Herne. Beim Corona-Check der WAZ haben die Leser der Stadt Herne keine gute Note für die Bewältigung der Corona-Krise gegeben. Das sagt der OB dazu.

Die Verwaltung kam beim Corona-Check der WAZ nicht gut weg: Für die Bewältigung der Corona-Krise erhielt die Stadt Herne nur die Note „4+“. Darüber sprach die WAZ mit Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (58).

Beim Corona-Check der Herner WAZ haben die Leser dem Agieren der Stadt in der Corona-Krise die Note 3,67 gegeben. Im Durchschnitt war es in den befragten Städten eine 3,46. Wie bewerten Sie das Herner Ergebnis?

Das Stimmungsbild nehmen wir sehr ernst. Klar ist aber auch: Die Stadtverwaltung ist für die Bürgerinnen und Bürger Projektionsfläche für alles. Natürlich gab es auch in Herne Schwierigkeiten in der Pandemie-Bekämpfung, aber viele Fehler wurden nicht hier vor Ort gemacht. Es gab im Verlaufe der Pandemie so viele erhebliche Einschränkungen für die Menschen, die vielleicht nicht immer auf Anhieb nachvollziehbar waren. Das sorgt für eine Mischung aus Wut, Frustration und Enttäuschung. Deswegen ist es für mich kein Wunder, dass es in der Pandemie immer auch kritische Stimmen gibt. Andererseits: Wir haben in den zurückliegenden Monaten in den sozialen Medien über 5000 Menschen neu dazugewonnen, mit denen wir im Dialog stehen. Dort gab es auch viel Lob für unsere Arbeit. Am Corona-Check haben 625 Herner teilgenommen, das ist auch nicht unbedingt repräsentativ.

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Eine Kritik der WAZ-Leser kam am Häufigsten: „Lehrer und Kinder werden nicht geschützt“. Stimmt das?

Gerade im Bereich der Schulen haben wir etwas gemacht, was sogar bundesweit für Aufsehen sorgte: Wir haben als erste Stadt in ganz Deutschland die Schulverkehre und Schulanfangszeiten entzerrt – übrigens gegen alle Widerstände, darunter anfangs auch das Schulministerium. Wir haben die Maskenpflicht im Umfeld von Schulen eingeführt, was für die Städte auch keine Pflicht ist. Wir haben den KOD zu Schulanfangszeiten schwerpunktmäßig zur Kontrolle vor Schulen eingesetzt. Das heißt: Wir schützen dort, wo wir es können. Richtig ist aber auch, dass wir gerade im Schulbereich als Kommune wenige Eingriffsmöglichkeiten haben, weil die Hoheit hierfür beim Land liegt. Gerade in diesem Bereich sind auch wir mit vielen Dingen nicht einverstanden, müssen dafür aber den Kopf hinhalten.

Gegen alle Widerstände habe Herne die Schulanfangszeiten entzerrt, sagt Hernes OB Frank Dudda. In den Bussen wurde es zu Stoßzeiten deshalb leerer.
Gegen alle Widerstände habe Herne die Schulanfangszeiten entzerrt, sagt Hernes OB Frank Dudda. In den Bussen wurde es zu Stoßzeiten deshalb leerer. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wofür zum Beispiel?

Das Kernproblem war, dass für Schulen Tests und Impfungen angekündigt wurden, die aber nicht zur Verfügung standen. Das hat Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt wurden. Mein Ansatz war deshalb immer zu schauen, wo wir uns angesichts dieser Rahmenbedingungen als Stadt eigenständig bewegen können. Nehmen wir den Kitabereich: Da haben wir sehr früh reagiert. Wir hatten in der Hochphase der Pandemie dort - wie auch in den Schulen - nur ganz wenige infizierte Kinder. Das lag daran, weil wir in den Kitas besondere Schutzsysteme eingeführt haben, unter anderem zusätzliche Testmöglichkeiten für die Beschäftigten. Aber: Auf grundsätzliche Fragen hatten wir keinen Einfluss. Wann öffnet ab welcher Inzidenz die Schule oder Kita? Öffnet die Schule ohne Tests und ohne Impfung der Lehrer? Darüber verhandelt das Land nicht mit uns.

