Berlin. . Bedrohliches Schweigen herrscht in der ersten Reihe der Union. Nicht nur dort werden schon mögliche Nachfolge-Kandidaten genannt. Es wird einsam um den Bundespräsidenten. Ein Ende der Debatte ist nicht in Sicht.

Um den Bundespräsidenten wird es einsam, aber Christian Wulff macht erstmal weiter wie bisher. An diesem Freitag will er den ersten offiziellen Termin des neuen Jahres absolvieren, im Schloss Bellevue empfängt er die Sternsinger aus dem Bistum Essen. Nächste Woche folgen die traditionellen Neujahrsempfänge für Diplomaten und Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Die Termine gab das Präsidialamt gestern bekannt, eine kleine Demonstration der Gelassenheit.

Aber ob Wulff noch alle geplanten Auftritte absolviert oder vorher zurücktritt, ist nicht mehr gewiss - binnen weniger Tage hat sich die Lage für ihn bedrohlich zugespitzt.

Schwindender Rückhalt

Seit bekannt ist, dass der Bundespräsident versucht hat, unliebsame Medienberichte durch Drohungen gegen Journalisten zu verhindern, schwindet der Rückhalt in der Koalition.

Gestern wurde bestätigt, dass Wulff nicht nur vor drei Wochen einen „Bild“-Bericht zu stoppen versuchte, sondern schon im Sommer einen Journalisten der „Welt“-Gruppe ins Schloss Bellevue zitierte und ihm mit unangenehmen Konsequenzen drohte - es ging um einen Artikel über Wulffs Halbschwester, der wie geplant erschien. „Das ist nicht die Größe, die ich von einem Bundespräsidenten erwarte“, tadelte FDP-Vize Holger Zastrow unverblümt.

Kein führender Koalitionspolitiker will sich vor Wulff stellen, zu groß ist das Entsetzen über das desaströse Krisenmanagement. „Niemand weiß doch, was noch kommt. Wir warten es jetzt einfach ab“, hieß es in der Unionsfraktion.

Plan B bis E ist in der Welt

Pläne für den Fall der Fälle gibt es längst: Weil Union und FDP in der Bundesversammlung nur noch eine knappe Mehrheit von vier Stimmen haben, solle möglichst ein Kandidat ins Rennen geschickt werden, den am Ende auch Teile von SPD und Grünen mitwählen könnten: Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), den die SPD bei der letzten Wahl des Staatsoberhauptes selbst ins Gespräche brachte, wird dabei vor allem genannt.

In Frage käme auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU), der parteiübergreifend großes Ansehen genieße, heißt es in der Union. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) galt anfangs als aussichtsreicher Kandidat der Koalition, doch gibt es inzwischen Bedenken, dass die FDP ihn nicht geschlossen mitwählen würde. Spekulationen gibt es schließlich um eine Wahl des Mainzer Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), was gleichzeitig das Signal für eine Große Koalition wäre, aber als sehr unwahrscheinlich gilt.

Eine dritte Erklärung?

Einstweilen herrscht in der Union bedrohliches Schweigen der ersten Reihe. Es wird ergänzt durch Aufforderungen der zweiten Koalitionsreihe, Wulff müsse in den nächsten Tagen eine Erklärung abgeben: Er müsse „zu den Vorkommnissen Stellung nehmen und das Ganze aufklären“, verlangt etwa CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt.

Doch erklären kann der Bundespräsident eigentlich nichts mehr. Seine Fehltritte sind in der Welt, die feierlichen Bekenntnisse zur Pressefreiheit und seine Version der günstigen Kreditgeschäfte oder der Ferien bei Unternehmerfreunden auch. „Das wäre ja schon die dritte Erklärung in eigener Sache, das geht nicht mehr“, sagt ein Unionsstratege. „Die nächste Erklärung wäre nur noch die Rücktrittserklärung.“

Die Opposition verschärft derweil die Tonlage. „Die Schonfrist geht zu Ende“, verkündete SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Wulff habe drei Wochen Zeit gehabt, die Vorwürfe zu entkräften. „Das ist ihm nicht gelungen.“ Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn legte Wulff indirekt, Linke-Fraktionsvize Ulrich Maurer ganz offen den Rücktritt nahe.

Ende der Schonzeit

Bislang hoffte der Bundespräsident, er könne die Affäre aussitzen, und in der Koalition trauen ihm viele das Stehvermögen auch jetzt noch zu. Aber Wulff kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Opposition ihn schont, weil sie angesichts fehlender Mehrheiten ohnehin keinen eigenen Kandidaten durchsetzen kann.

Und Wulff kann auch nicht mehr darauf bauen, dass Kanzlerin Angela Merkel ihn weiter stützt, weil sie eigentlich keinerlei Interesse hat, in diesen unruhigen Zeiten schon wieder einen Bundespräsidenten zu verlieren. Inzwischen ist klar, dass die Affäre so schnell kein Ende findet: Die angelaufene Aufklärung im niedersächsischen Landtag wird nicht nur die Debatte in Gang halten, die Opposition hofft auch darauf, Wulff neue Widersprüche nachzuweisen.

Schon erklärt die SPD in Berlin, angesichts der unaufgeklärten Vorwürfe zur Immobilienfinanzierung und kostenloser Urlaubsaufenthalte könne Wulff „sein Amt nicht mehr unbefangen ausüben“ - eine indirekte Aufforderung, das Amt ruhen zu lassen. Von der Union kann Wulff kaum noch Hilfe erwarten. „Wulff muss sich selber retten“, sagte ein Unionsstratege gestern, „ob er das schafft, ist offen.“