Amsterdam. Wenn das Unerhörte, unerwartet in eine Familie einbricht: Ivo van Hove überträgt für die Ruhrtriennale Pier Paolo Pasolinis Film „Teorema” auf die Bühne – ein Probenbesuch.

Ein Raum, grau-schwarze Auslegeware auf dem Boden. Und an den Wänden – Andeutung einer Wohnung, die Küchenzeile fehlt. „In der Jahrhunderthalle wird die Bühne viel größer sein”, sagt Regisseur Ivo van Hove. Dann werden sich die Familienmitglieder auf der weiten Fläche verlieren, isoliert von sich und der Welt. Ivo van Hove probt an der Amsterdamer Stadtschouwburg, einem verkehrsumtosten Bau in der City, die Theaterfassung von Pier Paolo Pasolinis „Teorema”.

Familie ist nicht mehr Basis der Gesellschaft

Sie erzählt von einer Fabrikantenfamilie, in die das Unerhörte, Unerwartete einbricht. In Form eines jungen hübschen Mannes. Niemand erfährt, wer er ist und woher er kommt. Der Fremde bringt die bleierne Idylle ins Wanken, verführt alle Familienmitglieder samt Haushälterin. Als er so unversehens verschwindet wie er gekommen ist, hinterlässt er verstörte Menschen, die die Leere ihres Daseins erkannt zu haben scheinen und in unterschiedlichen Fluchtversuchen ihr Heil suchen.

Für Ivo van Hove beschreibt „Teorema” das Szenario einer Krise. Für Pasolini liegt sie im kapitalistischen System begründet. Nicht zuletzt gilt er als scharfer Kritiker eines allgegenwärtigen Konsumterrors, der seiner Ansicht nach zwar nicht tötet, aber den Menschen die Individualität schmälert und unterschiedliche kulturelle Traditionen einebnet – zu deren besserer Verkäuflicheit. Diese Sicht erscheint Ivo van Hove nur „ein wenig altmodisch”, als Beschreibung einer Übergangszeit aber bleibe „Teorema” allemal gültig.

Wie Musik auf einer Saite

Jahrhunderthalle

Uraufführung

„Teorema" nach Pier Paolo Pasolini wird durch die Toneelgroup Amsterdam am Freitag, 18. September, 20 Uhr, in der Jahrhunderthalle Bochum uraufgeführt und ist dort bis zum 26. September zu sehen. Publikumsgespräch: 22. September.

Verkörpert der Fremde die Ankunft des Göttlichen, des Spirituellen in einer materialistisch ausgerichteten Welt? Fest stehe jedenfalls: „Die Familie ist nicht mehr die Basis der Gesellschaft”. Der Film aus dem Jahr 1968 erzählt die Geschichte in sperrigen Bildern von asketischer Ruhe am Rande des Schweigens. Die Wucht des Visuellen lässt sich schwerlich auf die Bühne übertragen. So bezieht sich van Hove stattdessen auf den Roman von Pasolini, der parallel zum Film entstanden ist und dessen Handlung nacherzählt.

Die ersten Probeneindrücke vermitteln eine distanzierte, fast sterile Anverwandlung des Themas. Teorema, eine Elegie? Ivo van Hove lacht und widerspricht: Nein, nein, die Gefühlsausbrüche des Hausmädchens Emilia und des Vaters Paolo explodieren überzogen, grotesk beinahe. Teorema, eine Komödie? Sicherlich ebenso wenig. Sobald der Gast weg ist, sprechen die Personen über sich selbst, im dritten Teil ist gar „die Stimme des Unterbewussten zu hören”, so der Regisseur. Und er vermutet: „Wenn der Zuschauer das gesehen hat, wird er froh sein, daran nicht beteiligt gewesen zu sein.”

Während der Ruhr-Triennale 2008 ist Ivo van Hoves Bühnenadaption von Viscontis „Rocco und seine Brüder” zu sehen gewesen: „Ein Spektakel mit Blut und Schweiß”, so der Regisseur. „Teorema” dagegen sei vergleichbar mit einer „Musik, die man nur auf einer Saite spielt”.