Gladbeck. Das Land schlägt Städten unterschiedliche Hebesätze für Wohnen und Gewerbe vor. Die Stadt hat nun vorgerechnet, was Gladbecker zahlen müssten.

Kämmerin Silke Ehrbar-Wulfen hatte eine schlechte Nachricht für die Mitglieder des Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschusses (HFDA) dabei. Das Loch, das die Grundsteuerreform in Gladbecks Stadtkasse reißt, könnte doch größer werden als zunächst angenommen. Auf Grundlage der neuesten Zahlen kommt die Verwaltung auf ein Minus von rund 1,5 Millionen Euro, wenn der Hebesatz so wie bisher bei 950 Punkten bleibt.

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Für die Stadt ein herber Schlag, nimmt sie durch die Steuer 2024 doch rund 17,5 Millionen Euro ein. Sie ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der Stadt, ein derart großes Minus bei der angespannten Haushaltslage wäre ein zusätzlicher Rückschlag. Will die Stadt weiterhin diese 17,5 Millionen Euro aus der Steuer einnehmen, wird sie den Hebesatz ändern müssen. Das Land hat in der vergangenen Woche Sätze für eine solche Aufkommensneutralität veröffentlicht.

Zahlen der Stadt Gladbeck weichen von denen des Landes ab

Demnach müsste Gladbeck auf einen Hebesatz von 1045 gehen. Die Stadt dagegen hat aktuellere Daten, kommt auf einen Hebesatz von 1039. Immer vorausgesetzt, es soll ein einheitlicher Wert sein. Der allerdings würde Wohngrundstücke besonders hart treffen. Deren Besitzer müssten nach den Zahlen der Stadt rund 14 Millionen Euro zahlen. Bisher sind es 12 Millionen. Bei Nicht-Wohngrundstücken sinkt die Belastung um rund 1,9 Millionen Euro von 5,4 auf 3,4 Millionen. Bedeutet in der Konsequenz: Wohnen in Gladbeck würde teurer. Das gilt übrigens auch, wenn man den bisherigen Hebesatz von 950 Punkten beibehält.

Deshalb hat die Kämmerei für den HFDA auch differenzierte Hebesätze errechnet. Soll also das Aufkommen aus Wohn- und Nicht-Wohngrundstücken auf dem Niveau von 2024 bleiben, würde der Hebesatz für Wohngrundstücke auf 897 Punkte sinken, der für Nicht-Wohngrundstücke auf 1598 steigen – immer auf Grundlage der städtischen Zahlen.

Beispiele, wie die Grundsteuer 2025 in Gladbeck zu Buche schlagen würde

Was aber bedeutet das in Euro und Cent? Würde ein derart hoher Hebesatz das Gewerbe in Gladbeck übermäßig belasten? Die Kämmerin hatte auch dazu Zahlen dabei. Anhand konkreter – anonymisierter – Beispiele stellte sie die Auswirkungen vor

  • Ein großer Produktionsbetrieb zahlt bisher 332.000 Euro Grundsteuer pro Jahr. Bei gleichbleibendem Hebesatz wären es kommendes Jahr nur noch gut 86.000 Euro. Selbst beim differenzierten Hebesatz würden künftig nur rund 144.000 Euro fällig.
  • Ein Handwerksbetrieb, der bisher 4157 Euro zahlt, müsste bei gleichbleibendem Hebesatz 1298 Euro zahlen, bei differenzierten Sätzen käme er auf 2183 Euro.
  • Ein Beherbergungsbetrieb, der bisher rund 97.000 Euro zahlt, käme bei gleichbleibendem Satz künftig auf 18.700 Euro, bei einem differenzierten Hebesatz würden 31.500 Euro fällig.
  • Ein Einzelhändler, der bisher mit 7100 Euro zur Kasse gebeten wird, käme auf 1280 beziehungsweise 2150 Euro.
  • Ein anderer Einzelhändler zahlt bisher 1236 Euro. Bei gleichbleibendem Hebesatz stiege seine Belastung auf 2075 Euro, bei einem differenzierten Satz gar auf 3490.

Bei etwa einem Drittel der Nicht-Wohngrundstücke würde ein differenzierter Hebesatz zu höheren Belastungen führen, so die Einschätzung der Kämmerin.

