Bochum. Über Hass und Hetze: Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt ein starkes Theaterstück. Das erwartet die Besucher am Schauspielhaus Bochum.
„Das ist schrecklich! Das ist scheiße!“ Deutliche Worte findet Intendant Johan Simons am Samstag bei einer Demo vor dem Schauspielhaus Bochum. Der Rechtsruck in seiner niederländischen Heimat und drohende radikale Tendenzen bei der kommenden Europawahl treiben dem 77-jährigen Theaterchef die Zornesröte ins Gesicht. Einen Tag später bringt er das neue Stück von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek als Open-Air-Uraufführung auf die Treppen des Vorplatzes. Der Eintritt ist frei, das Anliegen ist groß: Inszeniert ist die nur rund 60 Minuten kurze Aufführung wie ein wütender Aufschrei gegen Rechtsextremismus und Ausländerhass jeglicher Couleur.
Neues Stück von Elfriede Jelinek kommt nach Bochum
Seit über zehn Jahren arbeitet sich Jelinek in vielen ihrer Texte an der Unmenschlichkeit und Scheinheiligkeit in der europäischen Flüchtlingspolitik ab. Das sprachgewaltige Opus „Die Schutzbefohlenen“ aus dem Jahr 2013 wird an den Bühnen noch immer gern gespielt. Mit „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ folgt jetzt eine Art Fortsetzung, geschrieben als Reaktion auf eine Recherche des Netzwerks „Correctiv“ über ein Treffen Rechtsextremer in einem noblen Landhaus bei Potsdam.
Erneut bedient sich die österreichische Autorin eines simplen, aber effektiven Tricks: Sie lässt einen namenlosen Chor auftreten, der den Flüchtlingen, aber auch den Grenzhütern auf der anderen Seite des Zauns eine Stimme verleiht. Jelinek schreibt gewohnt scharfzüngig – und spart nicht an grimmigem Witz etwa über die aberwitzigen „Remigrations-Pläne“, die während des Potsdamer Treffens offenbar diskutiert worden sein sollen: „Sie werden sich einen Teil von Afrika kaufen, und dann werden sie sich uns kaufen“, befürchtet einer der Geflüchteten auf der Bühne. „Zurück in die Wüste, dort ist noch Platz.“
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Johan Simons setzt für die Uraufführung auf ein ungewöhnliches Setting: Es gibt es kein nennenswertes Bühnenbild, nur etwas Licht und Musik. Die Spieler sitzen auf denselben Schulbänken, die schon in Simons‘ Inszenierung von „Der Würgeengel“ mit Sandra Hüller zu sehen waren. So sparsam und nachhaltig gedacht die Ausstattung ist, umso heller strahlt das Ensemble:
14 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten auf der Bühne
Auf den Stufen des Theaters sprechen 14 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten den herausfordernden Text als szenische Lesung. Profis aus dem Theaterensemble wie Konstantin Bühler, Michael Lippold und Jele Brückner sind ebenso darunter wie engagierte Laiendarsteller etwa aus Syrien und der Ukraine, die mit Jelineks Sprachgewalt oft hörbar zu kämpfen haben, dafür aber auch eine Menge Kraft und Vitalität mit einbringen.
Der Zauber dieser Aufführung erschließt sich schon nach wenigen Minuten: Es dauert nicht lang, da haben die Zuschauer den Verkehrslärm auf der Königsallee und das trubelige Treiben um sie herum fast komplett ausgeblendet. Es herrscht andächtige Stille. Um Jelineks nicht einfach zu entschlüsselnden Zeilen folgen zu können, braucht es Konzentration.
„Wir leben!“: T-Shirts in mehreren Sprachen
Beim donnernden Schlussapplaus trägt jeder der Schauspieler ein T-Shirt, auf dem in mehreren Sprachen steht: „Wir leben!“ Doch was bedeutet es schon, zu leben? Hier hat Elfriede Jelinek zwei messerscharf formulierte Sätze gefunden: „Wir leben, Hauptsache wir leben“, schreibt sie. „Und mehr ist es auch nicht als leben.“
Vorstellung passend zur EU-Wahl
„Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ wird wieder am 4., 19. und 26. Juni jeweils um 19.30 Uhr auf dem Vorplatz des Schauspielhauses gezeigt. Passend zur EU-Wahl gibt es auch am kommenden Sonntag, 9. Juni, um 11 Uhr eine Vorstellung.
Es stehen auf dem Vorplatz nur wenige Sitzgelegenheiten zur Verfügung. Die Stühle vor der Bühne waren bei der bestens besuchten Uraufführung rasch belegt, die meisten Zuschauer verfolgen das Spiel also stehend. Dauer: etwa 60 Minuten. Eintritt frei.