Mülheim. Wählen durfte 1918 nur, wer die richtige Steuerklasse und das richtige Geschlecht hatte. Ein Blick in die Geschichte der Mülheimer Kommunalwahl.
Tausende Mülheimer haben am 13. September die Wahl: Sie machen ihr Kreuzchen für einen der zehn Bewerber um den Posten des neuen Oberbürgermeisters und wählen zudem den Rat der Stadt und drei Bezirksvertretungen. Das war nicht immer so. Wir werfen einen Blick zurück in die Geschichte der Mülheimer Kommunalwahlen.
Bis zum Ende des Kaiserreiches im Jahr 1918, galt bei preußischen Kommunalwahlen und damit auch in Mülheim ein Dreiklassenwahlrecht. Es teilte die Bürger nach ihrem Steueraufkommen in drei Klassen ein. Das führte dazu, dass die breite Bevölkerung, die vergleichsweise wenige Steuern zahlte, drei Viertel der Bevölkerung, aber nur ein Drittel der Stimmen stellte.
Frauen durften erst ab 1919 wählen
Umgekehrt stellten die wohlhabenden Mülheimer, die sich in der ersten und zweiten Steuerklasse wiederfanden, nur ein Viertel der Bevölkerung, aber zwei Drittel der Stimmen. Hinzu kam, dass die Frauen bis 1918 gar nicht stimmberechtigt waren.
Am 2. März 1919 fand die erste Kommunalwahl statt, bei der Frauen wählen durften und gewählt werden konnten. Mit Luise Blumberg (liberale Deutsche Volkspartei), Maria Büßmeyer und Katharina Havermann (beide katholisches Zentrum) zogen damals die ersten Frauen ins Stadtparlament ein. Allerdings standen sie damals einer männlichen Übermacht von 69 Ratsherrn gegenüber. Zum Vergleich: Von den heute 55 Stadtverordneten sind elf Frauen.
Eleonore Güllenstern wurde 1982 erste Oberbürgermeisterin der Stadt
Es sollte bis 1982 dauern, ehe mit der Sozialdemokratin Eleonore Güllenstern die erste Frau zur Oberbürgermeisterin Mülheims gewählt wurde. Anders als ihre Nachfolger, waren Güllenstern und ihre Nachkriegsvorgänger nur Vorsitzende des Stadtrates und Repräsentanten der Bürgerschaft, während die Verwaltung zwischen 1946 und 1999 von einem Oberstadtdirektor geführt wurde.
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Oberbürgermeister, wie heute, Repräsentanten der Bürgerschaft, Vorsitzende des Rates und Verwaltungschef. Sie wurden damals aber nicht direkt durch die Bürgerschaft, sondern durch die von den Bürgern gewählten Stadtverordneten ins Amt gewählt.
Das galt auch für die Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren der Nachkriegszeit. Sie wurden nach der von der britischen Besatzungsmacht eingeführten Kommunalverfassung von 1946 nicht direkt durch die Bürgerschaft, sondern durch das Stadtparlament gewählt.
Nazis wurden ab 1933 stärkste Fraktion im Rat der Stadt
Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit waren 1933 rund 17.000 der damals 128.000 Mülheimer erwerbslos, was den Nationalsozialisten immer mehr Stimmen verschaffte. 1929 zogen sie erstmals mit einem Stadtverordneten ins Stadtparlament ein.
Vier Jahre später stellten die Nazis nach der Kommunalwahl im März 1933 mit 23 von 51 Ratsmitgliedern die stärkste Fraktion und bildeten mit den sechs Stadtverordneten ihrer Bündnispartner der Deutschnationalen Volkspartei erstmals die Ratsmehrheit. Diese nutzten sie, um den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler zu Ehrenbürgern der Stadt zu erklären.
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Verordnung schloss jüdische Unternehmen von städtischen Aufträgen aus
Gleichzeitig beschloss die neue Ratsmehrheit eine Verordnung zu verabschieden, die jüdische Unternehmen von städtischen Aufträgen ausschlossen. Auch die gewählten Stadtverordneten der KPD waren bereits vor der konstituierenden Ratssitzung verhaftet worden. Mit den Sozialdemokraten Wilhelm Müller und den Kommunisten Fritz Terres und Otto Gaudig bezahlten 1944 und 1945 drei Stadtverordnete ihren Widerstand gegen Hitler mit dem Leben.
