Norderstedt/Hamburg. Ende der Verjährungsfrist rückt immer näher, ohne dass es am OLG Hamburg ein Urteil gibt. Setzt die Haspa gezielt auf Verzögerung?
- Der Berufungsprozess am OLG Hamburg zieht sich in die Länge, nächster Termin ist erst am 11. November.
- Resultate eines Expertengutachtens zum Tresorraum in Norderstedt liegen damit wohl erst 2025 vor.
- Geschädigte, die noch gegen die Bank klagen wollen, müssen das allerdings im Jahr 2024 tun.
Noch gut dreieinhalb Monate dauert es, dann werden tief in der Nacht die Sektkorken knallen. Es gilt schließlich, in Hamburg und anderswo, den Beginn des Jahres 2025 zu feiern. Ob dann auch Verantwortliche der Hamburger Sparkasse in Feierlaune sein werden, kann aktuell niemand wissen. Gut möglich aber, dass manche von ihnen eine Sorge weniger haben werden. Denn mit dem Jahr 2024 endet auch die Verjährungsfrist für mehr als 600 Geschädigte des Norderstedter Haspa-Einbruchs von 2021. Das bedeutet: All jene, die bis dahin noch nicht gegen die Bank geklagt haben, können es nicht mehr. Und die Bank ist vor möglichen Zahlungen in Millionenhöhe sicher.
Auf genau dieses Szenario scheint es im Moment hinauszulaufen. Denn: Viele Geschädigte, die nicht das Risiko und den Aufwand einer Klage auf sich nehmen wollen, warten offenbar noch ab, bis im zentralen Prozess am Hamburgischen Oberlandesgericht (OLG) ein Urteil fällt oder sich zumindest andeutet. Das aber wird nach dem derzeitigen Stand der Dinge wohl erst 2025 der Fall sein.
Schließfach-Coup Norderstedt: Spielt die Haspa auf Zeit?
Der Einbruch war einer der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Jahre. Zwischen dem 6. und dem 9. August 2021 waren unbekannte Täter mit einem Kernbohrer in die Norderstedter Filiale der Hamburger Sparkasse eingebrochen und hatten rund 650 Schließfächer ausgeräumt. Der Schaden liegt, je nach Schätzung, zwischen 11 und 40 Millionen Euro. Die Täter konnten noch immer nicht gefasst werden.
Die Haspa-Kunden, deren Geld oder Wertsachen aus den Schließfächern verschwand, wurden später von der Bank entschädigt – allerdings mit einer Höchstsumme von 40.000 Euro, wie das die Verträge auch vorsahen. Einige der Kunden, die viel höhere Beträge verloren hatten, wollten sich das nicht bieten lassen und klagten gegen die Haspa.
Zwei Kammern des Landgerichts urteilten im Sinne der Geschädigten
Vor Gericht bekamen diese fünf Personen auch Recht – erst einmal. Zwei verschiedene Kammern des Landgerichts Hamburg urteilten im Sinne der Geschädigten. Die Haspa sollte demnach jeweils fünf- und sechsstellige Beträge erstatten. Denn die Bank habe sich einer „Pflichtverletzung“ schuldig gemacht. Sie habe es den Tätern zu leicht gemacht, in den Tresorraum einzubrechen, hätten diesen deutlich besser sichern müssen, zumal es im Oktober 2020 zu einem Einbruchsversuch in Hamburg-Altona kam, bei dem die Täter nach einem ähnlichen Muster vorgingen. So sahen es die Zivilkammer 30 unter Vorsitz von Richter Christoph Ruholl und auch die Zivilkammer 2 unter Vorsitz von Richterin Katrin Schwarz.
Aber die Haspa ging in beiden Fällen vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Berufung. Hier sah es zunächst so aus, als würde der 13. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Ralph Panten im Sinne der Haspa urteilen. Diese Tendenz machte Panten am ersten Prozesstag im November 2023 deutlich, mit der Begründung, die Sicherungssysteme könnten durchaus ausreichend gewesen sein, außerdem gebe es gar keine „allgemeingültigen Standards“ für die Sicherung von Tresorräumen. Prozessbeobachter waren überrascht, dass Panten die Sache so dezidiert anders sah als seine Kollegen vom Landgericht.
Wendung: OLG-Senat will nun Experten aus dem Rheinland anhören
Im Februar 2024 kam dann eine neuerliche Wendung. Der Senat sagte den für den 1. März anberaumten nächsten Prozesstag ab. Der Grund: Nun sollte erst einmal ein externer Sachverständiger zu dem Thema der Tresorraum-Sicherheit angehört werden. Zuvor hatte der Buchholzer Rechtsanwalt Jürgen Hennemann, der die Geschädigten vertritt, ein Gutachten eines Sicherheitsexperten vorgelegt, der die Auffassung vertrat, allgemeingültige Standards gebe es durchaus, und zwar von drei Institutionen, und die Haspa habe diese im Norderstedter Fall verletzt. Die Geschädigten konnten wieder Hoffnung schöpfen – es ist ja durchaus möglich, dass der Experte aus dem Rheinland zu einem ähnlichen Schluss kommt.
Nur: Seitdem tut sich in der Sache wenig. Ein für den 9. September anberaumter Ortstermin, bei dem der externe Sachverständige aus dem Rheinland anreisen und sich den Tresorraum in der Norderstedter Haspa-Filiale ansehen wollte, wurde auf Betreiben der Haspa abgesagt. Der Ersatztermin: 11. November. Bis die Geschädigten mehr wissen, müssen sie sich noch deutlich länger gedulden – wohl bis Frühjahr 2025.
