Duisburg. . Trägt Bundespräsident Christian Wulff durch sein Verhalten in der Kreditaffäre dazu bei, dass das Vertrauen der Bürger in Politiker Schaden nimmt? Der Politikwissenschaftler Dr. Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen gibt im WAZ-Interview Antworten.

Die Kreditaffäre von Bundespräsident Christian Wulff beschäftigt seit Wochen die deutsche Öffentlichkeit. Unabhängig davon, ob Wulff gegen Gesetze verstoßen hat oder nicht, stellt sich eine andere – vielleicht sogar viel wichtigere – Frage. Trägt das Staatsoberhaupt dazu bei, dass das Vertrauen der Bürger in Politiker Schaden nimmt? Der Politikwissenschaftler Dr. Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen untersucht in seiner Forschung den Zusammenhang von Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft und gibt im WAZ-Interview Antworten.

Sie untersuchen in ihrer Forschung ethische Werte in der Politik. Wie ist dieser Fall aus ethischer Sicht zu bewerten?

Dr. Christoph Bieber: Zunächst einmal ist das individuelle Verhalten von Christian Wulff zu beachten und die Wertmaßstäbe, die er seinem Handeln beimisst. Hierzu ist beinahe alles gesagt worden, sogar von ihm selbst: der Vorgang mag vielleicht legal gewesen sein, doch dass er für viele Bürger mindestens fragwürdig wirken muss, scheint inzwischen klar. Aus meiner Sicht wäre es wichtiger, nach den Beziehungsnetzwerken im Hintergrund zu fragen. Entstehen Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft, Medien und Society wie jenes in Hannover systembedingt und werden Politiker qua Amt darin eingebunden? Lassen sich hier wiederkehrende Muster finden, dann haben wir einen Ansatzpunkt für eine neue Debatte um Ethik in der Politik unter den Bedingungen von Beziehungsnetzwerken und Geschenkökonomien.

Nicht nur die Opposition wirft Wulff eine Salami-Taktik vor, wenn es um die Aufklärung der Vorwürfe gegen seine Person geht. Inwieweit ist der Bundespräsident selber daran schuld, dass sich die Kreditaffäre so lange auf den Titelseiten hält?

Bieber: Spätestens nach der Offenlegung der Anrufbeantworter-Episode wird deutlich, dass sich Wulff in eine Sackgasse manövriert hat: Er wusste nicht nur, dass recherchiert wird, sondern hatte mit der Ordnung der Kreditangelegenheiten längst Gegenmaßnahmen getroffen. Trotzdem übte er offenbar Druck auf einen prominenten Journalisten aus und äußerte sich dennoch nur sehr knapp und verkürzt zu den Vorwürfen. Die Entlassung seines Sprechers und die langen Antwortzeiten tun ein Übriges. Das ist ein kontraproduktives Krisenmanagement.

Sie haben es angesprochen. Wulff hat versucht, den Chefredakteur der „Bild“-Zeitung in einer Mailbox-Ansage von der Berichterstattung abzuhalten. Er hat sogar versucht, beim Chef des Springer-Konzerns die Nicht-Veröffentlichung durchzusetzen und mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. Wie bedenklich ist dieses Handeln des Staatsoberhauptes?

Bieber: Solange der genaue Wortlaut des Anrufs nicht bekannt ist, sollte man sich hierzu kein abschließendes Urteil erlauben. Die Umstände der Berichterstattung und die sinngemäße Wiedergabe der Inhalte macht aber schon jetzt ein mindestens seltsames Verständnis von Amt, Verantwortung und Eigeninteresse auf der einen und der Rolle der Medien auf der anderen Seite offenbar. Der Bundespräsident geht wohl von einer engen Verzahnung zwischen Politik und Medien aus – in der Forschung spricht man von Interdependenz, einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Daraus hat er sich mittels eines plumpen Manövers lösen wollen – ein solcher Versuch ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Ist Wulff aus ethischer und moralischer Sicht überhaupt noch zu halten?

Bieber: In dieser Affäre bringt sich Wulff selbst immer weiter in Schwierigkeiten. Noch ist zwar nicht geklärt, ob der Privatkredit gegen das niedersächsische Ministerpräsidentengesetz verstoßen hat oder die weitere Kreditvergabe durch die BW-Bank eine Vorteilsnahme darstellen kann. Selbst die Anrufe bei Bild-Chefredakteur Diekmann und Springer-Vorstand Döpfner könnten aus einer juristischen Perspektive folgenlos bleiben. Dennoch offenbaren sich immer mehr ein Amtsverständnis und ein Politik(er)stil, die das Amt des Staatsoberhauptes beeinträchtigen. Gerade weil der Bundespräsident über hohe symbolpolitische Handlungsressourcen verfügt, färben eben auch nur symbolische Verfehlungen ab.

Welche Konsequenzen hat diese Affäre für das Verhältnis zwischen Politik und Bürger?

Bieber: Das Vertrauen der Bürger gegenüber der politischen, aber auch der unternehmerischen und medialen Elite dürfte darunter leiden. Es entsteht der Eindruck eines eng geknüpften Beziehungsnetzwerkes, in dem Geschenke und Gefälligkeiten ausgetauscht werden. Und zwar auf eine höchstwahrscheinlich legale und von außen nur schwer nachvollziehbare Weise, die mitunter auch über die politische Karriere im Amt hinauswirken kann. Das trägt sicher nicht zu einer Bindung von Bürgern und Politik bei – auf keinen Fall für die aktuell handelnden Eliten, deren Reputations- und Vertrauensvorschuss dadurch immer weiter aufgebraucht wird.