Hamburg. Nach dem spektakulären Aus von Thomas Wüstefeld ist Jonas Boldt nun der Allein-Vorstand des HSV. Wird sein Vertrauter Huwer befördert?

Jonas Boldt ist gerne inkognito unterwegs. Meist trägt der Sportvorstand des HSV ein tief ins Gesicht gezogenes Cap, oft auch einen dicken Schal. Wenn es regnet und keiner auf der Straße ist, geht er gern joggen. Im Café setzt sich der 40-Jährige so hin, dass er den Raum überblickt – und nicht umgekehrt. Das einzige Problem: Boldt ist zwei Meter groß – und fällt den meisten Menschen schon beim Betreten des Cafés auf. „Ist das nicht Jonas Boldt?“, wird dann oft gefragt. Er ist es – dabei steht Boldt ungern im Mittelpunkt. Und auch das ist schwierig. Denn Boldt steht eigentlich immer im Mittelpunkt.

Seit vergangenen Mittwochabend, als der Rückzug von Vorstand Thomas Wüstefeld bekannt wurde, ist Jonas Boldt nun der alleinige Vorstand des HSV. Der gebürtige Nürnberger ist ganz oben beim HSV – und das nicht nur wegen seiner Körperlänge. „Ich bin mir der Verantwortung bewusst“, ließ sich Boldt am späten Mittwochabend zitieren, nachdem er kurzfristig am Telefon durch den versammelten Aufsichtsrat über den Rückzug Wüstefelds informiert wurde.

Wüstefeld ist bereits der dritte HSV-Vorstand, den Boldt seit seinem Dienstantritt in Hamburg vor dreieinhalb Jahren überlebt hat. Zunächst war es Vorstandschef Bernd Hoffmann, der sich über Monate einen Machtkampf mit Boldt und Vorstandskollege Frank Wettstein lieferte, ehe der damalige Aufsichtsrat – wie immer zu spät – im März 2020 die Reißleine zog und Hoffmann beurlaubte. Vor einem Dreivierteljahr war es Wettstein, der sich mit Boldt arrangiert hatte, der vorzeitig beurlaubt wurde. Und nun also Wüstefeld.

HSV: Wann spricht Wüstefeld mit Boldt?

Seit Wüstefelds Amtsübernahme am 6. Januar hat die Chemie zwischen den beiden Vorständen nicht gestimmt, endgültig zerrüttet war das Verhältnis im Sommer. Gegenüber dem NDR hatte Wüstefeld nun eine „solide Übergabe“ angekündigt. Nach Abendblatt-Informationen hatte er aber weder vor noch nach seinem Rückzug ein Gespräch mit Boldt.

Und auch mit Aufsichtsratschef und dem Wüstefeld-Verbündeten Marcell Jansen, der sich nach dem dilettantischen Umgang mit der Krise nun mit einem Abwahlantrag auseinandersetzen muss, hat es noch immer kein Gespräch gegeben.

Boldt-Nachfolger? HSV sprach mit Heldt

Wahrscheinlich auch deswegen nicht, weil Jansen öffentlich zwar mehrfach eine Vertragsverlängerung Boldts in Aussicht gestellt hatte, intern aber einer der führenden Kritiker des Vorstands war. Nach Abendblatt-Informationen soll es im Frühjahr, als nach der Niederlage gegen Holstein Kiel intern ein Rausschmiss Boldts und auch von Trainer Tim Walter diskutiert wurden, bereits eine erste Kontaktaufnahme mit Horst Heldt als möglichen Boldt-Nachfolger gegeben haben.

Und auch Wüstefeld hatte sich – natürlich nicht abgesprochen mit Boldt – mit möglichen Walter-Nachfolgern beschäftigt.

Fall Mutzel zeigt Boldts Konsequenz beim HSV

Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Von den 15 folgenden Ligaspielen gewann der HSV 13 – und mit jedem Sieg wurde die Position Boldts gestärkt. Tatsächlich gab es seitdem kein einziges Remis mehr – und auch beim HSV war danach niemand mehr unentschieden.

Seit dem Kiel-Spiel heißt es: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wüstefeld bekam das spüren, als Walter seinen Vorgesetzten im Kabinengang angeschrieben hatte und ihn zur Persona non grata in der Kabine erklärte. Jansen bekam das spüren – und auch Ex-Sportdirektor Michael Mutzel geriet zwischen die Fronten.

Erst degradierte Boldt Mutzel in einer Medienrunde öffentlich, dann kündigte er ihm fristlos. Der Vorgang zeigt: Boldt kann auch knallhart. Den Gerichtsprozess kann und wird er nicht gewinnen – doch der frühere Bayer-Leverkusen-Manager weicht keinen Millimeter von seiner Linie ab. Die einen sagen: dickköpfig und arrogant. Die anderen sagen: konsequent.

Eric Huwer soll Wüstfelds gescheiterte Stadionsanierung übernehmen

Ziemlich konsequent war Boldts Vorgehen in der vergangenen Woche, als er von dem Wüstefeld-Aus erfuhr. Der neue Allein-Vorstand verschickte umgehend Mails an die alte Direktorenebene, die Wüstefeld in Units aufgebrochen hatte. Der Tenor: Nach den Monaten des Stillstands, in denen es auf der Geschäftsstelle nur noch um Wüstefeld ging, soll nun wieder gemeinschaftlich vorangegangen werden.

Wüstefelds neu geschaffenen Business Unit Leader, die Boldt im Sport abgelehnt hatte, bleiben erst einmal bestehen. Aber wichtiger als der Text auf der Visitenkarte sollen nun wieder die Taten werden. Die Boldt-Entscheider: Projektmanager Christian Lenz, Mediendirektor Christian Pletz, HSV-Jurist Philipp Winter, Organisationschef Daniel Nolte und der wohl wichtigste Boldt-Vertraute Eric Huwer.

Der vorherige Finanzdirektor war im Winter schon als neuer Finanzvorstand auserkoren, ehe Wüstefeld plötzlich durch die Instanzen flog. Nun muss sich Huwer, der mit Boldt ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, vor allem die verschleppte Stadionsanierung vornehmen. Helfen soll dabei Aufsichtsrats- und Finanzausschussmitglied Hans-Walter Peters, der innerhalb des Kontrollgremiums ein erklärter Gegner Wüstefelds gewesen sein soll.

HSV droht neuer Machtkampf um Boldt

Ende gut, alles gut? Von wegen! Der HSV wäre wahrscheinlich nicht der HSV, wenn nicht der nächste Machtkampf bevorstünde. Auf der nächsten Hauptversammlung im November will Jansen nahezu den kompletten Aufsichtsrat austauschen, bevor sein neues Kontrollgremium sich dann auch mit dem Vorstand der Zukunft beschäftigen will.

Und Boldt? Will nicht im Mittelpunkt stehen, wird aber bis dahin im Mittelpunkt stehen. Immerhin: Nach seinem Abitur an der Waldorfschule studierte er BWL mit Schwerpunkt Sportmanagement. Als sein Professor ihm damals eine Promotion anbot, lehnte Boldt ab. Über einen Doktortitel wird Boldt also definitiv nicht stolpern.