Eine weitere Kritik eines Lesers aus dem Corona-Check lautet: „Dieses Hüh und Hott der Politik, keine klaren Aussagen. Impfen und Tests sind nicht gut organisiert.“

Tests sind in Herne sehr gut organisiert. Es gibt über 60 Testzentren in der Stadt. Das Impfen im Impfzentrum Herne ist sehr gut organisiert. Unsere Impfquote liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Nicht gut organisiert war dagegen zu Beginn der Impfkampagne der Zugang zum Impfen. Die Bürgerinnen und Bürger haben Anfang des Jahres Post erhalten, dass sie nun einen Impftermin buchen können. Und dann landen sie im Internet beim Buchungsportal der Kassenärztlichen Vereinigung, das nur mit einem Hochschulabschluss zu bedienen ist. Dass da Frust aufkommt, ist vollkommen verständlich. Diesen Frust hatte ich persönlich auch in der Familie: Impftermine für meine Eltern zu bekommen, war ein Abenteuer der besonderen Art. Ich war aber einer der wenigen Oberbürgermeister, die gesagt haben, dass sie die Vergabe der Impftermine lieber selber organisiert hätten.

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Weiterer Kritikpunkt von einem Leser: „Filteranlagen, digitale Endgeräte und Übertragungstechnik fehlen. Man hat Monate für die Beschaffung ungenutzt verstreichen lassen.“

Das stimmt so nicht. Wir haben für 3600 Kinder aus einkommensschwachen Familien Laptops beschafft. Da war der Herner Stadtrat sogar besonders schnell und hat sie schon vor den letzten Sommerferien bestellt. Und auch für erste Lehrer haben wir Laptops beschafft. Natürlich sind das insgesamt noch zu wenige Geräte, und die Beschaffung dauert insgesamt zu lange. Aber wir konnten uns natürlich auch nur an den Ausschreibungen des Landes beteiligen, und der Markt für Laptops war leer gefegt, weil die Nachfrage riesig war.

Weiterer Vorwurf: „Man muss den Masken-Schutz auf das gesamte Stadtgebiet erweitern“, forderte ein WAZ-Leser.

Aerosol-Forscher haben für das Tragen von Masken im Freien das Gegenteil gesagt. „Bitte hört auf mit euren Masken!“, hieß es da. Wir haben das im Krisenstab diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen: Wir vertrauen angesichts sinkender Inzidenzzahlen jetzt den Aerosol-Forschern.

Eine Maskenpflicht – wie hier auf der Hauptstraße in Wanne-Eickel – lehnt der Herner Krisenstab ab.
Eine Maskenpflicht – wie hier auf der Hauptstraße in Wanne-Eickel – lehnt der Herner Krisenstab ab. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Ein letztes Zitat: „Wir vermissen in unserer Stadt die Veröffentlichung und die Angaben der Hotspots von Corona-Infektionen durch die Stadt. Es wäre doch für alle Bürger besser, wenn sie diese Infektionsherde meiden und sich noch besser schützen könnten.“ Hat der Leser Recht?

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Ich kann verstehen, wenn Städte wie Duisburg, Essen oder Köln die Inzidenzwerte ihrer Bezirke veröffentlichen. Herne ist aber eine kleine Großstadt, in der die Sozialräume kleiner gesteckt und Übergänge fließend sind, so dass ein bezirklicher Inzidenzwert bei der Bekämpfung der Pandemie keine Steuerungsrelevanz hat. Die Corona-Hotspots in Herne waren auch nie räumliche Hotspots, sondern es waren immer einzelne Einrichtungen betroffen, also Krankenhäuser, Seniorenheime, Einrichtungen der Eingliederungshilfe oder eine der Großbaustellen. Statt ganzen Bezirken oder Ortsteilen haben wir nur wenige Straßenzüge, die zusätzlich einer besonderen Betrachtung bedürfen.

So wie etwa die Emscherstraße in Wanne-Nord, wo kürzlich die Sonder-Impfaktion stattgefunden hat?

An der Emscherstraße gab es in bestimmten Phasen der Pandemie häufiger Infektionen. Dort wohnen zum Beispiel viele Menschen, die in Schlacht- oder Zerlegebetrieben arbeiten. Für mich war es ein ganz berührender Moment, als ich am Pfingstmontag mit zwei dieser Arbeiter gesprochen habe. Sie waren sehr dankbar, dass sie über Pfingsten geimpft werden konnten, weil ihr Arbeitsalltag das sonst nicht zulasse. Sie erzählten, dass sie Herne meist um 5 Uhr morgens verlassen, um 19 Uhr wieder zurück sind. Außerhalb des Wochenendes bleibt also nur wenig Zeit und Kraft, sich um einen Impftermin zu kümmern. Wir müssen doch auch sehen, wie die Lebens- und Arbeitswelt vieler Menschen in Herne aussieht. Da ist es nicht gerecht, sie dafür zu kritisieren, dass sie an der Emscherstraße wohnen. Für uns halten diese Menschen in der Produktion einen Teil unserer Daseinsfürsorge aufrecht.

