Hamburg. Chaos in der Clubführung, Euphorie auf dem Rasen: Der Coach hat eine Einheit geformt, die mit Widerständen umzugehen weiß.
Es ist schwierig, in diesen Tagen eine Statistik zu finden, in der der HSV nicht ganz oben steht. Die Mannschaft von Trainer Tim Walter verfügt in der Zweiten Liga über die beste Passquote (86,15 Prozent), die beste Abwehr der Liga (sechs Gegentore) und den mit Abstand besten Zuschauerschnitt (47.355).
Auch bei individuellen Werten überzeugen die HSV-Profis: Ludovit Reis gewinnt ligaweit die meisten Zweikämpfe (151), Torhüter Daniel Heuer Fernandes führt die Liste der Zu-Null-Spiele an (sechs) und keiner traf häufiger als Robert Glatzel (sechs Saisontore).
Nur bei den gewonnenen Zweikämpfen (52,44 Prozent) müssen sich die Hamburger knapp dem SC Paderborn (52,46 Prozent) und beim Ballbesitz (59,4 Prozent) Aufsteiger Magdeburg (62,7 Prozent) geschlagen geben. Doch diese beiden zweiten Plätze dürfte der Tabellenführer verschmerzen können.
HSV-Trainer Walter will mehr
Das alles ist kein Zufall. Nach fast einem Drittel der Saison macht die als Topfavorit auf den Aufstieg gestartete Mannschaft einen stabilen Eindruck. Mit 24 Punkten führt der HSV souverän die Tabelle an, der Vorsprung auf den Relegationsplatz beträgt bereits fünf Punkte. Zum Vergleich: Vor einem Jahr hatte der HSV zu diesem Zeitpunkt der Saison neun Punkte weniger geholt und lag auf einem enttäuschenden achten Platz.
Damals haperte es noch an der Umsetzung des komplexen Spielsystems von Tim Walter. Die Folge waren viele Unentschieden – bereits sechs nach zehn Spieltagen –, die am Ende den Aufstieg kosteten. Inzwischen unterlaufen der Abwehr weniger Fehler, zudem wurde die Offensive im Sommer hochkarätig verstärkt. Das Ergebnis zeigt sich Woche für Woche.
„Wir stehen da oben, das ist schön, und ich bin auch zufrieden. Aber wir haben noch ein paar Spieltage. Von daher: Immer weitermachen. Wir sind noch lange nicht fertig“, kündigt Walter an. Die positive Entwicklung seiner Spieler sieht er längst nicht am Ende. „Entwicklung stoppt nie, sie geht immer weiter. Wir sind auf einem guten Weg.“
HSV zeichnet Willensstärke aus
Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf: Gerade bei Kontersituationen, die nicht immer optimal ausgespielt werden. Walter strebt generell mehr Torgefahr an, doch insgesamt sei er durchaus zufrieden. „Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass wir hinten wenig zulassen und vorne immer noch eins drauflegen wollen.“
So wie am vergangenen Freitag in Hannover, als die meisten Zuschauer sich bereits mit einem Remis abgefunden hatten – dem ersten für den HSV in dieser Saison – bis der eingewechselte Ransford Königsdörffer die Hamburger mit seinem Super-Solo in der Nachspielzeit doch noch zum Sieg schoss. Oder wie Walter es sagen würde: eins drauflegte. „Das war eine totale Willensleistung von Ransi“, freute sich der Coach.
HSV-Profis und Walter trotzen Führungschaos
Dabei hätte der Start kaum schlechter ausfallen können. Linksverteidiger Miro Muheim rutschte nach drei Minuten folgenschwer aus und ermöglichte Hannovers Sei Muroya den Führungstreffer. Früher hätte sich der HSV von solchen Rückschlägen verunsichern lassen. Doch unter Walter ist es auffällig, wie gut das Team mit Negativerlebnissen umgeht. Und davon gab es zuletzt einige innerhalb des Clubs.
Trotz der dauerhaften Unruhe in der Führungsetage, die mit dem Rücktritt von Vorstand Thomas Wüstefeld ihren vorläufigen Höhepunkt fand, schafft es Walter, dass seine Spieler den Fokus auf das Wesentliche nicht verlieren.
Obwohl der zähe Machtkampf innerhalb des Vorstands auch Thema in der Kabine war, wie mehrere Profis bestätigten, nahm er keinen negativen Einfluss auf die Leistung der Mannschaft. Und das ist auch Walters Verdienst.
„Der Trainer hat uns vorher gesagt, dass wir das machen sollen, was wir immer machen: unser Ding. Alles, was außenrum passiert, können wir ohnehin nicht beeinflussen. Wir sollen uns auf uns konzentrieren und dafür sorgen, dass über die Mannschaft geschrieben wird“, sagte Mittelfeldspieler Jonas Meffert nach dem Hannover-Spiel.
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HSV-Führung: Was wird aus Boldt?
Die Mannschaft sorgt in diesen Tagen für positive Schlagzeilen. Ob und wann das auch wieder für die Führungsetage gelten soll, bleibt dagegen ungewiss. Denn nach Wüstefelds Aus bleiben viele Fragen offen. Dabei geht es nicht nur um die Nachbesetzung des vakanten Postens. Auch die Zukunft des momentanen Alleinvorstands Jonas Boldt ist weiterhin ungeklärt und dürfte vor allem von der möglichen Neubesetzung des Aufsichtsrats auf der Hauptversammlung im November abhängen.
Man muss daher kein Prophet sein, um weitere Störfeuer in der Clubführung zu prognostizieren. Auch diese Statistik führt der HSV an.