Mülheim. Andreas Johren kandidiert für den Bundestag. Erst seit Sommer Parteimitglied, schlägt sein Herz doch schon lange links. Was ihm wichtig ist.

Der AfD-Bundesparteitag im Juni in Essen und die Correctiv-Enthüllungen zum Treffen von AfD-Politikern mit Neonazis in Potsdam haben das Fass zum Überlaufen gebracht: Der Mülheimer Andreas Johren fühlte sich „stark an die Zeit von 1933 bis 1945 erinnert“. Er wollte nicht länger nur zusehen, schloss sich der Gegendemo vor der Gruga in Essen an und trat der Partei „Die Linke“ bei. Nun ist der 52-Jährige bei der Bundestagswahl ihr Direktkandidat.

Die Reden von AfD-Politikern beunruhigen ihn, sagt Johren, „diese Art und Weise, wie herablassend da gesprochen wird und wie ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden“. Von Hause aus, „als klassisches Arbeiterkind aus Eppinghofen“, habe es nahegelegen, sich den Sozialdemokraten anzuschließen. Der Vater Maschinenschlosser, die Mutter Hausfrau, „da wählt man SPD“. Doch im Leben gab es auch andere Einflüsse, allen voran einen Freund, der schon zu Schulzeiten sämtliche Werke von Marx und Engels verschlungen hat. „Wir saßen stundenlang auf einer Tischtennisplatte und haben diskutiert. Das hat mich tief geprägt.“

Mülheimer nennt Gerechtigkeit als zentrales Thema

Andreas Johren - Direktkandidat der Linken
Andreas Johren von den Linken kandidiert im Wahlkreis Mülheim/Essen I für den Bundestag. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Gerechtigkeit war ein zentrales Thema, und ist es heute noch. „In der reinen Marktwirtschaft erlangt man diese nicht, in der sozialen Marktwirtschaft geht das schon eher – aber nicht, wenn zu viele Gruppen ihre Interessen knallhart durchsetzen wollen“. Dass im Programm seiner Partei der demokratische Sozialismus als Ziel aufgeführt ist, findet er grundsätzlich richtig. „Das ist die Richtschnur. Aber eine Gesellschaft muss dafür erst bereit sein. Wird das System erzwungen, endet das oft in einer Diktatur. Und die will keiner.“

Nach dem Abi am Berufskolleg in Saarn entschied sich Johren für eine Ausbildung zum Kaufmann für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft beim Mülheimer Wohnungsbau. „Ich wollte bei einem Unternehmen arbeiten, das auch gemeinnützig denkt.“ Die Genossenschaft tat es, „die haben tolle Projekte gemacht, etwa die Häuser an der Moritzstraße saniert, aber mit sozialem Anspruch“. Die türkischstämmigen Arbeiter, die zuvor in den heruntergekommenen Gebäuden gewohnt hatten, durften wieder einziehen. Und man setzte nicht auf Kabelfernsehen, sondern Satellitenanlagen, „so konnten sie heimische Sender empfangen“.

„Es gibt eben auch Unternehmen, die richtig Kohle mit dem Grundbedürfnis Wohnen machen“

Über die Jahre war Johren bei verschiedenen Firmen der Wohnungswirtschaft angestellt und erlebte auch Sachen, die ihm nicht behagten. „In meinem Postkörbchen fanden sich Anwaltsschreiben und Beschwerden über Mietwucher. Es gibt auch Unternehmen, die richtig Kohle mit dem Grundbedürfnis Wohnen machen.“ Für ihn war das nichts, mehrfach wechselte er den Job, ging dann an die Uni, studierte Sozialwissenschaften und Englisch. Mit einem Mal aber waren Studiengebühren fällig, „da musste ich wieder arbeiten gehen“.

Andreas Johren - Direktkandidat der Linken
Andreas Johren beim Interview im Mülheimer Café „Das Kaff“. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Vor fünf Jahren ereilte den Mülheimer dann eine Depression. Johren hat keine Scheu, über diese Zeit zu reden. „Das gehört zum Lebenslauf dazu.“ Die Familie habe ihn stark unterstützt, erzählt der fünffache Vater. „Meine Frau hat entschieden, Vollzeit als Lehrerin zu arbeiten. Ich kümmere mich seither um den Haushalt.“ Mithilfe von Therapeuten ist es gelungen, „dass ich mich seit Jahren stabil fühle“.

