlage als Bauland für sage und schreibe 3000 Wohneinheiten überhaupt ausweisen.

Der Phoenix See ist übrigens inzwischen dicht bebaut. Rund zwei Drittel der insgesamt 2000 Wohneinheiten sind bezogen. Das übrige Drittel befindet sich im Bau oder unmittelbar davor. Trotz hoher Preise gingen die Grundstücke weg wie warme Semmeln. Die Filetstücke in der ersten Reihe des Nordufers waren in sechs Monaten vergriffen. Zu diesem Zeitpunkt war der See noch gar keiner.