Mülheim. Zum Empfang im Haus der Stadtgeschichte slammte Ella Anschein. Historikerin Susanne Abeck gab Frauen der ersten Stunde in Mülheim ein Gesicht.

Dass auch junge Frauen das Frauenwahlrecht als wichtige politisch-gesellschaftliche Errungenschaft würdigen und den Frauen, die heute aus lauter Bequemlichkeit nicht wählen gehen, die Leviten lesen, zeigte höchst unterhaltsam die Poetry-Slammerin Ella Anschein. Beim Vortragsabend anlässlich der „100 Jahre Frauenwahlrecht“ samt späterem Empfang im Haus der Stadtgeschichte machte die 22-Jährige den Eisbrecher: „Die kleine, klitzekleine Stimme, die du hast“ wurde im fiktiven Dialog mit einer wahlfaulen Freundin zum großen Thema, unterstützt von Zitaten politischer und starker Frauen wie Olympe de Gouges, Clara Zetkin und auch Rita Süssmuth. „Noch vor 100 Jahren war das Wählen männlich, das haben wir vergessen, das ist selbstverständlich“ – die gefeierte Wortakrobatin brachte das Thema ebenso sensibel wie deutlich auf den Punkt. Danach nahm Ella den Giesinger-Songtext „Und wenn sie tanzt“, der Frauen eine Opferrolle zuweise, höchst frech-unterhaltsam auseinander.

Überwiegend weibliches Publikum im Saal

Zuvor hatten Stadtarchivleiter und Hausherr Dr. Kai Rawe und die Leiterin der Gleichstellungsstelle, Antje Buck, als Veranstalter das überwiegend weibliche Publikum im Saal begrüßt. Die Historikerin Susanne Abeck gab einen Einblick in die gesellschaftliche Situation vor 100 Jahren und den ersten drei gewählten Frauen, die im März 1919 ins Mülheimer Stadtparlament einziehen durften, ein Gesicht. Im übertragenen Sinne, denn zu 100 Jahre Frauenwahlrecht „ist der Überlieferungsstand schlecht“ betont die Historikerin, die auch an die Lebensmittelknappheit kurz nach dem ersten Weltkrieg und den Bergarbeiterstreik im Revier erinnerte.

Maria Büßemeyer, Katharina Havermann und Luise Blumberg saßen damals zu dritt im „Ausschuss für Wohlfahrtspflege“, berichtete Susanne Abeck, zusammen mit zwölf Männern, im Rat stand es drei zu 69. Büßemeyer und Havermann kamen vom Zentrum, Blumberg von der Deutschen Volkspartei. Die Sozialdemokraten hatten in Mülheim, so Abeck, anders als in Essen, für ihre Frauen keinen günstigen Listenplatz übrig. Ella Anschein slammte zum Abschluss noch über Vorbilder und „Girls“, was ihr viel Applaus einbrachte. Gut gelaunt nutzten etliche Gäste noch den Sektempfang im Anschluss für angeregte Gespräche.