Goch. Bei der Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in Goch gab’s interessante Details zum MVZ zu hören. Warum ein Hausarzt emotional wurde.
Die Steilvorlage für die Diskussionsrunde zur medizinischen Versorgung in Goch lieferte der Stadtrat am Donnerstagabend, als er einstimmig die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Trägerschaft der Stadt beschloss. Wie berichtet, sollen dafür im ehemaligen Tertiarinnenkloster an der Mühlenstraße Praxisräume hergerichtet werden und sich zwei Kinderärzte ansiedeln.
Bei der Podiumsdiskussion im Goli-Theater, zu der der Arbeitskreis der Frauen Union Goch und der CDU-Ortsverband Goch eingeladen hatten, hörten die gut 100 Zuhörerinnen und Zuhörer am Montagabend nun einige interessante Hintergründe zu der wegweisenden Entscheidung. Seitdem die mittlerweile verstorbene Dorothee Graf-Froebrich vor rund einem Jahr ihre Praxis aus gesundheitlichen Gründen schließen musste und trotz großer Bemühungen ihre Nachfolge nicht mehr regeln konnte, ist Goch als zweitgrößte Stadt im Kreis Kleve mit 35.000 Einwohnern ohne Kinderärztin und Kinderarzt. Eltern müssen mit ihren kranken Kinder derzeit weite Wege über den Rhein oder bis nach Xanten auf sich nehmen.
Gabi Theissen: „Die Kinderarztversorgung ist das drängendste Problem“
„Das ist nicht tragbar, deshalb ist die Kinderarztversorgung das drängendste Problem“, stellte Gabi Theissen fest, die extra für die geplante MVZ-Gründung zum 1. Mai 2023 als Gesundheitsbeauftragte der Stadt Goch eingestellt wurde. Nach vielen Gesprächen in den vergangenen Wochen und Monaten sei sie sehr zuversichtlich, dass diese größte Not in weniger als einem Jahr gelindert wird. Noch sei die Tinte unter den Verträgen nicht trocken, betonte Theissen. Doch das starke Interesse von zwei Kinderärztinnen, im kommunalen MVZ als Angestellte zu arbeiten, ist verbrieft.
Dr. Christoph Starke, niedergelassener Hausarzt in Kevelaer-Twisteden und Vorsitzender der Kreisstelle Kleve der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, saß neben Gabi Theissen auf dem Podium und verriet, dass eine Kinderärztin aus Kevelaer nach Goch wechseln könnte. Nur eine weitere Medizinerin kommt demnach von außerhalb. „Das ist eine Art Kannibalismus. Die Versorgung im Nahbereich wird sich eigentlich gar nicht ändern“, kritisierte Dr. Starke.
MVZ soll am 1. Oktober 2024 eröffnen
„Wir haben kein Interesse daran, irgendjemanden abzuwerben“, antwortete Theissen. „Aber wenn jemand sagt, ich möchte mich gerne in Goch niederlassen, weil ich da vielleicht auch wohne, kann man das nachvollziehen. Und wenn wir darüber hinaus eine Kinderärztin dazubekommen, ist das nicht nur für Goch, sondern für den ganzen Kreis positiv.“
Ohnehin sei die Ansiedlung der Kinderärztinnen im städtischen MVZ, das laut der Gesundheitsbeauftragten zum 1. Oktober 2024 eröffnen soll, erst einmal ein Start. „Wir sind nach wie vor offen für Kooperationen und gesprächsbereit für jeden. Wir können jederzeit weitere Arztsitze andocken“, sagte Gabi Theissen und stellte klar, dass die Stadt keineswegs gegen die niedergelassenen Hausärzte in Goch arbeite.
Dr. Jürgen Berger-Roscher: „In Kleve werden wir regelrecht umworben“
Als ein solcher ist Dr. Jürgen Berger-Roscher in einer großen Gemeinschaftspraxis tätig und hat zudem gemeinsam mit Dr. Thorsten Krause das Palliativ Netzwerk Rhein-Maas aufgebaut. Er bezeichnete es als „großartig, dass die Initiative der Stadt erfolgreich ist“, forderte jedoch von der Verwaltung auch Unterstützung. „Wir möchten gerne unter ein Dach kommen“, sagte Dr. Berger-Roscher. Gespräche mit der Stadt über ein passendes Grundstück oder Gebäude seien vor zwei Jahren ergebnislos verlaufen. „Die Zeit war nicht reif“, meinte er, ohne weiter ins Detail zu gehen.
