Berlin. . Bundeskanzlerin Angela Merkel macht angesichts der neuen Vorwürfe gegen Bundespräsident Christian Wulff Druck auf das Staatsoberhaupt. Wulff will sich in einem Fernseh-Interview zu Wort melden. Derweil fordert laut einer Umfrage knapp die Hälfte der Deutschen den Rücktritt Wulffs.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangt angesichts der neuen Vorwürfe gegen Bundespräsident Christian Wulff Antworten vom Staatsoberhaupt. "Die Bundeskanzlerin geht davon aus, dass er sich erklärt", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. Wulff wollte sich noch im Laufe des Tages in einem Fernsehinterview zu Wort melden. Ein Rücktritt ist aber nicht zu erwarten: Aus Unions-Kreisen war zu hören, der Präsident wolle die Affäre aussitzen. Dabei ist sein Rückhalt selbst in den Koalitionsreihen deutlich geschwunden.

Wulff steht seit mehreren Wochen wegen eines umstrittenen Privatkredits in der Kritik. Zum Wochenbeginn geriet er unter verstärkten Druck, weil nach Angaben des Axel Springer Verlags mehrfach versucht hat, kritische Berichte über seine Hausfinanzierung und seine Familie zu verhindern. Unter anderem hatte er "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann in einem wütenden Anruf bedrängt, einen unliebsamen Artikel aufzuhalten. Bislang hat Wulff zu den neuen Vorwürfen geschwiegen.

Wulff-Interview ab 20:15 Uhr auf ARD und ZDF zu sehen

Streiter betonte, Wulff habe für den Anruf bei Diekmann um Entschuldigung gebeten, und dies sei angenommen worden. "Das sollte nicht vergessen werden." Der Vorfall sei damit im Grunde erledigt. Allerdings sei dies "nicht die einzige Frage", noch dazu seien die Anrufe an die Öffentlichkeit gelangt. Deshalb sei es sinnvoll, sich auch in der Öffentlichkeit dazu zu äußern.

Nach Angaben von ARD und ZDF wollte sich Wulff in einem gemeinsamen Interview der beiden Sender den Fragen von Journalisten stellen. Das Gespräch soll zeitgleich um 20.15 Uhr ausgestrahlt und bereits ab 19.00 Uhr auf tagesschau.de zu sehen sein. Streiter sagte, er vermute, dass Merkel diesen Weg einer Stellungnahme gemeint habe. Zu bewerten, ob ein Interview ausreiche, sei allerdings nicht Sache der Kanzlerin.

Merkel hat "volles Vertrauen" in Wulffs Aufklärungswillen

Der stellvertretende Regierungssprecher sagte, er gehe davon aus, dass Merkel mit Wulff über die Anrufe bei Springer geredet habe. "Alles andere wäre weltfremd." Merkel kenne Wulff gut und stehe in regelmäßigem Austausch mit ihm.

Streiter betonte, die Kanzlerin schätze Wulffs Arbeit außerordentlich. Das habe sie mehrfach gesagt, und "davon hat sie nichts zu widerrufen". Merkel habe "volles Vertrauen", dass Wulff auch weiterhin alle offenen Fragen beantworte.

Vor Weihnachten hatte die Kanzlerin dem Präsidenten "vollstes Vertrauen" ausgesprochen. Streiter betonte, es gebe keinerlei Unterscheidung zwischen beiden Wendungen. Es gehe hier nicht um Kategorien wie bei einem "Arbeitszeugnis".

Angesichts der Berichte über seine umstrittene Hausfinanzierung war Wulff bereits kurz vor Heiligabend im Schloss Bellevue vor die Presse getreten, um sich zu erklären. Nach dem Bekanntwerden der Drohanrufe beim Axel Springer Verlag wuchs der Druck auf ihn, auch zu den neuen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Die Forderung kam nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Koalition.

Knapp die Hälfte der Deutschen verlangt Wulffs Rücktritt - Mehrheit will direkte Wahl des Bundespräsidenten

Angesichts der Kreditaffäre und seiner Drohanrufe bei der Presse meinen 46 Prozent der Bürger, der Präsident sollte abtreten. Ebenso viele wollen Wulff im Amt behalten. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Mediengruppe Madsack, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Vor allem die Ostdeutschen und die 18- bis 29-Jährigen wollen Wulff demnach weiter als Präsident. Für einen Rücktritt sprechen sich laut Umfrage vor allem die über 60-Jährigen und Beamte aus. Käme es zu einer Neuwahl, hätte Wulffs Kontrahent der jüngsten Wahl, der frühere Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, mit 30 Prozent Zustimmung den meisten Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Mehrheit (56 Prozent) sprach sich dafür aus, den Präsidenten künftig direkt vom Volk wählen zu lassen. Forsa befragte am Dienstag bundesweit 1.005 Menschen.

"Wulff, die Witzfigur"

Die CSU stärkte dem Präsidenten am Mittwoch den Rücken. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte im oberbayerischen Wildbad Kreuth, Wulff habe nach wie vor den "Rückhalt" der schwarz-gelben Koalition. Es sei richtig, dass der Präsident nun in einem Interview Stellung nehmen wolle.

Einige Politiker sehen aber keine Zukunft mehr für Wulff im Schloss Bellevue. SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer rief ihn offen zum Rücktritt auf. "Der Bundespräsident ist aus meiner Sicht aufgrund seines Verhaltens nicht mehr tragbar", sagte Schäfer der "Rheinischen Post". "Es ist an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen."

Eine solche Forderung kam selbst aus der CDU. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld (CDU) riet Wulff, den Hut zu nehmen, und brachte den damaligen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck als möglichen Nachfolger ins Spiel. "Es braucht keine neue Enthüllung, um sicher zu sein, dass Wulff gehen muss", sagte sie der Onlineausgabe des "Handelsblatts". "Unser Bundespräsident ist endgültig zur Witzfigur geworden." Jede Stunde, die er sich länger an das Amt klammere, schade der demokratischen Kultur. (dapd)