Mit dem Eisenbahninspektor Wilhelm Maerz wurde damals ein Nationalsozialist zum Oberbürgermeister gewählt. Er war als Verwaltungschef allerdings überfordert. Deshalb sahen sich die vom Stadtverordneten Karl Kamphausen geführten Nationalsozialisten gezwungen, ihren Parteigenossen durch den Verwaltungsfachmann, Edwin Hasenjaeger, zu ersetzen.
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OB Hasenjaeger setzte sich für Künstler Otto Pankok ein
Hasenjaeger sanierte die Stadtfinanzen und stärkte dem von den Nazis verfemten Mülheimer Künstler Otto Pankok den Rücken, indem er seine Werke für das Kunstmuseum der Stadt ankaufte. Auf Druck der Nazis musste er aber 1937 in die NSDAP eintreten.
Das wurde ihm zum Verhängnis. Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 11. April 1945 wurde Hasenjaeger abgesetzt und interniert. Er wurde zwar später von der alliierten Militärregierung wieder eingesetzt, musste aber 1946 aufgrund des politischen Drucks von SPD und KPD endgültig zurücktreten.
Ab 1946 stellten die Christdemokraten die Mehrheit im Stadtrat
Nach der ersten Kommunalwahl im Oktober 1946 stellten die Christdemokraten in dem bis dahin von der britischen Militärregierung ernannten Stadtrat, die Mehrheit und wählten damit ihren Vorsitzenden Wilhelm Diederichs zum Oberbürgermeister.
Doch schon zwei Jahre später begann mit dem Wahlsieg der Sozialdemokraten und dem Amtsantritt ihres OB Heinrich Thöne eine über 40 Jahre währende Ära, in der sozialdemokratische Ratsmehrheiten, Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren die Geschichte der Stadt bestimmten.
Populäre Galionsfiguren des Mülheimer Wiederaufbaus
SPD-Oberbürgermeister Heinrich Thöne und CDU-Bürgermeister Max Kölges wurden zu populären Galionsfiguren des Mülheimer Wiederaufbaus. Beide wurden deshalb 1960 und 1962 zu Ehrenbürgern der Stadt ernannt. Die gleiche Ehre wurde dem nationalliberalen OB Paul Lembke am Ende seiner 24-jährigen Amtszeit 1928 zu Teil.
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Lembke ging als der Vater der Mülheimer Großstadt in die Geschichte ein. Vieles von dem, was heute zu den Identifikationspunkten der Stadt gehört, geht auf seine Initiative zurück. Etwa der Bau des Rathauses, der Stadthalle, des Raffelbergparks, der Bau des Wasserbahnhofes oder die Einrichtung der Weißen Flotte.
Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt
In den 1970er Jahren wurde das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt – und mit den Bezirksvertretungen wählten die Mülheimer erstmals bürgernahe Stadtteilparlamente.
Für mehr demokratische Bürgernähe und politische Transparenz traten auch die Mülheimer Grünen ein, die erstmals 1984 neben Sozial,- Christ,- und Freidemokraten als vierte Fraktion ins Stadtparlament einzogen. Mit der Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde 1999 wurde die Mehrheitsbildung in einem immer bunteren und damit repräsentativeren Rat schwieriger.
Ab 1999 wurden die Oberbürgermeister durch die Bürger direkt gewählt
Ab 1999 wurden mit der neuen Kommunalverfassung in NRW die Oberbürgermeister direkt gewählt. Gleichzeitig wurde ihre Position gestärkt, indem sie in ihrem Amt den Ratsvorsitz und die Repräsentation der Bürgerschaft mit der Führung der Verwaltung vereinten.
Doch die Entwicklung der letzten Jahre zeigte, dass die Kommunalwahlreformen nicht nur mehr Demokratie, sondern auch mehr Probleme im Sinne einer Mehrheitsfindung im Rat mit sich brachten. Gleich mit der ersten Direktwahl seines Oberbürgermeisters machte Mülheim im September 1999 bundesweit Schlagzeilen.
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Ungewöhnliche schwarz-grüne Zusammenarbeit
Nachdem der Sozialdemokrat Thomas Schröer zunächst mit einem Vorsprung von 33 Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt worden war, ergab eine Nachzählung der Stimmen, dass sein Gegenkandidat Jens Baganz von der CDU die OB-Wahl mit einem Vorsprung von 58 Stimmen gewonnen hatte.
Zuvor hatten Christdemokraten und Grüne mit einer damals noch ungewöhnlichen schwarz-grünen Zusammenarbeit unter Führung von OB Hans-Georg Specht (CDU) und Bürgermeister Wilhelm Knabe (Grüne) für bundesweites Interesse an der Mülheimer Kommunalpolitik gesorgt.