Das Bohrloch im Golf von Mexiko ist endgültig dicht, doch das Öl an der US-Küste bleibt. Immernoch säubern 25.000 Helfer die Küsten.
Washington. Es war absurd: Die Bilder, wie die schwarze Fontäne in 1500 Metern Tiefe in den Golf von Mexiko schoss, gingen um die ganze Welt. Die Menschen rund um den Globus konnten das Drama live verfolgen. Die Ingenieure des britischen BP-Konzerns schafften es zwar, die Videos vom Meeresgrund ins Internet zu stellen. Doch ein Rezept, wie die schwerste Ölpest der US-Geschichte zu stoppen war, fanden sie monatelang nicht. Selten lagen Wunder und Fluch der Technik so offen zutage.
Es gab Augenblicke im fünfmonatigen Öl-Drama, da verrutschten den Verantwortlichen des britischen BP-Konzerns die Gesichtszüge. Hilflos, ratlos und geschockt schauten sie in die Kameras. So etwa BP-Topmanager Doug Suttles: „Es verängstigt uns alle, dass wir es nicht schaffen, die Quelle zu schließen.“ Das war Ende Mai, seit fünf Wochen verseuchte da das „schwarze Gold“ die Gewässer vor der US- Küste. Wieder mal war ein neuer Ansatz, das Loch zu stopfen, kläglich gescheitert – dem Mann von der Ölindustrie war der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet ein paar Wochen vor der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ hatte US-Präsident Barack Obama dem Drängen der Industrie nachgegeben. Er wolle nun doch weitere Bohrungen vor den Küsten genehmigen. Die Begründung, die er lieferte, liest sich im Nachhinein wie ein Treppenwitz: Es gebe neue, schonende Technologien. „Wir schützen Gebiete, die wichtig sind für den Tourismus, die Umwelt und unsere nationale Sicherheit“, versprach er. Ein Satz, an den Obama kaum erinnert werden will – durch die Katastrophe waren die schönsten Strände an der US-Golfküste bedroht.
Tatsächlich mussten die Öl-Experten kleinlaut zugeben, dass sie mit einem Unfall in derartiger Tiefe so gut wie keine Erfahrung hatten. Zwar gab es reichlich Methoden, Lecks zu stopfen – aber in 1500 Metern Tiefe sei eben alles ein bisschen schwieriger. Reihenweise floppten Rettungsversuche. Da wurden mal riesige, mal kleinere Stahlkuppeln zu Wasser gelassen, die das Öl auffangen sollten. Das klappte nicht, es bildeten sich Kristalle, das Öl verklumpte. Dann sollten alte Golfbälle, Gummiteile und schwerer Schlamm ins Bohrloch gepumpt werden. Klappte auch nicht, der Druck des ausströmenden Öls war schlichtweg zu groß.
Doch nicht nur die Ingenieure vor Ort kamen ins Schleudern, auch der BP-Riese geriet ins Wanken. 20 Milliarden Dollar (15,3 Milliarden Euro) musste BP zur Beseitigung und Entschädigung bereitstellen. Die Aktien purzelten in den Keller, zeitweise stand BP am Rande des Abgrunds. Chef Tony Hayward musste nach zahlreichen PR-Pannen abdanken. Doch auch der US-Präsident schlingerte. Er durchlebte die schwerste Krise seiner jungen Amtszeit. Zwar betonte Obama von Beginn an, dass BP die Verantwortung trage, bis auf den letzten Cent alles zahlen müsse. Doch auch der „Commander in Chief“ wirkte hilflos. Auch er hatte keine Strategie, kam erst langsam in Schwung. „Obamas Katrina“, orakelten Kommentatoren mit Blick auf das halbherzige Handeln George W. Bushs 2005 nach dem Hurrikan in New Orleans.
Doch seitdem der Ölfluss Mitte Juli gestoppt ist, ist der Schock verebbt. Zwar sind nach wie vor über 900 Kilometer Küste mehr oder weniger verschmutzt, wie Thad Allen, der Sonderbeauftragte der Regierung am Sonnabend in Erinnerung rief. 25.000 Helfer sind noch immer damit beschäftigt, die Schäden zu beseitigen.
„Das Öl ist nicht verschwunden. Es ist nur dort, wo niemand danach sucht“, warnte Samantha Joye von der University of Georgia. Unabhängige Forscher berichten von großen Öl-Wolken unter Wasser, von streckenweise zentimeterdicken Ölschichten auf dem Meeresgrund. Doch viele Amerikaner scheinen das nicht mehr hören zu wollen. Das Interesse der Medien hat sich längst auf andere Themen gerichtet.
Die Ölindustrie ruht nicht. Längst sind weitere Tiefseebohrungen in Planung. In den USA kippte gar ein Gericht ein von Obama verhängtes Moratorium. Die Branche zieht einfach weiter: Kürzlich verkündete Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, dass das Desaster im Golf sein Land nicht daran hindern werde, vor der Küste ein Ölfeld in 5000 Metern Tiefe anzuzapfen – das liegt 3500 Meter tiefer als das Leck vor der US-Küste.
„Wir haben Technologie und, so Gott will, werden wir es nicht erlauben, dass so etwas hier geschieht“, meinte Lula. Und BP kündigte kürzlich an, auch im Mittelmeer vor der libyschen Küste bohren zu wollen – in 1750 Metern Tiefe.