Mülheim. Mülheim 1924 - die Stadt von den Franzosen besetzt, der Bau der Stadthalle läuft als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Und Ruhrbaron Stinnes stirbt.

Mülheim vor 100 Jahren. 1924 leben in unserer Stadt 127.000 Menschen. Und sie haben die Wahl, sowohl bei der Kommunal- und Reichstagswahl.

Das Wahlrecht ist denkbar demokratisch und kennt keine Sperrklausel. Der vor fünf Jahren ausgerufenen Republik sei Dank. Die Sozialdemokraten stellen mit dem Sozialdezernenten Ernst Tommes erstmals einen Beigeordneten. Doch an der Spitze der Stadt steht ein Liberaler, der 64-jährige Jurist Dr. Paul Lembke.

Mülheim bekommt vor 100 Jahren eine kommunale Feuerwehr

1924 war Paul Lembke (links) Mülheims Oberbürgermeister und Martin Gerste (r.) sein Sportamtsleiter. 
1924 war Paul Lembke (links) Mülheims Oberbürgermeister und Martin Gerste (r.) sein Sportamtsleiter.  © Stadtarchiv

In seinen bisher 20 Amtsjahren hat er die urbane Infrastruktur gestärkt. Dazu gehört auch die 1924 realisierte Einrichtung einer kommunalen Feuerwehr. Sie tritt mit 17 Feuerwehrmännern unter der Leitung des Branddirektors Paul Sorge am 1. April 1924 ihren Dienst an. Doch die Feuerwache an der Aktienstraße muss sich die Wehr vorerst noch mit dem städtischen Gaswerk teilen.

Ein Blick auf den Hof der Alten Feuerwache an Mülheims Aktienstraße, die 1924 bezogen wurde.
Ein Blick auf den Hof der Alten Feuerwache an Mülheims Aktienstraße, die 1924 bezogen wurde. © Stadtarchiv

Seit einem Jahr ist die Stadt von französischen Soldaten besetzt. Sie wollen Mülheims Kohle als Reparation für den von Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg. Die Lieferungen von der Ruhr sollen beim Wiederaufbau des ebenfalls vom Krieg stark betroffenen Frankreich helfen. Apropos Kriegsfolgen. Gerade erst haben die Mülheimer die Hyperinflation hinter sich. Zum Teil wird noch mit städtischem Inflationsgeld bezahlt. Der Bau der Stadthalle ist vor 100 Jahren als kommunale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme noch im vollen Gange.

Ruhrbaron Hugo Stinnes hinterlässt bei seinem Tod einen Weltkonzern

Im Reichstag sitzen 1924 mit dem Industriellen Hugo Stinnes, dem Saarner Postbeamten Joseph Allekotte und dem 1881 in Dümpten geborenen Ernst Oberfohren drei Mülheimer im Reichstag, wobei Oberfohren inzwischen in Schleswig-Holstein lebt.

Allekotte gehört zur katholischen Zentrumspartei, Stinnes zur liberalen Deutschen Volkspartei und Oberforen zur Deutschnationalen Volkspartei. Doch Hugo Stinnes, der sich selbst als „Kaufmann aus Mülheim“ beschreibt, wird das Wahljahr 1924 nicht überleben. Er stirbt am 10. April im Alter von 54 Jahren an den Folgen einer misslungenen Gallenblasenoperation. Stinnes hinterlässt einen aus mehr als 1500 Firmen bestehenden Weltkonzern, der 600.000 Menschen beschäftigt.

Der Mülheimer Industrielle und Reichstagsabgeordnete Hugo Stinnes starb 1924 infolge einer misslungenen Gallenblasen-Operation. 
Der Mülheimer Industrielle und Reichstagsabgeordnete Hugo Stinnes starb 1924 infolge einer misslungenen Gallenblasen-Operation.  © Stadtarchiv

Bei den Wahlen 1924 in Mülheim haben die Kommunisten die Nase vorn

Politisch haben die Kommunisten sowohl bei der Reichstagswahl als auch bei der Kommunalwahl 1924 in Mülheim die Nase vorn, gefolgt vom katholischen Zentrum, den Liberalen, den Deutschnationalen und den Sozialdemokraten.

Kommunisten, Sozialdemokraten und Zentrum kämpfen um die Gunst der starken Industriearbeiterschaft. Dabei profitiert das Zentrum vom stetig steigenden Bevölkerungsanteil der Katholiken, die als Arbeitsmigranten in die Stadt kommen und 1924 ein Drittel der Bürgerschaft stellen. Außerdem ist die Partei auch im katholischen Bürgertum verankert. Liberale und Deutschnationale buhlen vor allem um das protestantische Bürgertum, dass sein Geld zum Beispiel in Handel, Handwerk und Landwirtschaft verdient.

Mülheimer Jahresrückblicke

Erste Lebenszeichen der späteren NSDAP in Mülheim

1924 ziehen erstmals auch zwei Stadtverordnete des Völkisch-Sozialen-Blocks in den 51-köpfigen Stadtrat ein. Aus den Reihen dieser politischen Formation wird ein Jahr später der Kreisverband der NSDAP hervorgehen.

