An Rhein und Ruhr. Bike- und Carsharing gelten als wichtige Stützen für die Verkehrswende. Doch gerade in ländlichen Regionen des Niederrheins gibt es viele Hürden.
Es klingt träumerisch. Auch in den ländlicheren Bereichen des Niederrheins soll niemand mehr auf den eigenen Pkw angewiesen sein. Verleihstationen für Fahrräder und Autos – am besten umweltfreundliche Modelle – sollen die berühmte „letzte Meile“, also den finalen Abschnitt einer Fahrt, erschwinglich mobil gestalten. Pendeln von Ort zu Ort mit dem ÖPNV und dann schnell noch auf das Leihrad oder -auto zum eigentlichen Ziel – so zumindest in der Theorie.
Dass diese jedoch gerade auf dem Land alles andere als einfach umzusetzen ist, zeigt der Versuch im Kreis Wesel, einen einheitlichen Fahrradverleih einzurichten. Damit wollte man vielerorts die Lücke zwischen ÖPNV und Wohnort schließen. Nach mehr als zwei Jahren Planungszeit und einer Werbetour des verantwortlichen Mobilitätsmanagers René Augustin in allen Kommunen des Kreises, sahen sich die Verantwortlichen trotz Kritik an dem Vorhaben auf einem guten Weg.
Nach langer Planungszeit: Fahrradverleih im Kreis Wesel eingestellt
Doch im März dieses Jahres wurde das Projekt eingestellt. Grund war die angespannte Haushaltslage vieler Kommunen im Kreis. Für eine Umsetzung und Instandhaltung des Systems, gerade nach Auslaufen der zeitlich begrenzten Förderung des Landes, fehle schlicht und ergreifend das Geld. Daneben stand das Projekt aber schon von Beginn an vor einigen Hürden. Einen strittigen Punkt fasste der Chef der Grünen-Fraktion im Kreistag, Herbert Kück, zusammen: „Der Niederrheiner hat ein Fahrrad.“
Ein Punkt, den auch die Koordinierungsstelle Rhein-Ruhr des Zukunftsnetzes Mobilität NRW anbringt. Dieses begleitet Kommunen bei der Umsetzung von Mobilitätskonzepten. Bikesharing könne im ländlichen Bereich gerade dort auf mangelnde Akzeptanz stoßen, wo das Gelände besonders fahrradfreundlich sei, heißt es von dort auf Anfrage. Denn gerade hier seien bereits viele Menschen mit dem eigenen Rad unterwegs.
Car- und Bikesharing: Lückenfüller beim ländlichen ÖPNV
Dennoch könnten Car- und Bikesharing-Angebote dort eine wichtige Lücke füllen, wo „eine Ausweitung der ÖPNV-Bedienzeiten und -Bediengebiete aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit oder Kapazitäten nicht umsetzbar wäre“, werden andererseits auch die Chancen vonseiten des Zukunftsnetzes ausgeführt.
Wie eine Verbindung aus Fahrradverleih und gesicherten Stellplätzen für private Fahrräder inklusive Anbindung an den ÖPNV funktionieren kann, soll bald in Kleve zu sehen sein. Hier entsteht eine neue Radstation, die all diese Aspekte zusammenführen soll. „Wir planen die Eröffnung der Station auf jeden Fall noch in diesem Jahr und eigentlich auch noch vor dem Sommer“, erklärt der Klever Pressesprecher Niklas Lembeck.
Neue Radstation in Kleve: Eröffnung noch in diesem Jahr geplant
An dieser sollen auch zwei E-Lastenräder ihren Platz finden, welche den Bürgerinnen und Bürgern schon jetzt kostenlos am Bahnhof zur Verfügung stehen. „Wir sind grundsätzlich zufrieden mit unseren Verleihzahlen bei den Lastenrädern“, so Lembeck. 2021 waren es nach seinen Angaben 79 Ausleihen, im darauffolgenden Jahr schon 130 und im vergangenen Jahr wurden die Räder 95 Mal verliehen. Daneben soll auch noch eine Fahrradwerkstatt in die neue Station einziehen. Hier befände sich die Stadt aber aktuell noch im Austausch mit den zukünftigen Betreibern, wie genau das Angebot aussehen soll.
Über das größte Netzwerk für Leihräder am Niederrhein verfügt währenddessen das gemeinsame Tourismusbüro der Kreise Heinsberg, Kleve, Viersen und Wesel (Niederrhein Tourismus) mit seinem Niederrheinrad. Dieses war auch als Kooperationspartner für das gescheiterte Projekt im Kreis Wesel im Gespräch. Über 200 Fahrräder stellt der Verleih in den Kreisen Kleve und Wesel zur Verfügung – 173 klassische Räder und 28 E-Bikes. Für rund 12.000 Tage werden diese im Jahr verliehen, so Kathrin Peters von Niederrhein Tourismus auf Anfrage. Etwa ein Drittel der Niederrheinrad-Anfragen stammten dabei von Bewohnern der Region.
Niederrheinrad: Touristischer Verleih will Angebot in Zukunft ausweiten
Das Niederrheinrad werde noch vor allem im touristischen Bereich beworben, erklärt Peters. Man denke aber darüber nach, das bestehende System „als Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr“ weiterzuentwickeln, weshalb man sich aktuell mit den Kreisen in „enger Abstimmung“ befände. Zumindest im Kreis Wesel liegt diese Erweiterung jedoch erstmal auf Eis.
Ärgerlich ist dies nun vor allem für die Kommunen im Kreis, die auch weiter Interesse an dem neuen System haben. Aus der Verwaltung kam für diese immerhin der Hinweis, sich an den Anbieter Metropolradruhr zu wenden, der seit 2010 erfolgreich im Ruhrgebiet operiert.
