Das Risiko für soziale Unruhen wächst. Experten sehen die Gefahr einer erneuten Rezession in Europa. In diesem Jahr rechnet die ILO mit insgesamt 202 Millionen Arbeitslosen weltweit.

Genf. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nation (ILO) rechnet noch in diesem Jahr mit 202 Millionen Arbeitslosen weltweit. Obwohl sich die Weltwirtschaft langsam von der Krise zu erholen scheine, bliebe die Lage auf den Arbeitsmärkten angespannt, teilte die ILO in dem am Montag veröffentlichten Bericht über die Welt der Arbeit mit. Ein Grund dafür sind nicht zuletzt die von der Schuldenkrise getrieben Sparmaßnahmen, die auf den Arbeitsmarkt durchschlagen.

Im kommenden Jahr wird die Arbeitslosigkeit laut ILO auf 6,2 Prozent steigen, wobei vor allem junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren besonders betroffen sein werden. Seit Beginn der Finanzkrise 2008 seien bereits rund 50 Millionen Jobs verloren gegangen, teilte die in Genf ansässige Organisation mit. Die Beschäftigung in den Industrieländern werde frühestens Ende 2016 wieder ein Niveau wie vor der Krise erreichen, lautet die Prognose der ILO, einer Sonderorganisation der UN.

Trotz der Anzeichen eines wieder zunehmenden Wirtschaftswachstums in einigen Regionen, „ist die weltweite Beschäftigungssituation alarmierend und zeigt kein Zeichen einer Erholung in der nahen Zukunft“, schreibt der Autor des Berichts, Raymond Torres. „Die einseitige Betonung von Sparmaßnahmen zumal in den Euroländern vertieft die Beschäftigungskrise und könnte Europa erneut in die Rezession bringen“, warnt der Direktor des ILO Forschungsinstituts. „Länder, die sich für eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik entschieden haben, haben sowohl wirtschaftlich als auch sozial bessere Ergebnisse erzielt. Wir müssen uns diese Länder genau ansehen und Lehren daraus ziehen“, schreibt Torres weiter.

Schaffung von Arbeitsplätzen muss oberste Priorität haben

In den Krisenländern der EU seien die erhofften Ziele durch die Sparmaßnahmen nicht erreicht worden, teilt die ILO mit. Sie hätten weder zu mehr Wirtschaftswachstum noch zu einer Verbesserung am Arbeitsmarkt geführt. Die Organisation rief in ihrem Bericht vor allem Europa auf, die Schaffung von Arbeitsplätzen an die erste Stelle seiner Krisenpolitik zu stellen. Das würde zu mehr Wachstum führen und ein Übergreifen der Krise auf andere Länder verhindern.

Laut dem ILO-Bericht „World of Work Report 2012 – Better jobs for a better economy“ ließ die Krise zudem in der Hälfte aller Industrieländer und in einem Drittel der Entwicklungs- und Schwellenländer Armut und Ungleichheit steigen. Ein von der ILO entwickelter Index, der das Risiko sozialer Unruhen misst, stieg in 57 von 106 untersuchten Ländern. Die höchsten Risiken bestehen demnach in Afrika und im Nahen Osten. Wo hingegen die Beschäftigung und zum Teil auch die Qualität der Arbeitsplätze zunahm, ging das Risiko zurück, so etwa in mehreren lateinamerikanischen und asiatischen Ländern.

In den meisten Ländern haben Jugendliche besondere Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Außerdem ist die Langzeitarbeitslosigkeit fast überall stark angestiegen. Und wo Arbeitsplätze neu geschaffen wurden, sind diese oft nur befristet oder unfreiwillig auf Teilzeitbasis. Der Bericht stellt aber auch fest, dass diese Entwicklungen nicht zwingend sind. Einige Länder, darunter Deutschland und Österreich, aber auch zum Beispiel Polen, Brasilien und Indonesien, konnten die Beschäftigungsquote steigern.

Lob für deutsche Tarifabschlüsse

In einem eigenen Kurzbericht zu Deutschland hält die ILO fest, dass dank starker Exporte vor allem außerhalb der Eurozone sowohl das Wirtschafts- als auch das Beschäftigungswachstum stark blieben. Dennoch sieht die Organisation auch einige Probleme – zum Beispiel den hohen Anteil von Beziehern von Niedriglöhnen und von atypischer Beschäftigung wie Mini-Jobs oder Leiharbeit. Zudem lägen die Investitionen gemessen am Bruttoinlandsprodukt immer noch unter ihrem Vor-Krisen-Niveau. Aufgrund der Eurokrise und des geringeren Wachstums in Ländern außerhalb der Eurozone sei ein Wachstumsrückgang zu erwarten. Die ungewissen Aussichten könnten Investitionen weiter verzögern und dadurch das Beschäftigungswachstum bremsen.

Zu den wichtigsten Herausforderungen in Deutschland zählen der ILO zufolge eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für atypische Beschäftigungsverhältnisse sowie die Anpassung der Reallöhne an die Produktivitätsentwicklung. Bereits erzielte Abschlüsse in den diesjährigen Tarifverhandlungen deuteten auf weitere Reallohnzuwächse für 2012 und 2013 hin. Dies sei nach Einschätzung der ILO ein großer Schritt in die richtige Richtung, teilte die Organisation mit. (abendblatt.de/dapd)