Die Frauenquote im 1924 gewählten Stadtrat ist bescheiden. Nur drei der 51 Ratsmitglieder sind weiblich. Frauen wie die Stadträtinnen Maria Büßemeier (Zentrum), Luise Blumberg (Liberale) und Katharina Meyer (Sozialdemokratie) sind politische Pionierinnen. Denn Frauen können in Deutschland erst seit fünf Jahren wählen und gewählt werden. Der Republik sei Dank. Für die Volksschullehrerin Maria Büssemeyer und Luise Blumberg beginnt 1924 bereits ihre zweite Legislaturperiode im Rat der Stadt.

Fritz Thyssen: Mülheimer ist ein tragische Figur der deutschen Geschichte

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Zu den 1924 neu gewählten Stadtverordneten gehören auch der Industrielle Fritz Thyssen, der für die Deutschnationalen in den Rat der Stadt einzieht, der Kreishandwerksmeister Max Kölges (Zentrum) und der kommunistische Arbeiter, Gewerkschafter und Gastwirt Otto Gaudig.

Thyssen hat sich im Jahr vor der Wahl als führender Vertreter des passiven Widerstandes gegen die französische Ruhrbesetzung profiliert. Er wird später als Hitler-Förderer, der sich zum Hitler-Gegner wandelt, zur tragischen Figur der deutschen Geschichte. Der 1878 geborene Gaudig muss seinen Widerstand gegen die NS-Diktatur 1945 mit dem Leben bezahlen. Und der 1880 geborene Friseurmeister Kölges wird nach 1933 von den Nationalsozialisten um seine berufliche Existenz gebracht.

Mülheims späterer Ehrenbürger Max Kölges zieht erstmals in den Stadtrat ein

Der spätere Bürgermeister Max Kölges zog 1924 für das Zentrum in den Stadtrat ein. Er wurde später zum Ehrenbürger Mülheims ernannt.
Der spätere Bürgermeister Max Kölges zog 1924 für das Zentrum in den Stadtrat ein. Er wurde später zum Ehrenbürger Mülheims ernannt. © Stadtarchiv

Der achtfache Familienvater muss seinen Lebensunterhalt in der NS-Zeit als Versicherungsmakler verdienen. Doch er überlebt die Diktatur und erlebt nach 1945 als Kreishandwerksmeister, CDU-Stadtverordneter, Landtagsabgeordneter, Bürgermeister und Vizepräsident der Handwerkskammer ein glückliches Comeback. 1962 verleiht ihm die Stadt in Anerkennung seiner sozialen und kommunalpolitischen Verdienste um seine Wahlheimat ihre Ehrenbürgerschaft. Seit 1982 erinnert die Max-Kölges-Straße in der Stadtmitte an ihren Namensgeber.

Mülheim war 1924 von französischen Soldaten besetzt. Hier marschieren sie über die damalige Schloßstraße in der Innenstadt.
Mülheim war 1924 von französischen Soldaten besetzt. Hier marschieren sie über die damalige Schloßstraße in der Innenstadt. © Stadtarchiv
Vor 100 Jahren war das Pressehaus an der Eppinghofer Straße Mülheims höchstes Gebäude.
Vor 100 Jahren war das Pressehaus an der Eppinghofer Straße Mülheims höchstes Gebäude. © Stadtarchiv
Diese alte Postkarte zeigt Mülheims Ruhr mit dem Kassenberg.
Diese alte Postkarte zeigt Mülheims Ruhr mit dem Kassenberg. © Sammlung Klaus Hoffmann
So zeigte sich im Jahr 1924 der Mülheimer Ratssaal auf einer Postkarte.
So zeigte sich im Jahr 1924 der Mülheimer Ratssaal auf einer Postkarte. © Stadtarchiv
Der Industrielle Fritz Thyssen zog 1924 für die Deutschnationalen in den Stadtrat ein.
Der Industrielle Fritz Thyssen zog 1924 für die Deutschnationalen in den Stadtrat ein. © Stadtarchiv
Der in Dümpten geborene Lehrer Ernst Oberfohren zog 1924 für die Deutschnationalen in den Reichstag ein. 
Der in Dümpten geborene Lehrer Ernst Oberfohren zog 1924 für die Deutschnationalen in den Reichstag ein.  © Bundesarchiv
Der Saarner Postbeamte Joseph Allekotte zog 1924 für das Zentrum in den Reichstag ein. 
Der Saarner Postbeamte Joseph Allekotte zog 1924 für das Zentrum in den Reichstag ein.  © Bundesarchiv
Der spätere Widerstandskämpfer Otto Gaudig zog 1924 für die Kommunisten in den Stadtrat ein.
Der spätere Widerstandskämpfer Otto Gaudig zog 1924 für die Kommunisten in den Stadtrat ein. © Stadtarchiv

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