Witten. „Ich habe noch nie einen Januar erlebt, der so schlecht war wie dieser“, sagt der Wittener Gastronom „Toto“ Wottrich. Woran das liegt.
- Die Corona-Pandemie vor fünf Jahren zwang „Toto“ zur Schließung der „Alten Post“.
- Einnahmen blieben aus, die Kosten für die Miete liefen unvermindert weiter.
- Bis heute spürt der Wittener Wirt die Nachwirkungen - doch Aufgeben ist für ihn keine Option.
Corona hat nur wenige Branchen so hart getroffen wie das Gastgewerbe. Zur Bekämpfung der Pandemie mussten Hotels und Restaurants, Bistros und Kneipen monatelang dicht machen. Selbst danach gab es Auflagen wie Maskenpflicht, Hygienekonzept, Mindestabstand, Gastobergrenzen sowie Testnachweise für Geimpfte und Genesene. Kurzarbeit folgte. Trotz Wirtschaftshilfen schlossen vielerorts Betriebe. Der Wittener Gastronom Thorsten „Toto“ Wottrich (57, „Alte Post“) kam durch. Wie hat er das geschafft?
„Toto“ Wottrich hat eine markante Stimme. Der freundlich brummelnde Bass verrät allerdings auch, dass der 57-Jährige zu den Risikogruppen gehört, die als besonders anfällig für einen schweren Corona-Verlauf gelten. Der bekennende Raucher macht kein Geheimnis daraus.
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Wittener Wirt von Corona-Lockdown überrascht
Mit Schrecken erinnert sich der Kneipier immer noch daran, wie die Pandemie immer näher nach Witten kam. Auf explodierende Infektionszahlen folgten im Fernsehen wie im Netz Bilder von Leichenwagen. „Und plötzlich wird bei uns darüber diskutiert, ob alles zugemacht wird“, erzählt „Toto“ Wottrich vom ersten Lockdown, der vom 22. März 2020 begann. Der Wittener war, als das gesellschaftliche Leben in Deutschland plötzlich stillstand, mit seiner Frau Anja (54) in Hamburg: „Wir wollten zur Hotel- und Gaststätten-Messe. Wir hatten mehrere Tage gebucht. Und plötzlich war alles geschlossen.“ Was nun? Die Wottrichs liefen zweieinhalb Tage lang durch eine Geisterstadt: „Wir konnten nirgendwo reingehen. Selbst im Hotel war es so: Du hast Deine Brötchen vorgeschmiert aufs Zimmer bekommen.“
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Das Ende des Kurztrips war für das Ehepaar Wottrich der Beginn einer siebenmonatigen erzwungenen Arbeitslosigkeit: „Das fühlt sich komisch an, wenn Du Dein ganzes Leben lang gearbeitet hast, sechs Tage die Woche: mindestens.“ Von einem Tag auf den anderen verlor das Leben von „Toto“ Wottrich seine gewohnte Struktur: „Wann Du aufstehst, war damals eigentlich egal.“ Dazu kam die lange Ungewissheit, wann die Zwangspause beendet sein würde. Kurzum: Das Wittener Original verlor zeitweilig die Motivation, Dinge zu erledigen, die sonst neben dem Tagesgeschäft anfallen.
„Alte Post“ in Witten muss herbe Verluste verkraften
Eine andere Folge der Pandemie spürt „Toto“ Wottrich nach wie vor: den finanziellen Schaden. Ehefrau Anja, zuständig für die Buchhaltung, rechnete ihm vor: keine Einnahmen bei laufenden Kosten. Zwar sparte Wirt Wottrich bei den Kosten für Strom, Gas und Wasser, Miete indes lief weiter. Und Hausbesitzer Wottrich musste weiterhin Steuern und Abgaben zahlen, von weiteren Verpflichtungen zu schweigen. Den Schaden mag „Toto“ Wottrich nicht auf Euro und Cent beziffern. Nur so viel: „Es waren einige zehntausend Euro.“
Bitterer Beigeschmack
Corona hat im Gastgewerbe einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Das geht aus der jüngsten Bilanz des Branchenverbands Dehoga NRW hervor. Er wurde im Februar vorigen Jahres veröffentlicht. Im letzten Corona-Jahr 2023 lagen demnach die Umsätze von Hotels und Gastronomie 15 Prozent unter den Zahlen des letzten Vor-Corona-Jahres 2019. „Die wirtschaftliche Lage bleibt trotz Übernachtungsrekorden insgesamt sehr angespannt, der Kosten- und Bürokratiedruck enorm“, hieß es. Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für Speisen und Getränke ist längst Geschichte. Längst sind wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig – wie vor Corona. Zudem ächzt die Branche unter steigenden Kosten für Personal, Lebensmitteln, Energie. Dazu kommt, wie es heißt, mehr Bürokratie.
Die Chancen, den Verlust wieder hereinzuwirtschaften, sind gesunken. „Toto“ Wottrich nennt den Grund dafür: Das Ausgehverhalten seiner Gäste hat sich verändert. In der „Alten Post“ zischt sich traditionell ein Fußball-Publikum sein Bier. Doch die Betriebsschließungen in der Corona-Zeit führten dazu, dass sich etliche Fans in privater Runde Fußball vorm Fernseher sahen: Streaming-Angebote wie Magenta TV, Amazon Prime oder DAZN machten’s möglich.
Ein Teil des Publikums blieb der neuen Gewohnheit treu. Seither fehlt es am Tresen. Den Rückgang der Gästezahlen beziffert der Gastro-Fachmann, je nach Wochentag, auf fünf bis 50 Prozent. „Ich habe noch nie einen Januar erlebt, der so schlecht war wie dieser. Die Preise sind gestiegen. Und die Leute trinken bei mir immer drei, vier, fünf Bier. Aber dafür kommen sie weniger. Es gibt nichts Schlimmeres für die Gastronomie als ein nicht gut besuchter Laden.“
Wittener Wirt sucht nach ausdauernden Arbeitskräften
Und noch etwas fehlt seit Corona: das Personal. „Das gilt vor allem für Aushilfen.“ Gastro-Personal wanderte in andere Branchen ab. „Leute wieder zurückzuholen für eine Arbeit, die am Wochenende bis spät in die Nacht dauert, ist nicht leicht.“ Derzeit sucht „Toto“ Wottrich Unterstützung: zwei, eventuell drei Neue. Gute Kondition ist gern gesehen. Am Wochenende zapfen „Toto“ & Co., wenn’s gut läuft, bis halb sechs Uhr morgens.
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Eine volle Kneipe bedeutet in der kalten Jahreszeit ein erhöhtes Risiko, sich zu erkälten. Das weiß „Toto“ Wottrich. Bei dem Gedanken daran muss er grinsen. Corona ist an ihm lange vorbeigegangen. Der Wirt ist zwar geimpft, doch die zeitweilige Maskenpflicht befolgte er nicht mit aller Konsequenz. Er hatte Glück: „Erst vor einem halben Jahr hat es mich erwischt. Andere, die penibel waren, hatte da schon drei Mal Corona. Und ich habe immer gesagt: Die Viren haben auch ihren Stolz – die packen mich nicht an.“
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