In zwei Problemvierteln in Herne gab es am Pfingstwochenende Sonderimpfaktionen, hier am 24. Mai an der Emscherstraße. Die Menschen standen Schlange, um gegen Corona geimpft zu werden.
In zwei Problemvierteln in Herne gab es am Pfingstwochenende Sonderimpfaktionen, hier am 24. Mai an der Emscherstraße. Die Menschen standen Schlange, um gegen Corona geimpft zu werden. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Nicht nur von WAZ-Lesern, auch aus der Politik gab es Kritik am Corona-Management der Stadt, allem voran von den Grünen. „Agieren statt reagieren“ müsse das Motto der Stadtspitze sein, so die zentrale Botschaft der Grünen. Dazu präsentierten sie einen Maßnahmen-Katalog, den die Stadt umsetzen soll.

Das finde ich ganz bitter für die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Die Grünen sollten selbst mal hinterfragen, welche Qualität diese Einwürfe hatten, die erst in der Presse veröffentlicht wurden, um dann Wochen später noch einmal im politischen Raum aufgewärmt zu werden. Da gab es den Vorwurf, die Inzidenz in Herne sei so hoch, weil wir keine vier kommunalen Testzentren eingerichtet haben. Wir hatten binnen kürzester Zeit 62 Testzentren. Außerdem sollten wir die Schulen schließen - bei fünf oder sechs infizierten Schülern von insgesamt 19.000. Andere Städte hatten sich mit diesem Vorschlag beim Land zuvor schon blutige Nasen geholt. Da wurden Zusammenhänge konstruiert, die im Krisenstab Kopfschütteln hervorgerufen haben. Die Einwürfe der Grünen erinnerten ein bisschen an den Fußball: Da sind die Spieler auf dem Platz, die arbeiten und alles geben. Und dann gibt es die Zuschauer an der Seitenlinie, die natürlich alles besser wissen und können. Sonntagsreden habe ich inzwischen ziemlich über - auch die in der Lokalpolitik. Das gilt etwa für die Behauptung der Grünen, man bräuchte mehr Impfzentren, weil es im Juni so viel Impfstoff gäbe. Doch wieder einmal ist das ganze Gegenteil der Fall. Bund und Land weisen den Impfzentren in den nächsten Wochen nahezu überhaupt keine Erstimpfstoffe zu, wie das Land in einer Pressemitteilung verkündet hat. Damit gefährden sie den erreichten Impffortschritt. Echt krass.

Am Anfang stand die Note der WAZ-Leser. Welche Note würden Sie als Rathauschef der Verwaltung in der Corona-Bekämpfung geben?

Herne war von der zweiten und dritten Welle stark betroffen, oft sogar steiler und früher als andere Städte. Aber wir haben nie gewackelt, unsere Systeme waren immer stabil. Wir waren immer präsent, haben die Brandherde schnell identifiziert, isoliert und bekämpft. Dabei waren wir oft sogar Vorreiter für andere Städte. Natürlich sind auch Dinge schief gelaufen in der Verwaltung. Kein Wunder: Mitarbeiter sind ausgefallen, mobiles Arbeiten musste flächendeckend etabliert werden und einmal musste sogar die halbe Poststelle in Quarantäne – also die Schaltstelle für den Versand der Ordnungs- und Quarantäneverfügungen. Ich finde: Einige Menschen betrachten uns da aus einer stark subjektiven Perspektive und urteilen sehr harsch. Ich bin zufrieden, wie flexibel wir bisher als Stadtverwaltung mit dieser absolut außergewöhnlichen Situation umgegangen sind und gebe uns eine gute Zwei.

>> WEITERE INFOS: ZUR PERSON

Frank Dudda ist seit 2015 Oberbürgermeister in Herne. Zuvor war er unter anderem Geschäftsführer des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK e.V.).

Von 1994 bis 2015 war Dudda SPD-Stadtverordneter in Herne und seit 2004 SPD-Fraktionsvorsitzender.

Sein Abitur machte der 58-Jährige am Otto-Hahn-Gymnasium. Nach dem Grundwehrdienst studierte er Jura an der Ruhr-Uni Bochum, 1996 promovierte er. Dudda ist verheiratet und hat einen Sohn.