Essen/Mülheim. Die Mülheimerin Marion Leibecke hat renommierte Essener Buchhandlung vor der Schließung bewahrt und ihren Mann vor jahrelanger Dialyse.

„Hat meine Frau erzählt, dass sie meine Lebensretterin ist?“, fragt Dietmar Leibecke forsch. Nein, hat sie nicht. Beim ersten Gespräch mit unserer Redaktion geht es um die Buchhandlung Proust, die Marion Leibecke mit ihrer Tochter Johanna ab Januar 2025 übernimmt. Mutig ist sie. Pragmatisch. Zupackend. „Großherzig“, meint ihr Mann. „Stressresistent“, meint ihre Tochter. Und zurückhaltend ist sie, die „absolute Heldin“ von Dietmar Leibecke. Aber, wenn es um das lebenswichtige Thema Organspende geht, spricht sie offen über die Niere, die sie ihrem Mann geschenkt hat. In Deutschland sind Nieren das meist benötigte Organ.

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Bakterielle Infektion blieb bei dem Essener IT-Experten lange unerkannt

Als sie sich in ihrer Heimat, dem Emsland, kennenlernten, war Marion Leibecke 16, der junge schlaksige Mann 20 Jahre und ihre Liebe unbeschwert: Er nahm für sie Kassetten auf, wie das in den 1980er Jahren noch üblich war. Ansonsten „war er anders als die anderen, nicht so festgefahren“, erinnert sie sich. Diese Verletzung am Sprunggelenk, die er sich mit 18 beim Fußball zugezogen hatte, spielte zunächst keine Rolle. Von Medizinern unerkannt entstand eine „bakterielle Infektion, die in die Niere gezogen ist. Eine ärztliche Fehldiagnose“, erzählt Dietmar Leibecke.

Später ist das Paar der Arbeit wegen nach Mülheim. gezogen. Er entwickelte sich zum IT-Experten mit eigener Firma in Essen, sie zur Assistentin der Geschäftsführung im Bereich Geschäftsluftfahrt am Düsseldorfer Flughafen. Erst mit 30 wurde seine Erkrankung festgestellt: Glomerulonephritis, so der Fachbegriff. „Seitdem ist er bei Nierenärzten in Behandlung. Ab 2010 musste er eine Dialyse übers Bauchfell machen. Er stand von Anfang an auf der Liste für ein neues Organ. Die prognostizierte Wartezeit lag bei sieben Jahren“, berichtet seine Frau.

So ein Organspende-Ausweis ist leicht zu haben, ein Organ für viele Menschen nicht.
So ein Organspende-Ausweis ist leicht zu haben, ein Organ für viele Menschen nicht. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es beeinflusste ihr Leben. Das Essen musste umgestellt werden. Medikamente waren ständige Begleiter. „Wenn wir in den Urlaub wollten, mussten wir Unmengen vorbestellen. Gearbeitet hat er immer“, schildert Marion Leibecke die Einschnitte. Die heute 54-Jährige hat sich schnell für eine Nierenspende entschieden. Sie besaß lange zuvor einen Organspende-Ausweis, hatte schon Knochenmark gespendet und plädiert für die oft diskutierte Widerrufsregelung, die jede Bürgerin, jeden Bürger zum Spender macht - außer sie oder er lehnt ab. „Ich brauche meine Organe nicht, wenn ich sterbe und jemand anderem kann geholfen werden“, ist ihre Meinung.

Für die Lebendspende musste sie bei einer Ethik-Kommission vorsprechen

Zunächst sprach die seltene Blutgruppe ihres Mannes gegen sie als Spenderin. Doch als sie erfuhr, dass es trotzdem funktioniert, freute sie sich und nahm alle notwendigen Untersuchungen an der Uniklinik Essen ganz selbstverständlich auf sich. „Acht Monate bin ich auf links gedreht worden und musste zu einer Ethik-Kommission. Die wollten feststellen, ob ich das freiwillig mache“, beschreibt sie den Ablauf bis zur Transplantation. „Ich habe das nicht als Belastung empfunden.“ Vor der drei- bis vierstündigen Operation hatte sie nur Angst, dass das Organ vom Körper ihres Mannes abgestoßen wird. Das war nicht der Fall. „Es hat vier Wochen gedauert, bis ich wieder auf dem Damm war.“

Organspende in Zahlen

Etwa 8.496 Menschen stehen, laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 2022 gab es bundesweit 869 Organspenderinnen und Organspender. 

Die meisten, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen, warten auf eine Nierentransplantation, einige auf eine kombinierte Transplantation von mehreren Organen. 743 Personen auf der Warteliste sind 2022 verstorben.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 3.372 Organe transplantiert. Jedes sechste Organ stammte dabei aus einer Lebendorganspende.

Alle Infos, Zahlen und Registrierung: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Mehr als 13 Jahre ist das jetzt her. Einmal im Jahr müssen beide zur Kontrolle in die Uniklinik. Er muss weiterhin Medikamente nehmen. Trotz der dauerhaft geschwächten Immunabwehr lässt sich der 58-Jährige vom Leben nicht abhalten. Wie seine Frau liest er viel. Als Liebhaber der Americana-Musik hat er mit ihr rund 90 Hauskonzerte veranstaltet und im Oberhausener Zentrum Altenberg das „Static Roots Festival“ seit 2016 zu einer festen Größe gemacht. Sie fahren jedes Jahr zu Musikfestivals nach Irland und anderswo, jedoch nie lange, nie weit weg von Ärzten. Mit seiner neuesten Errungenschaft, einem Fahrrad, schafft er eine weitere Gemeinsamkeit mit seiner Frau, die jahrelang 20 Kilometer zur Arbeit geradelt ist.

Ewig hält ein Transplantat bei aller Liebe nicht. Das weiß Dietmar Leibecke genau. Zehn Jahre hat man ihm in Aussicht gestellt. Obwohl das veranschlagte Haltbarkeitsdatum überschritten ist, sorgt er sich nicht. „Wenn das mein Damoklesschwert wäre, würde ich nicht glücklich werden“, sagt er und ist froh über viele alltägliche Kleinigkeiten: „Ich freue mich, wenn ich den Regen auf meinem Gesicht spüre.“ Marion Leibecke ist mit ihrer Spende auch die Endlichkeit des Menschen bewusst, wenn sie sagt: „Ich mag den Gedanken, dass ein Teil von mir in ihm ist.“

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