Aus dem Fall des gescheiterten Finanzvorstands ist längst der Fall des Aufsichtsratschefs geworden. Es kann nur eine Konsequenz geben.
Selten sind Pressemitteilungen wirklich aussagekräftig. Das HSV-Kommuniqué vom späten Mittwochabend war das sehr wohl. Erstens wegen der Dinge, die drinstanden. Und zweitens wegen der Dinge, die nicht drinstanden.
Zu erstens: „Dr. Thomas Wüstefeld tritt zurück.“ So betitelte die Presseabteilung ihre eigene Mitteilung, in der bekannt gegeben wurde, dass der bisherige Pro-bono-Vorstand all seine Ämter als HSV-Vorstand und Aufsichtsrat zur Verfügung gestellt hat. Das ist insofern wichtig, als sich offenbar doch noch eine Mehrheit in dem zerstrittenen Siebener-Gremium fand, die dem 53-Jährigen einen Rücktritt von allen Ämtern nahegelegt hat.
Denn die Alternative, Wüstefeld als Vorstand rauszuwerfen, hätte bedeutet, dass er automatisch zurück in das Kontrollgremium gewechselt wäre, was an Absurdität nicht zu toppen gewesen wäre. Zur Erinnerung: Ursprünglich wurde Wüstefeld nur für ein Jahr aus dem Aufsichtsrat entsandt, damit die Kontrolleure in diesem Übergangsjahr einen neuen Vorstand finden könnten. Dass man diesem kommunizierten Plan von Anfang an misstrauen musste, wurde mehrfach berichtet.
Warum die HSV-Mitteilung zu Wüstefelds Rücktritt verräterisch war
Zu zweitens: In der kurzen Pressemitteilung kam lediglich Vorerst-Alleinvorstand Jonas Boldt zu Wort. „Ich bin mir der Verantwortung bewusst und werde in sehr enger Verzahnung mit meinen Kollegen auf der Geschäftsstelle sowie mit dem Aufsichtsrat und insbesondere mit dem Finanzausschuss die anstehenden Aufgaben angehen“, ließ sich der bisherige Sportvorstand zitieren. Nicht zitiert wurde Wüstefeld selbst. Genauso wenig wie Aufsichtsratschef Marcell Jansen.
Drei Monate ist es her, dass an gleicher Stelle unter der Überschrift „Darum kann Wüstefeld nicht HSV-Vorstand bleiben“ geschrieben stand, dass aus dem Fall Wüstefeld ein Fall Jansen wird, wenn der Chefkontrolleur und Präsident in Personalunion nicht bald Anlass zum Handeln sieht.
Fall Wüstefeld ist zu Fall Jansen geworden
Um es kurz zu machen: Aus dem Fall Wüstefeld ist schon längst ein Fall Jansen geworden. Das Präsidium des e.V., zu dem ja auch Mit-Aufsichtsrat Michael Papenfuß gehört, wurde in den vergangenen Wochen, als die Vorwürfe gegen Wüstefeld (vor allem im Abendblatt) immer massiver wurden, immer mehr zum Teil des Problems statt zum Teil der Lösung.
Nur zwei Tage vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung, auf der Wüstefeld am späten Mittwochabend erneut keine Nachweise für seinen Doktor- und seinen Professorentitel vorlegen konnte, hatte Jansen dem Abendblatt zum wiederholten Male eine Kampagne vorgeworfen, dabei zum wiederholten Male Trump-Vokabular wie „Fakenews“ und „Lügenpresse“ benutzt, Wüstefeld vehement verteidigt und war sogar am Telefon überrascht davon, dass es vor allem für Wüstefelds Professorentitel keinerlei Nachweise gibt.
Jansen als HSV-Aufsichtsratschef überfordert
Marcell Jansen war ein sehr guter HSV-Fußballer, ist ein möglicherweise ordentlicher Präsident, aber ganz sicher ein komplett überforderter Aufsichtsratschef. „Er war es auch, der Wüstefeld in den Aufsichtsrat holte, der zu dessen Gunsten vom Posten des Vorsitzenden (kurzzeitig) zurückgetreten war und der ihn wenig später zum Vorstand machte.“ Dieser Satz ist nicht neu, sondern stand genauso an dieser Stelle bereits am 1. Juli.
Dass bis zur entscheidenden Aufsichtsratssitzung am Mittwoch drei quälend lange Monate vergehen mussten, in denen das Image des HSV massiv gelitten hat, ist vor allem auch Jansens Schuld. Ihm als Vertreter des e.V. das Vertrauen zu schenken, auf der nächsten Hauptversammlung im November einen neuen Aufsichtsrat zu ernennen, wäre aberwitzig. Aber in dieser Kategorie kennt man sich ja beim HSV aus.