„Ich würde mir aber sehr wünschen, dass jetzt auf uns zugegangen wird. In Sonsbeck, Weeze oder Kleve werden wir regelrecht umworben“, berichtete der engagierte Mediziner, der ein Team von sieben Ärztinnen und Ärzten sowie rund 100 Mitarbeitenden um sich weiß. „Wir haben zweimal unseren Handschuh in den Ring geworfen und sind noch immer sehr daran interessiert, in der Stadt zu bleiben. Am Ende ist es mir aber egal, ob ich dies- oder jenseits vom Gocher Ortsschild arbeite. Denn ich möchte in Würde arbeiten, das kann ich jedoch mit fünf Büros, die überall in Goch verteilt sind, im Moment nicht leisten.“
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Emotionaler Appell vom Hausarzt: „Ich brenne gerade und brauche unbedingt Hilfe“
Dann richtete Dr. Jürgen Berger-Roscher einen emotionalen Appell an Gabi Theissen: „Ich brenne gerade und brauche unbedingt Hilfe, damit das Team und ich unsere Leistungen aufrecht erhalten können.“ Diese Worte kamen unter großem Applaus des Publikums bei der ehemaligen Regionaldirektorin des Wilhelm-Anton-Hospitals an: „Sie können sich darauf verlassen, dass wir mit Sicherheit Kontakt aufnehmen werden“, kündigte sie an.
Problematisch ist die Situation auch bei den Fachärzten. Goch habe im Kreis Kleve einen der niedrigsten Stände, stellte Dr. Christoph Starke fest. Vor allem internistisch-gastroenterologisch sehe es dunkel aus, als Patient müsse man auf eine Magenspiegelung ein halbes Jahr warten. Zudem fehlen Dermatologen.
Mehr Kita-Plätze mit flexibleren Betreuungszeiten werden gebraucht
Prof. Dr. Volker Runde blickte als Ärztlicher Direktor des Katholischen Karl-Leisner-Klinikums bei der Ursachenforschung für die schlechter werdende medizinische Versorgung über die Stadtgrenzen hinaus. Das Zwei-Klassen-System aus Privat- und Kassenpatienten sei das „riesen Grundproblem. Daran können wir in Goch nichts ändern“. Es zeige sich zudem ein „Stadt-Land-Gefälle“ und wegen der ÖPNV-Situation eine „ganz dramatische Ungerechtigkeit“. Man müsse sich auch darauf einstellen, dass die Medizin weiblicher werde, forderte Prof. Dr. Runde. Die Runde war sich einig: Es braucht deswegen mehr Kita-Plätze mit flexibleren Betreuungszeiten.
Anstellungen in einem MVZ oder in einer Praxis können ebenfalls helfen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. „Es gibt allerdings keine Übersicht, wer im Kreis Kleve überhaupt Ärzte einstellt“, sagte Pascal Wieners, Leiter Regionales Gesundheitsmanagement bei der AOK-Regionaldirektion Kleve-Wesel. Ein Arbeitskreis habe nun beschlossen, dies zu ändern und Informationen für interessierte Mediziner zusammenzustellen.
>> So funktioniert das kommunale MVZ
Das Medizinische Versorgungszentrum in Trägerschaft der Stadt Goch erhält die Rechtsform einer GmbH. Eine der beiden interessierten Medizinerinnen wird die ärztliche Leitung übernehmen, zudem gibt es eine kaufmännische Leitung. Laut Gabi Theissen wird die Stadt Goch bei der MVZ-Gründung von einer externen Firma beraten. Ein Businessplan über zunächst fünf Jahre sehe vor, dass nach einem kleinen Defizit im ersten Jahr anschließend geringe Gewinne erzielt würden. „Wir benötigen ja auch nur eine schwarze Null, denn unser Anliegen ist, die Versorgung der Bürger in unserer Stadt sicherzustellen“, sagte die Gesundheitsbeauftragte.
Interessierte Investoren hätten sich nicht bei der Stadt gemeldet, so Theissen. Und auch die Geschäftsführung des Karl-Leisner-Klinikums habe sehr deutlich gemacht, dass keine MVZ-Gründung im Bereich der Kinder- und Hausärzte vorgesehen sei. Die Stadt Goch investiert insgesamt 770.000 Euro in die Sanierung des ehemaligen Tertiarinnenklosters inklusive Herrichtung der Praxisräume.