Zuwanderung bietet Chancen, findet der Bundestagskandidat

Die Kraft will er nutzen, um den Linken eine Stimme zu geben. „Mir gefällt, dass die Partei nicht auf Umfragen fokussiert ist und an Überzeugungen festhält.“ Konsequent sei sie auch beim Thema Migration, „sie tutet nicht gleich in jedes Horn“. Zuwanderung werde es immer geben, und sie biete ja auch Chancen: „Wir haben Fachkräftemangel und es fehlen Leute, die in niederschwelligen Berufen arbeiten.“

Johren hält nichts davon, Menschen, die sich hier strafbar gemacht haben, abzuschieben. „Wir sollten sie hier bestrafen, so wie andere auch.“ Für ihn sind Migrationsverschärfungen keine Option, „auch wenn es Fälle gibt, die furchtbar sind, so wie jetzt in Aschaffenburg“. Wo Menschen seien, gebe es Probleme - die müsse man in den Griff bekommen. „Einfach zu sagen, wir wollen hier keinen mehr, führt zu einer negativen Grundstimmung. Dann läuft im Land alles noch viel schlechter.“

Wer sich nur aufregt, kommt nicht voran, sagt der 52-Jährige, und formuliert noch einen unerwarteten Gedanken: „Es wäre schön, wenn sich die CDU gedanklich und inhaltlich nicht von Merkel distanziert, sondern ihre Menschlichkeit zurückgewinnt.“

„Starke Schultern müssen mehr tragen“, fordert Johren

Beim Thema Wirtschaft kommt der Linken-Vertreter auf Steuergerechtigkeit zu sprechen - „starke Schultern müssen mehr tragen“ - und auf Lebenshaltungskosten. „Die Mehrheit muss mehr übrig haben.“ Sinnvoll sei es, für einige Jahre Mieterhöhungen zu untersagen. Und die Schuldenbremse zu reformieren: „Sie führt dazu, dass wir nicht groß investieren können.

Doch wenn die private Wirtschaft nicht investiert, muss der Staat ran.“ Er müsse einen Rahmen schaffen, um Unternehmen zu reizen, sich vor Ort niederzulassen. Trotz der Sorge, dass man den nächsten Generationen mehr Schulden hinterlässt, müsse man Geld in die Hand nehmen, etwa für Digitalisierung. „Sonst hinterlässt man der Jugend eine schrottige Infrastruktur. Und das kann es auch nicht sein.“

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Beim Gespräch über den Ukraine-Krieg lobt Johren erneut die Standhaftigkeit der Linken: Sie halte an „Frieden schaffen ohne Waffen“ fest, trotz allem. Langfristig, findet er, muss man auf Waffenlieferungen verzichten und bald an den Verhandlungstisch zurückkehren. Seine Meinung zu Sahra Wagenknecht? „Sie war eine Lichtgestalt, ist aber irgendwann falsch abgebogen.“ Das sei kein wirklicher Verlust, man streite nun „auf respektvolle Art und Weise“ und gewinne neue Mitglieder.

Andreas Johren - Direktkandidat der Linken
Ein jüngst verstorbenes Urgestein der Mülheimer Politik ist ein Vorbild für Andreas Johren: Lothar Reinhard von den MBI. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Auch wenn das Herz schon lange links schlägt, offiziell ist Johren erst seit Sommer am Ball. Ihm fehlte vor Ort „oft eine linke Stimme“, nun wolle er die Botschaft senden: Wir sind da! Ein Vorbild ist übrigens der jüngst verstorbene MBI-Gründer Lothar Reinhard. „Er hatte sehr eigene Ansichten, hat in der Gesellschaft aber viel aufgebrochen. Er hat hinterfragt, sich was getraut. Das fand ich super - auch wenn er mit der Linkspartei nichts zu tun hatte.“

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