Essen. Die Politik will der Uniklinik Essen die Herztransplantationen nehmen. Der Ärztliche Direktor ist fassungslos – und zieht vor Gericht.

Fassungslos hat die Uniklinik Essen auf die Entscheidung der Politik reagiert, dem Haus die Herztransplantationen zu streichen. Der Ärztliche Direktor der Uniklinik, Prof. Dr. Jochen A. Werner, spricht von einer „fatalen Fehlentscheidung“, gegen die man jetzt klage.

Uniklinik Essen transplantiert seit mehr als 30 Jahren Herzen

Werner gilt als erklärter Anhänger der Krankenhausreform von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, die er als wichtiges Projekt würdigt. Mit einer Einschränkung: „Die Reform 1:1 von Krankenhäusern auf Universitätskliniken zu übertragen ist falsch.“ Zum einen seien Unikliniken auch Lehre und Forschung verpflichtet, zum anderen bedeute Krankenversorgung hier „vor allem spezialisierte Medizin, die ein breites Spektrum von 24/7 (täglich rund um die Uhr) Vorhaltungen erfordert“.

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Für die Uniklinik ist das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation wörtlich eins ihrer Herzstücke: Seit langem hat sich das Haus neben der Onkologie (mit dem Westdeutschen Tumorzentrum) auf Transplantationsmedizin spezialisiert. „Herzen werden seit über 30 Jahren am Essener Uniklinikum transplantiert“, so Werner.

Auch die Zahlen stimmen (wieder): 2024 führte man in Essen 14 Herztransplantationen durch. Damit liegt man schon klar über den zehn Eingriffen, die der Gemeinsame Bundesausschuss als Mindestmenge festgelegt hat, die ab 2026 gelten soll. Laumanns Reform ziele auf eine Bündelung von Expertise in Zentren: Das werde an der Uniklinik mit den zwei Schwerpunkten Onkologie und Transplantation längst gelebt, sagt Werner. „Genau das gelänge nicht bei einer Schließung der Herztransplantation in Essen.“

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Im gesamten Ruhrgebiet würden keine Herzen mehr transplantiert. Und das bevölkerungsreichste Bundesland verlöre das einzige Transplantationszentrum, das die vier großen Organe – Herz, Lunge, Leber und Niere – transplantiert. „Dies ist eine ganz massive Schädigung des Gesundheitsstandortes NRW“, betont Werner. So könnten kombinierte Herz-Leber-Transplantationen, für die der Bedarf steige, in NRW nicht mehr angeboten werden. Patienten müssten auf eins der bundesweit nur fünf anderen großen Transplantationszentren ausweichen.

„Das entspricht einer Schließung der Herzchirurgie durch die Hintertür. “

Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen, über die Streichung der Herztransplantationen für sein Haus.

Die Uniklinik hatte daher 2024 gegen die Streichung Widerspruch eingelegt. Tatsächlich erging ein korrigierter Bescheid, mit dem das Gesundheitsministerium den Essenern zehn kombinierte Herz-Lungen-Transplantationen jährlich zuwies. Bloß sind diese komplex – und extrem selten: Deutschlandweit seien 2023 und 2024 jeweils nur zwei Herz-Lungen-Transplantationen durchgeführt worden, so Werner. Die Zuweisung der zehn Kombi-Eingriffe sei daher „weit entfernt von jeglicher Realität“.

Wenn man gleichzeitig keine reinen Herztransplantationen mehr machen dürfe, gehe die regelmäßige Praxis verloren: „Es leuchtet jedem ein, dass das zu einem unzureichender Trainingseffekt der transplantierenden Chirurgen führt.“

Ärztlicher Direktor der Uniklinik spricht von einem „Schlag ins Gesicht“

An der Uniklinik Essen wurden im vergangenen Jahr 14 Herzen transplantiert. Nach dem Willen des NRW-Gesundheitsministerium soll das Klinikum den Eingriff in Zukunft nicht mehr durchführen. 
(Bild einer Herz-Operation)
An der Uniklinik Essen wurden im vergangenen Jahr 14 Herzen transplantiert. Nach dem Willen des NRW-Gesundheitsministerium soll das Klinikum den Eingriff in Zukunft nicht mehr durchführen. (Bild einer Herz-Operation) © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Maurizio Gambarini

Als Hohn empfindet der Uniklinik-Chef das Fazit des ministeriellen Bescheids, Essen könne dank der zugewiesenen Herz-Lungen-OPs „als Exzellenzzentrum für Transplantationen weiter bestehen“. Angesichts einer „in keinster Weise realisierbaren Fallzahl“ müsse er den Satz und den Hinweis, die Belange von Forschung und Lehre seien weiter zu berücksichtigen, als „Schlag ins Gesicht empfinden“.

