Goch. Die Stadt Goch versucht, Ärzte aufs Land zu bekommen. Die aktuell diskutierte Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums wäre ein Novum.

Die Stadt Goch denkt intensiv über die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in kommunaler Trägerschaft nach, um den eklatanten Ärztemangel zu lindern. Das wurde bei der Haushaltsberatung im Haupt- und Finanzausschuss am Donnerstagabend bekannt. Es wäre das erste kommunale MVZ am gesamten Niederrhein, laut Gesundheitsministerium waren es zuletzt in ganz NRW nur vier.

Die Fraktionen von BFG, Bündnis 90/Die Grünen und SPD hatten die Prüfung eines solchen Vorhabens beantragt. Die Ausschussmitglieder und Zuschauer im Ratssaal vernahmen dabei, dass die Stadt Goch bereits einige Schritte in diese Richtung gegangen ist. Bürgermeister Ulrich Knickrehm, der in der Sitzung erkrankt fehlte, ließ von seiner ersten Stellvertreterin Anne Peters eine ausführliche Stellungnahme vortragen.

Die Stadt Goch führt Gespräche darüber, ein MVZ oder eine Großarztpraxis im ehemaligen Tertiarinnenkloster unterzubringen.
Die Stadt Goch führt Gespräche darüber, ein MVZ oder eine Großarztpraxis im ehemaligen Tertiarinnenkloster unterzubringen. © Unbekannt | Niklas Preuten

Gesundheitsexpertin Gabriele Theissen begleitet die Gespräche

Darin hieß es, dass die Verwaltung bereits seit geraumer Zeit Gespräche über eine Großarztpraxis oder ein trägergebundenes MVZ in dem früheren Tertiarinnenkloster (ehemalige Stadtbücherei) in der Gocher Innenstadt führe. Daran beteiligt sei auch Gabriele Theissen, Regionaldirektorin des Wilhelm-Anton-Hospitals und langjährige stellvertretende Bürgermeisterin, wegen ihrer „sehr guten Kontakte im Gesundheitswesen“, wie Ulrich Knickrehm schrieb.

In den Gesprächen habe sich abgezeichnet, dass die Gründung eines eigenen MVZ sinnvoll und erfolgversprechend sei. Landrat Christoph Gerwers unterstütze die Bemühungen der Stadt Goch, so der Bürgermeister. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) begrüße die Initiative, sagte Sprecher Christopher Schneider am Freitag auf Anfrage. „Wir sind bereits im Austausch mit der Stadtspitze zur Frage, wie wir seitens der KVNO das Vorhaben unterstützend begleiten können.“

Ulrich Knickrehm: „Völlig außerhalb der kommunalen Erfahrung“

Sollte die Stadt Goch tatsächlich als Arbeitgeber für Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt auftreten, würde sie unbekannte Wege beschreiten. „Ein MVZ in kommunaler Trägerschaft liegt völlig außerhalb der kommunalen Erfahrung“, stellte Knickrehm in seinem Statement fest. Welche Rechtsform und rechtlichen Rahmenbedingungen geeignet seien und wie das Personal gewonnen werden könne, sei mit fachlicher Beratung zu klären. Dafür ließ der Haupt- und Finanzausschuss einstimmig bei Enthaltungen von CDU und AfD 50.000 Euro in den Haushalt einstellen. „Parallel wird die Förderung eines Ärztehauses im Auge behalten. Die Gespräche dazu werden unter fachlicher Begleitung von Gabriele Theissen fortgesetzt“, ließ Bürgermeister Knickrehm ankündigen.

