Bochum. Wie überlebt man in einer reizüberfluteten Welt? "Autland – Kanon für ein unersättliches Gehirn" ist die letzte Musik-Kreation der Ruhrtriennale 2009. Ambitioniert, aber qualitativ von sehr schwankender Güte.
Wie orientiert sich der Mensch in einer reizüberfluteten Welt? Welche Strategien entwickelt er, um sich nicht hilflos den Einflüssen auszuliefern? Um diese Frage kreist Beate Barons Musiktheaterstück „Autland – Kanon für ein unersättliches Gehirn”, der letzten musikalischen Kreation der diesjährigen Triennale. Antworten bleiben nur angedeutet, dafür wird einem das Problem in der Bochumer Jahrhunderthalle hautnah vergegenwärtigt.
Das Publikum nimmt auf einer rotierenden Scheibe in Bürostühlen Platz, umgeben von einer erhöhten Spielfläche. Von den Seiten dringen dumpf pulsierende, elektronische Klänge auf den Hörer ein, der verstreute Chor ringt hechelnd nach Atem und Worten.
Auf der kreisenden Reise nimmt man schemenhaft Objekte wahr: eine Frau auf einem Sofa, vier Rednerpulte, Schriftzüge. Nach dem Eröffnungsspuk folgen Texte von entwaffnender Banalität, schillernder Skurrilität und philosophischem Tiefgang. Ein Klang- und Wortchaos, dem man hilflos ausgesetzt ist.
Problem der modernen Reizüberflutung
So verwirrend das Ergebnis, so verwirrend die Zutatenliste der Performance: Elektronik von Genoël von Lilienstern, vokale Kreationen des jungen deutsch-russischen Komponisten Sergej Newski, ausgeführt vom sechsköpfigen „VocaalLAB Nederland” und dem Vocalensemble Kassel, eine zirkusrunde Spielfläche von Justyna Jasczuk sowie Texte einer Autisten-Gruppe.
Das Zentrum bildet der 36-stimmige Kanon „Deo Gratias” des franko-flämischen Meisters Johannes von Ocke ghem. Der strenge Kanon wirkt in seiner formalen Klarheit, seiner wiegenden Bewegung in der akustisch idealen Jahrhunderthalle geradezu berauschend und nicht minder sinnverwirrend als der plakative Rummel aus den Lautsprechern und den qualitativ sehr unterschiedlichen Kompositionen Sergej Newskis.
Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt die stark herausgestellte Herkunft der Texte aus den Federn autistischer Menschen. Auch wenn im Vorfeld immer wieder die Hochachtung vor deren Leistungen betont wird, werden die Texte doch wie exotische Dokumente mit oft unfreiwilliger Komik eingestreut. Und bedarf es ausschließlich autistischer Menschen, um die Problematik der modernen Reizüberflutung zum Ausdruck zu bringen?
Viel Beifall für eine ambitionierte, letztlich aber problematische Produktion.