„Moses und Aron” von Arnold Schönberg, ein Opern-Ereignis, wie es nur ein Festival vom Zuschnitt der Ruhr-Triennale bieten kann. Einige Impressionen vom Festivalauftakt in der Jahrhunderthalle.

Als die Schlangen dann sichtbar wurden, hätten sie doch Angst bekommen. „Während der Proben mussten wir uns das ja nur vorstellen", erzählt einer der Statisten.In der Tat waren in der Aufführung der Oper „Moses und Aron" die größer werdenden und sich vervielfältigenden, züngelnden Kriechtiere ungemein realistisch auf jenen großen durchsichtigen Kasten projiziert, der sich zu diesem Zeitpunkt von der Decke über das Volk Israel gesenkt hatte. Diese Menschenmenge, zwischen altem Götterglauben und der Verkündung des neuen, einen Gottes hin- und hergerissen, wurde durch das Chorwerk Ruhr und die Statisten gebildet. Doch was heißt in diesem Zusammhang Statisten? Sowohl sie als auch die Sängerinnen und Sänger waren eng in die Handlung miteinbezogen, hatten komplizierte choreographische Auftritte zu bestehen und sich beim Tanz um das goldene Kalb (das hier aus weißem Plastik bestand) in eine enthemmt scheinende Blut- und Sexorgie hinein zu steigern. Da floß das Theaterblut literweise. Wie aus einer fernen biblischen Geschichte sinnliches Theater gemacht werden kann, mit zeitgenössischen Stilmitteln und allen technischen Möglichkeiten, konnte das Publikum überzeugend während der Eröffnungsinszenierung der Ruhr-Triennale zu erleben

Nur Details sichern durch

Im Vorhinen waren nur Details über die Inszenierung des neuen Intendanten Willy Decker durchgesickert. Noch aufwändiger, noch teurer wäre sie als die spektakuläre Deutung von Zimmermanns „Die Soldaten" in der Flimm-Ära. Auch hier würden die Zuschauer auf ihren Sitzen durch den Raum bewegt - bei den „Soldaten" bekanntlich einen langen Steg entlang, auf dem sich wie bei einem Stationendrama die Szenen jeweils abspielten. Bei „Moses und Aron" wäre diese Mobilität anders gelöst. Die Erwartungen waren hoch gesteckt - und wer es am tosenden, nicht enden wollenden Beifall des Premierenpublikums bemessen wollte, müsste sagen: Intendant und Regisseur Willy Decker hat „seiner" Ruhr-Triennale einen fulminanten Einstieg bereitet.

Suche nach dem Bühnenbild

Wer sich auf seinen Platz gesetzt hatte, suchte zunächst vergebens ein Bühnenbild. Die beiden Zuschauerränge mit dem ansteigenden Gestühl - die sogleich an den Blick in ein Tal denken lassen - sind eng gegeneinandergesetzt; die Zuschauer ganz unten schauen sich also quasi gegenseitig ins Gesicht. Ein Bühnenbild ist schlicht nicht vorhanden. Zunächst.

Unsichtbar und unbegreiflich

Der „Eine Gott", unsichtbar, ungegreiflich, der von Moses verkündet wird, wird auf verblüffende Weise mit einem einfachen Theatercoup anschaulich gemacht. Moses (Dale Duesing) sitzt mitten im Publikum, spricht dort die ersten Worte. Der Chor beginnt mit einer Art Sprechgesang. Und auch die Chormitglieder haben ihren Platz zwischen den Zuschauern gefunden, und so entpuppt sich mancher Mann, manche Frau, die bis dahin ganz harmlos zum Publikum zu gehören schienen, als Ensemblemitglied mit kräftiger Stimme, - ein nicht geringer Überraschungseffekt für direkt daneben sitzende Zuschauer.

Raum öffnet sich

Der Raum zwischen den beiden Zuschauerpodesten wird im Laufe der knapp zweieinhalb Stunden langen Inszenierung zeitweise so weit geöffnet, dass das gesamte Orchester, das zuächst verborgen hinter der Seitenwand gespielt hatte, über die Bühne gezogen werden konnte. Das ist nur einer der frappierenden Einfälle der Inszenierung einer Oper, die die Sprachlosigkeit gegenüber dem Göttlichen zum Thema hat, und dafür noch viele überzeugende Bilder und Klänge findet.