Essen. Rund 700 Menschen kamen am Samstag auf den Essener Burgplatz, wo Kanzler Scholz den NRW-Wahlkampf einläutete - und einige Impfgegner abwatschte.

Natürlich ist Olaf Scholz kein zweiter Menschenfischer wie Willy Brandt, der hier in der Essener Innenstadt vor fast genau 50 Jahren bei seiner Abschlusskundgebung zur Bundestagswahl 1972 Tausende Genossen zum Träumen brachte. Doch der heutige Kanzler setzt beim offiziellen Start der SPD-Landtagswahlkampagne am Samstagmorgen auf dem Burgplatz neben dem kleinen Essener Dom überraschend deutlich einen Ton, der seinen Parteifreund Thomas Kutschaty in sechs Wochen ins Ministerpräsidenten-Amt bringen könnte.

Scholz ist als Krisen- und Kriegskanzler ins Ruhrgebiet gekommen. Corona und die Ukraine beschäftigen ihn rund um die Uhr. Er kennt das Gebrüll der Impfgegner und die Empörung der Friedensbewegten über die geplante Bundeswehr-Aufrüstung, die ihm aktuell bei solchen öffentlichen Auftritten entgegenschlägt. Von den etwa 700 Menschen, die zum Burgplatz gekommen sind, will etwa ein Drittel gar nicht zuhören.

Bundeskanzler Olaf Scholz in Essen: Emotionale Worte statt „Scholzomaten“

Doch der Kanzler hat den „Scholzomaten“ irgendwie hinter sich gelassen und schlägt in 20 Minuten ungewohnt emotional den ganz großen Bogen von Russland bis Corona, über Energiewende und soziale Gerechtigkeit. „Wir wollen alles dafür tun, dass wir wieder eine europäische Friedensordnung bekommen, in der die Prinzipien gelten, für die Willy Brandt und Helmut Schmidt und Egon Bahr und Johannes Rau so sehr gekämpft haben, nämlich dass Grenzen unverletzbar sind in Europa, dass kein Krieg geführt wird, weil man mehr Land haben will“, ruft Scholz.

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Das wärmt bei eiskalten Temperaturen und permanenten Dachlawinen, die vom riesigen Baldachin vor der Bühne abrutschen, viele sozialdemokratische Herzen. Um unabhängig von Putins Gas zu werden, soll auch Kutschaty als Ministerpräsident in Düsseldorf die Energiewende besser vorantreiben. „Warum kommt der Ausbau der Erneuerbaren Energien in einigen Ländern so schlecht voran? Weil man die richtigen Leute an der Regierung haben muss, und das kann jetzt in Nordrhein-Westfalen geschehen“, donnert Scholz.

Scholz kontert Impfgegner auf Burgplatz in Essen aus

Sogar das Krakeelen der Impfgegner nimmt der Kanzler ungewohnt angriffslustig im Plural-Du an. Deren Geschrei zeige doch bloß, dass in Deutschland keine Corona-Diktatur herrsche und jede Position gefahrlos vorgetragen werden könne: „Und darum akzeptiere ich den bösen Zynismus nicht, mit dem einige sagen, hier könne man ja seine Meinung zu diesem Thema nicht sagen. Es ist eine Lüge! Schaut Euch um in den Diktaturen dieser Welt, dann wisst ihr, was das bedeutet.“

Bundeskanzler Olaf Scholz und der SPD-Spitzenkandidat zur NRW-Landtagswahl, Thomas Kutschaty, eröffnen auf dem Burgplatz in Essen gemeinsam mit den Parteivorstzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie der designierten saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger offiziell die Wahlkampagne der SPD.
Bundeskanzler Olaf Scholz und der SPD-Spitzenkandidat zur NRW-Landtagswahl, Thomas Kutschaty, eröffnen auf dem Burgplatz in Essen gemeinsam mit den Parteivorstzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie der designierten saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger offiziell die Wahlkampagne der SPD. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die wichtigste Botschaft ist an diesem Tag eine unausgesprochene. In der ersten Reihe vor der Bühne hat die gesamte SPD-Prominenz Aufstellung bezogen: Die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Saarland-Sensationssiegerin Anke Rehlinger. Sogar NRW-Prominenz, die sich zuletzt rar gemacht hatte, wie Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Urgestein Mike Groschek wippen zum Coverband-Song „1000-mal berührt“.

Regierungspragmatismus: SPD „hakt“ sich in NRW unter

Der unerwartete Sieg bei der Bundestagswahl habe der SPD ihren selbstzerstörerischen „Selbsthass“ ausgetrieben, notierte neulich die „Süddeutsche Zeitung“. In NRW jedenfalls finden zum ersten Mal seit Jahren keine Links-Rechts-Debatten, keine Flügelscharmützel und keine Selbstbeschäftigung statt. Es wirkt wie die Wiederentdeckung der Solidarität. Scholz, der lange von der NRW-SPD im Allgemeinen und von Kutschaty im Besonderen bekämpft wurde, scheint auch dem größten Landesverband selbstbewussten Regierungspragmatismus eingeimpft zu haben. Man werde sich „unterhaken“ und tun, was die Bürger von einer professionellen und verantwortungsbewussten SPD erwarteten, gibt der Kanzler seit Wochen als Parole aus.

Der „Scholz-Schub“ hilft dem noch recht unbekannten Kutschaty, dessen im Pullover vorgetragene Rede auf dem Burgplatz eher nicht so toll zündet. Ihm fehlt trotz eines gleich zweimal vorgeführten Image-Films über den Aufstieg des Eisenbahner-Kindes Thomas aus Essen-Borbeck diese Windjacken-Robustheit einer Anke Rehlinger, die den Genossen einheizt: „Das Signal von der Saar an Rhein und Ruhr lautet: Der Wechsel ist möglich.“ Oder die Chuzpe eines Klingbeil, der den noch neuen NRW-Regierungschef und Laschet-Nachfolger Hendrik Wüst (CDU) mal eben einen „Ministerpräsidenten, den in Berlin keiner kennt“ nennt.

Thomas Kutschaty soll vom Kanzler-Abglanz profitieren

Kutschaty soll dagegen vom Kanzler-Abglanz profitieren und umgekehrt mit einer SPD-geführten Ampel-Landesregierung Scholz und Co. demnächst in Berlin die Verständigung mit dem Bundesrat erleichtern. Schon am vergangenen Dienstag kam Scholz auf Kutschatys Handy-Zuruf spontan als Wahlkampfhelfer nach Düsseldorf. In Essen gibt der Kanzler zu verstehen, dass man ihn am 15. Mai gewissermaßen ein bisschen mitwählen kann: „Wir werden das, was Thomas Kutschaty sich hier vorgenommen hat, bundesweit unterstützen.“

Vor seinem Auftritt in Essen hatte Scholz die Friedrichs-Wilhelm-Hütte in Mülheim besucht und sich über die Stahlproduktion dort informiert. Was der Kanzler bei seinem Rundgang durch den Betrieb erfuhr, lesen Sie in diesem Bericht. Auch in Bottrop schaute der Bundeskanzler vorbei, über das Erfolgsprojekt Innovation City sagte der Kanzler: „Wir können von Bottrop lernen.“ Zum Bericht geht es hier.

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