Essen. Das Misstrauen ist in der Welt, das Unrecht und die Verletztheit - Andrea Breth inszeniert für die Ruhrtriennale Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug" im Salzlager auf Zollverein: komisch, zornig, grandios.
"Der zerbrochne Krug" ist eine schlimme Geschichte. Voll fliegendem Wortwitz, das ist wahr; aber hinter den schillernden Lügen des Dorfrichters Adam und den sprachgewaltigen Attacken der Frau Marthe dehnt sich schwarz der Abgrund menschlicher Schwäche; und Bosheit. Unbeirrt zeigt Andrea Breth die Nachtseite des Stücks, das zum Gassenhauer des deutschen Gymnasiums verkommen ist.
Schon das Amtszimmer (Bühne: Annette Murschetz) verrät stumpfen Kleingeist, und die Liederlichkeit des Richters. Die Tapete hat Löcher, Akten sind in lächerliche Höhen gestapelt und auf einem Strohhaufen lagert ein (Plastik-) Schwein. Dazu ragt beiläufig ein Stück Gegenwart ins schäbige Chaos; in der Ecke steht, keineswegs verloren, ein Schreibtischstuhl. Kunstledern. Mit Rollen.
Später wird sich zeigen, dass auch in dieser armseligen Hölle der Satan haust; vorerst liegt nur ein gefährliches Summen über dem Raum wie ein Geschwader Flugzeuge. Dass sich der Mensch just hier aus dem Paradies katapultieren wird, verrät noch nichts.
"Gestrauchelt bin ich hier"
Natürlich aus dem Paradies. Der sich und andere daraus vertreibt, heißt nicht zufällig Adam, und zu seinem Sündenfall gehört eine Eve. Doch Kleist hat die Geschichte doppelt gewendet, bei ihm ist der Mann der Verführer, die Schlange; er windet sich unwürdig. Und verliert. Wenn es einer Erklärung bedürfte, wie der „Zerbrochne Krug” zur Ruhr Triennale und ihrem Motto „Jüdische Religion” passt, so läge sie im ersten Buch Mose. Kleist erzählt die Geschichte neu; komisch, wild und melancholisch. Andrea Breth bringt die Facetten faszinierend zum Schwingen.
Es beginnt behäbig. Adam und seine Wunden: ein Bild alltäglichen Jammers, und sein Schreiber Licht ist auch nicht besser, grau ergeben in irgendwie alles. Es läppert so hin, obwohl gleich die ersten Worte das Elend benennen: „Ei was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!” grunzt überwältigend komisch Wolfgang Michael. Und Seven-Eric Bechtolf als Adam räsoniert: „Gestrauchelt bin ich hier, denn jeder trägt den leidgen Stein zum Anstoß in sich selbst.” Dann tritt Gerichtsrat Walter auf, der die Sauwirtschaft überprüfen will, und es kommt Leben in die Bude. Nämlich Angst.
Nichts wird gut
Dazu hat Adam allen Grund. Er hat sich mit einer üblen Lüge in Eves Zimmer geschlichen und fliehend, als der Bräutigam auftauchte, einen Krug zerschlagen. Den trägt die Mutter des Mädchens nun vors Gericht, doch jeder weiß, dass es nicht um Sachbeschädigung geht, sondern um Eves Ehre. Adam soll über sich selbst richten: Der Ausgang steht fest, obwohl der Richter im Erfinden von Ausreden selbst des Teufels Großmutter übertreffen würde. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis der Leibhaftige ins Spiel kommt; je hemmungsloser seine Niedertracht wuchert, umso mehr lässt Adam die Maske des Kleinbürgers fallen. Grandios, wie Bechtolf ihn vom trägtörichten Dorfrichter zum Raubtier anschwellen lässt, zum gereizten Satan, der rast und brüllt und auftrumpft und bereit ist, seinen Feinden alles anzutun, um sich zu retten. Und plötzlich schwankt das Spiel, es kippt, die Verstörung ist greifbar; kein Halt, für niemanden, auch nicht für die Zuschauer, und für einen langen Augenblick breitet sich traumhafte Unwirklichkeit aus; der Vater des Bräutigams stolpert im Stroh und findet ein Ei, das er erst fragend betrachtet und dann auf dem Rücken des Sohnes zerquetscht: als er in umarmt. Gelb rinnt es herunter.
Am Ende wird nichts gut. Zwar ist alles gesagt, Muhme Brigitte, von der unvergleichlichen Elisabeth Orth als unscheinbar schiefes kleines Gespenst gespielt, hat die offenkundige Wahrheit endlich ans Licht gebracht, Eves Ehre ist wieder hergestellt, aber nicht mal der Bräutigam ist froh. Still abgewandt sitzt und steht jeder für sich, das Misstrauen ist in der Welt, das Unrecht und die Verletztheit. Hier ist mehr als ein Krug zerbrochen, das unschuldige Glück wird nie zurückkehren. Hier gibt es kein Paradies mehr.
Andrea Breth tut dem Text keine Gewalt an. Sie überträgt die Worte in Gesten und Stimmungen, nichts ist zuviel. Wo Witz und Klamauk wirken müssen, zeigt sie beides ohne Übertreibung, und wo das Entsetzen sich ausbreiten will über all die Bosheit und Dummheit, gibt sie ihm Raum. Sie ist ernsthaft noch in der ärgsten Pöbelei. Ein großer Abend, und großer Applaus.