Herne. Die Sonderimpfungen in Herne bleiben umstritten. Die Stadt weist erneut Vorwürfe zurück, bleibt aber konkrete Zahlen schuldig. Darum geht es.
Am Donnerstag findet in Herne die nächste Sonderimpfung in einem sozialen Brennpunkt statt. Und wie schon am Pfingstwochenende in Wanne und Horsthausen wird die Stadt den Standort vorab nicht veröffentlichen und den Kreis der zu Impfenden anders als Städte wie Gelsenkirchen und Dortmund nicht durch Postleitzahlen oder Straßen eingrenzen. Die Grünen haben derweil der Verwaltung für die nächste Sitzung des Sozialausschusses kritische Fragen zum Thema Impfung vorgelegt.
Diskussionen auf Facebook und Aussagen von Geimpften legten am Pfingstwochenende nahe, dass es unter den 1004 Geimpften nicht wenige Menschen gab, die nicht in dem von der Stadt ausgewählten Quartieren leben. Hintergrund: Bereits der Nachweis eines Herner Wohnortes berechtigte zur Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson, bei dem nur eine Impfung notwendig ist.
Stadtverordnete fordert „Ehrlichkeit in der Debatte“
Die Grünen-Ratsfrau und Ärztin Dorothea Schulte bewertete dies auf WAZ-Anfrage kritisch und legt nun nach. „Ich freue mich für alle, die geimpft werden“, erklärt sie. Gerade junge Menschen hätten erheblich unter den Einschränkungen gelitten. Aber: „Ich erwarte Ehrlichkeit in der Debatte.“ Wenn man in Problembereichen impfen wolle, müsse man die Menschen dort direkt ansprechen. Wenn über diese Aktionen hinaus Dosen von Astrazeneca oder Johnson & Johnson verfügbar seien, so könne man diese im Impfzentrum an alle Impfwilligen verimpfen. Die Auslastung sei dort derzeit gering.
OB Frank Dudda hatte auf die ersten Vorwürfe Schultes mit harscher Kritik reagiert. Ihm ziehe es angesichts dieser Aussage fast die Schuhe aus, so sein Statement gegenüber der WAZ. Die Stadt wisse natürlich, wen sie geimpft habe, sagte er und verwies auf eine „umfangreiche Dokumentationspflicht“ in den bundesweit standardisierten Impfverfahren. Duddas Fazit: „Wir haben mit dem überwiegenden Teil der Impfdosen Menschen aus den jeweiligen Vierteln erreicht.“
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Den Nachweis durch konkrete Zahlen bleibt die Stadt auf eine erneute Anfrage der WAZ jedoch nach wie vor schuldig. Es gebe zwar die medizinisch vorgeschriebene Dokumentation, so Stadtsprecher Christoph Hüsken. Diese beinhalte jedoch keine statistische Auswertung nach Adresse, Postleitzahl oder vergleichbaren Angaben. Eine nachträgliche Auswertung sei auch nicht vorgesehen. „Die Wahrnehmungen“ vor Ort von Stadt, DRK und Kassenärztlicher Vereinigung KVWL, DRK und Stadt seien übereinstimmend so gewesen, dass „die meisten Menschen“ bei der Impfaktion aus den Quartieren gekommen seien.
Verwaltung: Es gibt keine Blaupause
Und: Wenn sich Personen außerhalb der ausgewählten Viertel von der Impfaktion angesprochen gefühlt hätten, ist dies Sicht der Stadt nicht schädlich. Man sei im Sinne der Pandemiebekämpfung froh über jede Person, die eine Impfung erhalten könne, so der Stadtsprecher. Und: „Wer sich bei einer der beiden Impfaktionen an Pfingsten bis 16 Uhr in die Schlange eingereiht hat, wurde auch geimpft. Niemand musste abgewiesen werden.“
Zur Praxis anderer Kommunen bei Sonderimpfaktionen sagt Hüsken: „Jede Stadt hat da ein eigenes Vorgehen und eine Blaupause gibt es nicht. Natürlich schauen wir auch wie andere Städte vergleichbare Aktionen angehen.“ Eine Ansprache in einzelnen Postleitzahlbezirken sei „eine durchaus gangbare Möglichkeit“. An Pfingsten wäre dies aber aufgrund der Zuschnitte der Postleitzahlengebiete nicht zielführend gewesen, weil die ausgewählten Bereiche genau an der Grenze von zwei Postleitzahlenbezirken verliefen bzw. sehr weiträumig seien. Die Zahl der Impfdosen hätte dann wohl nicht gereicht.
Grüne fragen nach Impfungen in Priorisierungsgruppen 1 bis 3
In einem Antrag für die nächste Sitzung des Sozialausschusses am 23. Juni erneuern die Grünen ihre Kritik an den Impfaktionen. Es sei nicht im Sinne der Landesvorgaben und liege nicht im Sinn und Zweck dieser Impfaktion, dass auch junge Menschen geimpft worden seien, die nicht in den ausgewählten Vierteln wohnten, heißt es in dem von Dorothea Schulte verfassten Antrag. Zudem brüskiere dies Personen der Priorisierungsgruppen 1 bis 3, „denen bislang noch kein Impfangebot gemacht werden konnte“. Immerhin seien in diesen Gruppen die Todesfälle und die Schwererkrankten ja besonders hoch, weshalb hier eine Impfung als Gesundheitsschutz besonders wichtig sei.
Von der Verwaltung wollen die Grünen unter anderem wissen, wie hoch die Inzidenzen in den für die Impfaktionen ausgewählten Quartieren seien und wie viele Menschen aus den Priorisierungsgruppen 1 bis 3 in Herne noch keine Impfung erhalten haben. Außerdem fragen die Grünen, wie die Stadt mit den 191 der insgesamt vom Land zugeteilten 1195 Impfdosen umgegangen sei, die an Pfingsten nicht verimpft worden seien.
Ruf nach dezentralen Impfzentren in Herne
In einem weiteren Antrag für den Sozialausschuss fordern die Grünen, dass die Verwaltung eine Einrichtung dezentraler fester Impfzentren prüfen solle. Zudem sollten „gezielte Kleinkampagnen“ zur Ansprache und Aufklärung von Personengruppen entwickelt werden, die von den bisherigen Informationskanälen der Impfkampagne nicht oder nur schwer erreicht würden.
Die Grünen begründen dies damit, dass Impfen im zentralen Impfzentren und ergänzend in Arztpraxen als zu wenig leistungsfähig erweisen könnte, wenn Herne im Juni die erwarteten größeren Impfstoffkontigente erhalte. Dezentrale Impfzentren wären beispielsweise in Verwaltungseinrichtungen, Gemeindehäusern, Museen oder Moscheen denkbar; dort könntne mobile Impfteams eingesetzt werden. „Grundsätzlich sollte es bei Aufhebung der Priorisierung so sein, dass Impfungen dort erfolgen können, wo regelmäßig größere Menschenmengen durchlaufen“, so die Grünen. Das habe sich in anderen Ländern bewährt.
Es sei ein Schwachpunkt der gesamten Impfkampagne, dass ein Nachhalten der Teilnahme der Stadtbevölkerung aufgrund der Vorgaben aus Bund und Land praktisch nicht möglich sei. Insofern werde hier immer Bezug auf subjektive Beobachtungen genommen.