Bochum. Der neue Intendant der Ruhrtriennale, Willy Decker, eröffnete die Saison mit seiner Inszenierung von Arnold Schönbergs „Moses und Aron” - und das Premierenpublikum jubelte.

Er hat nach den Sternen gegriffen und am Ende holte er sie auf die Erde. Noch während in der Bochumer Jahrhunderthalle der letzte Ton von Schönbergs süchtigspröder Musik verklang, brach Jubel los: Das Ruhrgebiet schrie, trampelte, pfiff, feierte seinen neuen Star.

Unglaublich, wie Willy Decker das gedankenschwere Stück um Glauben, Verzweiflung und die Unfassbarkeit des Göttlichen zum sinnlichen Ereignis macht. Unglaublich, wie sich das Chorwerk Ruhr unter Rupert Huber immer weiter steigert, und unglaublich, wie die Bochumer Symphoniker schwerelos an ihren Triennale-Triumph mit Zimmermanns „Soldaten” anknüpfen.

Maßstäbe gesetzt

Exzellente Darsteller

Der Bariton Dale Duesing in der rhythmisch phrasierenden Sprechrolle des Moses ist ein Glücksfall. Andreas Conrad betört mit seinem warmen Tenor (Aron). Auch die weiteren Solisten überzeugen unbedingt. Die Bühne von Wolfgang Gussmann ist eine irreale Traumwelt, Michael Boder führt als Dirigent die Bochumer Symphoniker zu wunderbaren Höhen.

So in die erste Spielzeit zu gehen, mit einer eigenen Regie und einer Oper, die höchste Ansprüche stellt – es war fast tollkühn. Doch Decker hat sich mit diesem Schritt befreit, er hat am Anfang das Schwerste gemeistert und Maßstäbe gesetzt, nicht nur für seine Triennale.

Schönbergs Oper folgt der Bibel genau. Sie erzählt, wie Moses dem Gott seiner Väter im brennenden Dornbusch begegnet; wie er sich weigern will, den göttlichen Auftrag zu übernehmen: „Lass mich in Ruhe meine Schafe weiden!” und wie Gott das Hindernis schon gelöst hat. Weil Moses erkennen kann, aber nicht reden, gibt er ihm seinen Bruder Aron zur Seite. Doch was im Alten Testament die Befreiung Israels nur begleitet, ist bei Schönberg die zweite Hauptsache. Die erste ist, dass Gott erwählt. Die zweite: dass, wer Gott direkt erfährt, keine Worte für ihn findet.

Spirituelle Erörterung in Zwölftonmusik übersetzt

Schönberg hat diese spirituelle Erörterung in Zwölftonmusik übersetzt, Decker öffnet Wände und gibt so beidem Raum zum Fließen. Die Jahrhunderthalle hat sich bei Zimmermann als Raum für unerhörte Klänge bewiesen, Decker nimmt die Idee der fahrenden Bühne auf und erweitert sie. Bei ihm sitzen sich die Zuschauer in ansteigenden Blöcken gegenüber, kaum ein Meter bleibt zwischen ihnen. Da ist keine Bühne und kein Bühnenbild, das Orchester bleibt lange verborgen, Moses sitzt mitten im Publikum wie der verstreute Chor. Da entsteht erst Irritation und dann suggestiver Klang, der sich steigert, wenn alle hinunter steigen, dahin, wo sich nun der Raum öffnet. Die Tribünen rücken auseinander, die Zuschauer spüren es als Vibrieren. Die Dramatik teilt sich körperlich mit.

Decker macht den Chor zum Hauptdarsteller, führt ihn als wuchtigen Block, als auseinander sprengende Menge. Die Knechtschaft in Ägypten symbolisiert ein Kasten, der von oben auf die geöffnete Bühne schwebt, darin reihen sich die Menschen, trotten stumpf auf der Stelle. Arons Stab aber, mit dem er Wunder tut, ist ein riesiger Stift – wer aufschreibt, schafft Verstehen.

Das Fehlen von Farbe

Eindringlich setzt die Inszenierung auf Kontraste, auf Licht und das Fehlen von Farbe. Grau der Chor, weiß die Bühne; Moses und Aron schwarz. Auf Schriftbändern an den Wänden die Zehn Gebote, später wird Moses sie als Papier hinter sich herziehen. Später halten die Kinder Israel weiße Blätter in Händen: „Ist Gott ewig unsichtbar?”

Sie folgen Moses – nicht; waren anfangs ein mutloser Haufen, nicht reif für einen starken Gott, und werden beim Tanz ums Goldene Kalb zur gierigen Schar. Sie steigert sich in den Rausch des Blutopfers. Mit großem Ernst zeigt Decker blutverschmierte Leiber: So ist es, wenn Menschen sich abwenden von der Strenge des Gedankens. Und dann, wenn die Rasenden taumeln auf dem Höhepunkt der Orgie, öffnen sich neue Wände, das Orchester fährt durch den Raum; Moses zerfetzt die Gebote. Hinter den Verschwindenden, ohnmächtig zurückbleibend, ruft er sein: „O Wort, du Wort, das mir fehlt!”

Das Ereignis ist bezwingend. Das Ruhrgebiet jubelt.

Aufführungstermine: 25., 28., 30. 8., 2. 9. Restkarten an der Abendkasse.