Gabriele Theissen ist Regionaldirektorin im Gocher Wilhelm-Anton-Hospital.
Gabriele Theissen ist Regionaldirektorin im Gocher Wilhelm-Anton-Hospital. © Unbekannt | Niklas Preuten

Zuschuss auch für Übernahme einer Hausarztpraxis

BFG, Grüne und SPD sehen in einem MVZ bessere Chancen, Medizinerinnen und Mediziner für Goch zu gewinnen. BFG-Fraktionsvorsitzender Udo Wennekers nannte eine weitestgehende Entlastung von administrativen Aufgaben und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Vorteile für die Beschäftigten in einem Medizinischen Versorgungszentrum. Die vom Rat bereits Ende 2022 beschlossene Auszahlung eines 50.000-Euro-Zuschusses zur Übernahme einer Hausarztpraxis sei ein erster Schritt im Kampf gegen den Ärztemangel. „Aber er reicht nicht aus“, sagte Wennekers. Willi Ratsak (SPD) erhofft sich, insbesondere Fachärzte für eine Arbeit in der Stadt begeistern zu können. „Denn da ist Goch ganz schlecht aufgestellt.“

Auch die CDU sieht das Problem. „Für uns ist aber wichtig, dass wir keinen Wettbewerb zur Klinik aufbauen, in dem es bereits ein MVZ gibt“, sagte Fraktionschef Andreas Sprenger mit Verweis auf das MVZ Karl Leisner in den Räumen des Gocher Krankenhauses. Er regte an, auch eine Kooperation mit dem Karl-Leisner-Klinikum (KKLE) zu prüfen. Laut der Einlassung von Bürgermeister Knickrehm war auch das KKLE an den bisherigen Gesprächen beteiligt.

CDU lehnte den Haushalt ab

Die erfahrenen Chirurginnen Stefanie Untiedt (links) und Dr. Veronica Pielen kümmern sich im MVZ Karl Leisner in den Räumen des Wilhelm-Anton-Hospitals um ihre Patientinnen.
Die erfahrenen Chirurginnen Stefanie Untiedt (links) und Dr. Veronica Pielen kümmern sich im MVZ Karl Leisner in den Räumen des Wilhelm-Anton-Hospitals um ihre Patientinnen. © Unbekannt | KKLE / Thomas Momsen

Die CDU enthielt sich bei der Abstimmung zum MVZ, andere Anträge unterstützte sie. In Gänze lehnten die Christdemokraten den Haushalt 2023 jedoch ab und schwenkten so deutlich auf Konfrontationskurs zur Verwaltung ein. „Wir haben eine Verantwortung den Bürgern gegenüber und können die Defizite so nicht fortschreiben. Wir stehen kurz vor der Haushaltssicherung“, sagte der Fraktionsvorsitzende Andreas Sprenger mit Blick auf die prognostizierten negativen Jahresabschlüsse in Millionenhöhe, die die mühsam aufgebaute Ausgleichsrücklage der Stadt Goch in den kommenden Jahren voraussichtlich aufzehren werden.

„In der Verwaltung ist kein Sparwille zu erkennen“, kritisierte Sprenger. Seine Fraktion leiste einen Beitrag, indem sie keinen Haushaltsantrag gestellt und keine Luftschlösser gebaut habe. Die FDP enthielt sich bei der Abstimmung, während BFG, Grüne, SPD und AfD dem Etat 2023 im Haupt- und Finanzausschuss zustimmten. Endgültig beschlossen wird der Haushalt in der Ratssitzung am 14. März.

>> Das ist ein Medizinischen Versorgungszentrum

In einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) arbeiten mehrere ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte kooperativ unter einem Dach zusammen. Insbesondere für junge Medizinerinnen und Mediziner, die ein Angestelltenverhältnis der Freiberuflichkeit vorziehen, ist die Tätigkeit in einem MVZ mit flexibleren Arbeitszeiten interessant.

MVZ können von zugelassenen Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäusern, Erbringern von nichtärztlichen Dialyseleistungen, bestimmten gemeinnützigen Trägern und anerkannten Praxisnetzen gegründet werden. Auch Kommunen können so bereits seit 2011 die Gesundheitsversorgung in ihrer Region verbessern.

Obwohl der Gesetzgeber 2015 die Voraussetzungen für kommunale MVZ gelockert hat, bleiben diese Einrichtungen in kommunaler Hand Ausnahmen. Der Kassenärztlichen Vereinigung sind für den Nordrhein bislang nur MVZ in Remscheid und Monheim bekannt, an deren Betrieb die jeweiligen Kommunen beteiligt sind. Zum Stichtag 31. Dezember 2021 gab es im Bereich Nordrhein insgesamt 475 Medizinische Versorgungszentren, davon 221 in Krankenhausträgerschaft.