Beschädige das Vorgehen des Ministeriums doch die Medizinische Fakultät und die Uni Duisburg-Essen: „Berufene Forscher können ihre Forschungen nicht fortsetzen. Für herzmedizinisch tätige Wissenschaftler verliert der universitätsmedizinische Standort Essen an Bedeutung und Attraktivität.“ Gleiches gelte für den Nachwuchs, der dahin gehe, wo man ihm das komplette Aufgabenfeld bietet. Wenn Essen nun mit dem Herz-Lungen-Transplantationsprogramm abgespeist werde, „entspricht das einer Schließung der Herzchirurgie durch die Hintertür“.

Uniklinik Bonn bekommt einen Aufschub – Essen nicht

Dabei hat die Uniklinik den Bereich mit dem Herztransplantationsspezialisten, Prof. Dr. Payam Akhyari, der seit zehn Monaten hier tätig ist, gestärkt und die Fallzahlen erhöht. Auch mit Blick auf die 14 Herztransplantationen im Jahr 2024 habe man „das Gesundheitsministerium um einen Aufschub um drei Jahre gebeten“. Vergeblich.

„Ich lasse mir nicht auf dem Kopf herumtanzen.“

Karl-Josef Laumann, Landesgesundheitsminister, will seine Krankenhausreform konsequent umsetzen

„Ich lasse mir nicht auf dem Kopf herumtanzen“, bekräftigte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann jüngst: Er werde seine Reformpläne konsequent umsetzen. Doch nicht jeder Standort werde mit gleicher Konsequenz behandelt, kritisiert Prof. Werner: „Die Bitte um einen Aufschub des Uniklinikums Bonn wurde gehört.“ Dort lägen die Fallzahlen bei Nieren- und um Lebertransplantationen „im unmittelbaren Grenzbereich der Mindestmenge“. Trotzdem habe der Minister den Bonnern beide Leistungen zugewiesen: Zunächst befristet bis Ende 2026, also zwei Jahre lang.

Es gebe gute Argumente, auch Essen eine solche Bewährungszeit einzuräumen, findet Werner: So habe die Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer erst kürzlich nach einem Prüfbesuch, „unsere Organtransplantationen und die dafür geschaffene Infrastruktur positiv bewertet“.

Der Perfusionsraum der Uniklinik Essen: Mit der Maschinenperfusion können grenzwertig geeignete Organe transplantationsfähig gemacht werden. Im Blick eine Lungenperfusionsmaschine.
Der Perfusionsraum der Uniklinik Essen: Mit der Maschinenperfusion können grenzwertig geeignete Organe transplantationsfähig gemacht werden. Im Blick eine Lungenperfusionsmaschine. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Und zuletzt sei es mit der sogenannten Maschinenperfusion gelungen, „grenzwertig geeignete Organe transplantationsfähig zu machen“. Hierfür habe man eine spezielle Professur eingesetzt. „Mit Hilfe der Maschinenperfusion konnten wir schon über 100 Organe für eine Transplantation retten.“ Darunter viele Herzen.

Uniklinik-Chef fürchtet Folgen für Krankenversorgung, Forschung, Lehre, Gewinnung von Spezialisten und Nachwuchskräften

Ein Transplantationszentrum bündele Expertise aus verschiedenen medizinischen Bereichen. Streiche man mit dem Herzen einen Kernbereich, habe das Folgen für Krankenversorgung, Lehre, Forschung sowie für Bindung und Gewinnung von Spezialisten und Nachwuchskräften in Herzchirurgie, Herzmedizin und darüber hinaus, zählt Werner auf. „Ich hatte gehofft, die Sinnhaftigkeit siegt.“ Nun müsse man den Klageweg beschreiten.

Uniklinikchef wirbt für Widerspruchslösung

Dass die Zahl der Herztransplantationen in Deutschland generell niedrig ist, liege an der viel zu geringen Zahl an Organspenden, sagt der Ärztliche Direktor der Uniklinik Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner. „Deutschland ist mit 10,34 postmortalen Organspendern pro 1 Million Einwohner (Stand: 2022) an letzter Stelle in Europa platziert.“

Um den Organmangel zu bekämpfen, müsse die Widerspruchslösung eingeführt werden: Danach ist jeder nach seinem Tod automatisch potenzieller Organspender – sofern er dem nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Werner wirbt auch für die Donation after cardiopulmonary death (DCD), die Organspende nach Kreislauftod. Dabei werden Organe für eine Transplantation entnommen, wenn es keinen Herzschlag mehr gibt. Der Tod wird also anhand von kardiorespiratorischen Kriterien festgestellt. „DCD-Spenden sind im Eurotransplant-Verbund inzwischen verbreitet, sie dürfen in Deutschland aber nicht verwendet werden.“

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