Leihräder im Ruhrgebiet
Die Arbeitsgemeinschaft Metropolradruhr verfügt, laut des Geschäftsberichtes für 2023, über 484 Leihstationen in zwölf Städten des Ruhrgebiets. An diesen stehen den registrierten Kunden ungefähr 2400 Fahrräder zur Ausleihe zur Verfügung. Insgesamt verzeichnet der Betreiber im Jahr 2023 mehr als 930.000 Ausleihen, im Jahr davor waren es sogar mehr als eine Million.
Auffällig ist hierbei, dass fast drei Viertel der Nutzer im vergangenen Jahr Studierende waren und fast 90 Prozent der Fahrten weniger als eine halbe Stunde dauerten. Beide Aspekte hängen zu einem gewissen Grad zusammen. Denn durch Kooperationen zwischen Universitäten und Metropolradruhr sind die Leihräder für Studierende in der ersten Stunde kostenlos.
Carsharing am Niederrhein: Gerade in größeren Städten für Anbieter attraktiv
Während es also beim Bikesharing sowohl Rückschläge als auch mancherorts Fortschritte gibt, existiert mit dem Carsharing noch ein eigener Zweig an Verleihmodellen. Diese könnten, so die Auskunft vom Zukunftsnetz Mobilität, zur Reduzierung der Anzahl von Zweit- und Drittautos in Familien beitragen, und so die Verkehrslage entlasten.
Dabei stoße das Carsharing „im ländlichen Raum aufgrund der unsicheren und vermeintlich geringen Nachfrage jedoch schnell an die Grenzen eines wirtschaftlichen Betriebs“. Weshalb für Verleihe aus der Privatwirtschaft oft Ballungsgebiete attraktiver seien. Dies zeigt sich auch in den Kreisen Wesel und Kleve, wo der große Teil der privaten Anbieter in den größeren Städten verortet ist.
Wesel: Autoverleih hat Kapazitäten seit 2015 verdoppelt
So verfügen der Anbieter Flinkster, welcher der Deutschen Bahn gehört, und dessen Partner Ford-Carsharing über insgesamt 14 Fahrzeuge an sieben Standorten in den Kreisen Wesel und Kleve. Neun dieser Autos sind alleine in den Städten Wesel und Kleve beheimatet. „Mit der Auslastung an den Standorten sind wir zufrieden“, erklärt eine Bahnsprecherin auf Anfrage. In der Stadt Wesel seien die Buchungszahlen dabei am höchsten, sodass man die Anzahl der Fahrzeuge hier vor Kurzem erst erhöht habe – die Zahl der angebotenen Fahrzeuge verdoppelte sich damit seit Beginn des Angebotes 2015 auf sechs.
Ein derartig positives Ergebnis gab es dagegen im nahen Hamminkeln nicht. Hier wurde der Autoverleih von Stadtverwaltung und verschiedenen Anbietern 2023 nach sieben Jahren Betrieb eingestellt. Die gesunkene Nachfrage nach Corona und zu hohe Kosten hatten hier letztlich zum Aus geführt. Die Kommune will die Verkehrswende nun anderweitig vorantreiben.
Alternativen zum klassischen Carsharing: Dorfauto in Goch und Gemeinschaftsauto in Schermbeck
Es existieren aber auch einige alternative Modelle für den Auto- und Fahrradverleih in der Region. So etwa in Goch, wo das sogenannte Dorfauto Anwohner ohne eigenen Führerschein und fahrbaren Untersatz im Kreis Kleve von A nach B bringen kann. Das Angebot wird ehrenamtlich organisiert und von den Stadtwerken unterstützt, sodass die Nutzung zwar nicht rund um die Uhr möglich, aber kostenlos ist.
Anders in Schermbeck, wo zwei Elektroautos, die ansonsten Mitarbeiter der Stadtverwaltung nutzen, verliehen werden. Nach Feierabend werden die beiden Fahrzeuge zu Gemeinschaftsautos für die Schermbecker. Ermöglicht wird dies durch eine Kooperation zwischen der Stadt und der lokalen Energiegenossenschaft. „Geno eMobil“ nennt sich das Projekt.
Fokus auf ÖPNV und Nahverkehr: Auto- und Fahrradverleih nur Ergänzung zur Verkehrswende
Laut NRW-Umweltministerium können Verleihmodelle nur als Unterstützung des ÖPNV und der „Nahmobilität“ – also dem Fuß- und privaten Radverkehr – angesehen werden. Verleih-Angebote hätten „gerade in ländlichen Gebieten nicht das Potenzial, einen ausgebauten ÖPNV zu ersetzen, da die Distanzen in den Flächenkreisen leicht zu groß werden können“, begründet das eine Ministeriumssprecherin.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Nutzung von Car- und Bikesharing beachtet werden muss, sei die meist fehlende Barrierefreiheit. Daneben hätte außerdem die Integration von Carsharing in den ÖPNV „nicht den erhofften Erfolg gebracht“, weshalb diese Ansätze vom Ministerium nicht mehr weiterverfolgt werden würden.
Ministerium: Kein „Patentrezept“ für Verkehrswende auf dem Land
Dennoch unterstütze das Ministerium derartige Verleihsysteme grundsätzlich. So existieren Förderungen, die Kommunen bei der Einrichtung von Verleihangeboten und in den ersten Jahren des Betriebs unterstützen sollen. Zusätzlich biete das „vom Land geförderte Zukunftsnetz Mobilität“ ein Beratungsangebot für Kommunen. Dabei betont das Ministerium jedoch auch: „In ländlichen Räumen gibt es kein allgemeines Patentrezept.“