Bochum. Paukenschlag am Schauspielhaus Bochum: Nicolas Stemann folgt 2027 auf Johan Simons. Dabei ist der Regisseur nicht unumstritten. Eine Analyse.
Paukenschlag am Schauspielhaus Bochum: Der Regisseur Nicolas Stemann (55) wird ab der Spielzeit 2027/28 neuer Intendant. So erfuhr es die WAZ. Er tritt damit die Nachfolge von Johan Simons an, dessen Vertrag ursprünglich Mitte 2026 endet und jetzt um ein weiteres Jahr verlängert werden soll. Darauf verständigte sich der Verwaltungsrat des Schauspielhauses unter dem Vorsitz des Kulturdezernenten Dietmar Dieckmann bei einer Sondersitzung am Mittwochabend. Der Rat muss diesen Plänen am 10. Oktober noch zustimmen. Stemann soll dann erstmals am 26. November bei einer Sitzung des Kulturausschusses in Bochum vorgestellt werden.
Stemanns Co-Intendanz in Zürich war umstritten
Mit Nicolas Stemann kommt ein profilierter und intelligenter Theatermacher ans Schauspielhaus, der die Stücke lieber clever hinterfragt, statt sie brav vom Blatt abzuspielen. Der gebürtige Hamburger studierte Regie in Wien und Hamburg und spielte in diversen Bands. Eine langjährige Arbeitsbeziehung verbindet ihn mit Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, deren Texte er regelmäßig zur Erst- oder Uraufführung bringt. Er inszeniert etwa am Wiener Burgtheater, am Thalia Theater Hamburg und am Deutschen Theater Berlin.
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Zuletzt war Stemann Co-Intendant des Schauspielhauses Zürich, das er mit dem Dramaturgen Benjamin von Blomberg gemeinsam leitete. Ihre Intendanz war nicht unumstritten: Beiden wurde häufig vorgeworfen, ihr Publikum nicht zu erreichen. Neben schwachen Auslastungszahlen stand auch die inhaltliche und ästhetische Ausrichtung des Hauses im Zentrum einer energisch geführten Debatte. Ihr Vertrag lief in diesem Sommer nach fünf Jahren aus.
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Schon drei Inszenierungen von ihm waren in Bochum zu sehen
Obwohl der 55-Jährige seit vielen Jahren zur A-Liga auf deutschsprachigen Bühnen gehört, dürfte sein Name in Bochum nicht jedem etwas sagen. Drei Aufführungen waren bislang von ihm hier zu sehen. Direkt zu Beginn der Intendanz von Matthias Hartmann im Jahr 2000 brachte er die Performance „Kauft Tasso!“ in die Kammerspiele, es folgte mit „Werther“ ein vielbeachtetes Gastspiel mit dem Schauspieler Philipp Hochmair.
Erst vor zwei Jahre folgte eine ungewöhnliche und absolut packende Aufführung von „Der Besuch der alten Dame“ als Gastspiel aus Zürich, das durchaus exemplarisch für Stemanns Arbeitsweise stehen kann. Mit nur zwei exzellenten Schauspielern (Patrycia Ziólkowska und Sebastian Rudolph) und viel Musik brachte er den Dürrenmatt-Klassiker auf eine nahezu leere Bühne mit lauter gelben Gummistiefeln. So frei und dennoch verblüffend nah am Originaltext hatte man die tragische Komödie lange nicht gesehen.
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Einen fast legendären Ruf genießt Stemanns achtstündige Inszenierung von „Faust I und II“, die 2011 in Hamburg entstand und frenetisch gefeiert wurde. Auch hier wurde der komplette erste Teil nur von drei Schauspielern gestemmt. „Weltklasse!“, jubelte ein Kritiker.
Die Wahl Stemanns war ein gut gehütetes Geheimnis
Der kommende Intendant freut sich auf seine neue Aufgabe: „Das Schauspielhaus Bochum steht für eine Tradition großer künstlerischer Experimente voller Leidenschaft und Theaterbegeisterung“, teilt Stemann in einer ersten Stellungnahme mit. „Die Reihe der Intendanz-Regisseure, die dieses Haus prägten, ist beeindruckend bis heute, und ich fühle mich geehrt, hier anknüpfen zu können.“ Gespannt sei er darauf, „die Setzungen, die wir in Zürich gemacht haben, an einem Ort weiterentwickeln zu können, der sich derart mit seinem Theater identifiziert“.
„Für mich ist die weibliche Besetzung kein ausschlaggebendes Argument. Es geht nur um die Qualität der Person.“
Die Wahl von Nicolas Stemann zum neuen Intendanten war im Rathaus in den letzten Wochen ein gut gehütetes Geheimnis. Statt eine Findungskommission einzusetzen, entschied sich Dietmar Dieckmann dazu, den Kreis der Eingeweihten möglichst klein zu halten. Nur der externe Kulturberater Peter Landmann sei involviert gewesen, so der Kulturdezernent: „Am Ende waren drei Kandidatinnen und Kandidaten im engeren Rennen.“ Ihre Namen möchte er naturgemäß nicht nennen.
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Viele Gerüchte um die erste Frau an der Spitze des Schauspielhauses
Dennoch dürften jetzt einige enttäuscht sein, die sich erstmals eine Frau an der Spitze des Schauspielhauses gewünscht hätten. Bekanntlich besteht die lange Liste der Intendanten in Bochum ausschließlich aus Männern – ein Umstand, den Dieckmann durchaus einsieht: „Wir können aber nicht so lange suchen, bis es eine Frau wird“, meint er. „Für mich ist die weibliche Besetzung kein ausschlaggebendes Argument. Es geht nur um die Qualität der Person, die wir mit Nicolas Stemann auf jeden Fall gefunden haben.“
Gerüchten zufolge sollen auch einige weibliche Kandidatinnen im Rennen um den Leitungsposten gewesen sein: etwa Jette Steckel. Die Tochter des Ex-Intendanten Frank-Patrick Steckel macht seit einigen Jahren mit aufsehenerregenden Theaterarbeiten von sich reden. Oder Alexandra Liedtke, Frau des Ex-Intendanten Matthias Hartmann, die dann womöglich ihren Mann als Hausregisseur zurück an die Königsallee gebracht hätte.
Für Johan Simons endet in drei Jahren seine Leitung
Für Johan Simons endet seine Bochumer Intendanz Mitte 2027 im Alter von dann 81 Jahren. Zuletzt hatte er sich häufiger gewünscht, seinen Vertrag in Bochum noch verlängern zu können. Immerhin ein weiteres Jahr ist jetzt daraus geworden. Den künstlerischen Weg seines Nachfolgers verfolge er schon lange: „Dabei erlebe ich immer wieder, wie es ihm gelingt, die Themen unserer Gegenwart ungemein lustvoll und spielerisch auf die Bühne zu bringen“, so Simons. „Ich bin mir sicher, dass er das Publikum begeistern wird.“ Gleichzeitig freue er sich auf die kommenden Jahre in Bochum: „Ich trage so viele Erfahrungen und Geschichten in mir. Davon auf der Bühne zu erzählen, ist ein großes Privileg, für das ich dankbar bin.“