Interview mit Gladbecks Bürgermeisterin Bettina Weist am Montag, 30. Janur 2022 in Gladbeck.
 Foto: Christoph Wojtyczka / Funke Foto Services

„Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern dieses Desaster erklären. Auf dem Grundsteuerbescheid steht als Absender die Stadt.“

Bettina Weist

Bleiben die Wohngrundstücke. Auch hier hatte die Verwaltung ein konkretes Beispiel mitgebracht. Für ein Einfamilienhaus in Gladbeck zahlt der Eigentümer derzeit 470 Euro. Bei einem gleichbleibenden Hebesatz müsste er ab 2025 jedoch 690 Euro zahlen. Mit dem differenzierten Satz, den die Stadt errechnet hat, wären es zumindest 39 Euro weniger, aber immer noch 651 Euro insgesamt.

Land hat mit der Vorstellung differenzierter Hebesätze die Städte unter Druck gesetzt

All diese Beispiele zeigen eines deutlich: Auch wenn das Aufkommen für die Stadt gleich bleibt und man die Sätze sogar so berechnet, dass sich die Verteilung zwischen Wohn- und Nicht-Wohngrundstücken nicht verändert, so wird es für einzelne Eigentümer zu massiven Verschiebungen kommen. Das aber hatte auch das Land angekündigt. Bei der Vorstellung der Hebesätze hieß es seitens der Finanzverwaltung NRW dann auch noch einmal deutlich: „Aufkommensneutralität für die Kommunen bedeutet nicht im Umkehrschluss Belastungsneutralität für die Bürgerinnen und Bürger.“

Das Land hat mit der Vorstellung seiner Hebesätze nun die Städte unter Druck gesetzt, das war die einhellige Meinung im HFDA. Die Forderung der Kommunen hat sich eigentlich nicht verändert. Sie sehen das Land in der Verantwortung, die Berechnungsgrundlage zu verändern, um die Unwucht zwischen Wohn- und Geschäftsgrundstücken zu mindern. Das Land dagegen setzt auf differenzierte Hebesätze. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde bereits im Landtag eingebracht.

Neuen Kämmerin der Stadt Gladbeck, Silke Ehrbar-Wulfen am Montag, 19. Juni 2023 in Gladbeck. Foto : Ant Palmer / FUNKE Foto Services

„Von Seiten der Kämmerei vermögen wir dazu noch keine Empfehlung abgeben, dazu sind noch zu viele Parameter offen.“

Silke Ehrbar-Wulfen

Bürgermeisterin Bettina Weist sprach angesichts der Reform von einem „Desaster“. Das Problem: „Wir als Kommunen müssen es den Bürgerinnen und Bürgern erklären, auf dem Grundsteuerbescheid steht als Absender die Stadt.“ Ihre Befürchtung: Diese Politik des Landes treibe die Bürger in die Arme der Rechtspopulisten.

Wie sich Gladbeck nun verhalten wird? Hält man daran fest, den Hebesatz nicht zu erhöhen? Setzt man gezwungenermaßen vielleicht doch auf differenzierte Sätze? „Von Seiten der Kämmerei vermögen wir dazu noch keine Empfehlung abgeben“, stellte Silke Ehrbar-Wulfen klar. Es seien einfach noch zu viele Parameter offen. Komme es zu differenzierten Hebesätzen, müsse das Land auf jeden Fall Rechtssicherheit herstellen. Unabhängig davon, für welche Variante die Stadt sich entscheide, müsse Gladbeck bis zum Ende des Jahres eine neue Satzung zur Grundsteuer erlassen. Das Land habe hier Hilfe in Form von Mustersatzungen zugesagt, zudem hofft die Kämmerin auf die kommunalen Spitzenverbände.

Dazu fehle auch die Sicherheit, ob die IT, in dem Fall das gemeinsame Rechenzentrum im Kreis sowie der Software-Hersteller, technisch noch kurzfristig damit fertig werden. Bisher habe man die Info, so die Kämmerin, dass es nicht möglich sei. Anders übrigens das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein, Dienstleister etwa für die Stadt Bottrop. Das hat angekündigt, das hinzukriegen, so es nötig sein sollte.

Die Politik nahm die Ausführung der Verwaltung zur Kenntnis. Michael Tack (FDP) bezeichnete das Vorgehen des Landes als „kommunalfeindlich“. Nur: Das Land hat, bildlich gesprochen, den Ball nun zu den Kommunen gespielt. Nur gebe es bisher eben zu viele Unbekannte, um sich zu positionieren, so auch SPD-Fraktionschef Wolfgang Wedekind. Nach der Sommerpause wird das Thema erneut auf die Tagesordnung kommen, und dann muss irgendwann die Entscheidung fallen.

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