Experte aus dem Rheinland – für viele kommt seine Einschätzung zu spät
Sollte sich dann herausstellen, dass auch der Experte zu dem Schluss kommt, die Sicherung des Tresorraums sei im Jahr 2021 mangelhaft gewesen, wird das für die fünf Kläger eine große Erleichterung sein. Aber für alle anderen Geschädigten, die mit der bisher erfolgten Entschädigung durch die Haspa unzufrieden sind, kommt das dann zu spät.
Ist genau das die Strategie der Haspa beziehungsweise ihrer Anwälte? Setzt die Bank also ganz bewusst darauf, das Verfahren immer weiter in die Länge zu ziehen? Belegen lässt sich das nicht. Aber der Vorwurf stand schon sehr bald nach dem Einbruch 2021 im Raum. Rechtsanwalt Hennemann sagte im Dezember 2021 – als noch keines der Opfer entschädigt war – die Bank setze auf eine bewusste Verzögerungstaktik. Die Bank hielt dagegen: Eine sorgfältige Prüfung der Ansprüche brauche Zeit. Im Spätsommer 2022 hieß es dann, alle Opfer seien aus Sicht der Haspa entschädigt.
Haspa-Anwälte wirkten nicht so, als hätten sie es eilig
Die dreijährige Verjährungsfrist für mögliche weitere Ansprüche lief da natürlich längst. Sie beginnt mit dem Jahr des Einbruchs, unabhängig von dessen Datum, und endet somit am 31. Dezember 2024. Den Vorwurf, die Bank setze darauf, das Ende dieser Frist zu erreichen, ohne dass es ein endgültiges Gerichtsurteil gibt, erneuerte Hennemann dann, als die Haspa im Sommer 2023 in Berufung ging, nachdem ein erster Prozess am Landgericht verloren gegangen war.
- Polizei Norderstedt - Haspa-Einbruch: Kommen die Täter ohne Strafen davon?
- Razzia nach Haspa-Einbruch in Norderstedt: Berliner Clan verantwortlich?
- Haspa-Schließfach-Coup in Norderstedt: „Die Altersvorsorge ist weg!“
Nun ist nachvollziehbar, dass die Haspa genau prüfen musste, welche Geschädigten damals welche Wertgegenstände in den Schließfächern deponiert hatten – das nimmt Zeit in Anspruch. Und auch der Gang in Berufung ist ein übliches Rechtsmittel, das muss nicht zwingend Teil einer Verzögerungsstrategie sein. Wer allerdings das Geschehen vor Gericht in den vergangenen beiden Jahren beobachtete, konnte den Eindruck gewinnen, dass es die – stets zu zweit auftretenden – Haspa-Anwälte Dr. Einar Recknagel und Thomas Schikorra von der Kanzlei SNB Law mit einem schnellen Fortgang der Prozesse zumindest nicht allzu eilig hatten.
Zeugenanhörung beginnen? Haspa-Anwälte wollten lieber Extra-Termin
Für die Einreichung von Schriftsätzen bei Gericht beantragten die beiden fast standardmäßig Verlängerungsfristen – und bekamen sie auch gewährt. Und es wurde auch auffällig oft auf die Verlegung beziehungsweise Extra-Anberaumung von Terminen gedrungen – so zum Beispiel bei einem Prozesstag im August 2023 vor dem Landgericht Hamburg.
An diesem Tag hätte das Verfahren bereits in die Zeugenanhörung gehen können, einer der Zeugen wartete schon vor der Tür. Rechtsanwalt Hennemann regte an, damit dann auch – im Sinne einer stringenten Prozessführung – gleich anzufangen. Doch Schikorra und Recknagel bestanden darauf, dass es dafür einen weiteren Termin geben müsse – was rechtlich natürlich zulässig ist und dann so auch von Richterin Katrin Schwarz entschieden wurde. Die von Hennemann eingeforderte Begründung verweigerten die Haspa-Anwälte. Man sei keine Rechenschaft schuldig.
Warum konnte der Experte nicht am 9.9. den Tresorraum ansehen? Was die Haspa sagt
Nun, ein gutes Jahr später, wird auf Betreiben der Haspa-Seite wieder ein Termin verlegt – eben jener 9. September, an dem der Rheinländer Experte den Tresorraum unter die Lupe nehmen wollte. Also ein durchaus zentraler Baustein im entscheidenden Berufungsverfahren. War die Verschiebung unbedingt nötig? Was sagt die Bank dazu?
„Den Terminvorschlag des inzwischen vom OLG bestellten Sachverständigen am 9.9. konnten wir leider nicht bestätigen, weil die hierzu erforderliche Technikfirma an dem Tag nicht zur Verfügung steht“, so Stefanie von Carlsburg, Sprecherin der Bank, auf Abendblatt-Anfrage.
Rechtsanwalt Hennemann: „Kein sachlicher Grund für Verlegung“
Rechtsanwalt Jürgen Hennemann hält dagegen: „Der Termin war mit allen Parteien bereits abgestimmt. Es gab keinen sachlichen Grund für die Terminverlegung. Waren denn sämtliche technisch kompetenten Mitarbeiter der Haspa mit Objektkenntnissen an diesem Tag ebenfalls im Urlaub?“
Stefanie von Carlsburg sagt dazu, ein Haspa-Mitarbeiter hätte den Termin nicht wahrnehmen können. Und sie unterstreicht, dass die Bank auch „Alternativtermine im September“ vorgeschlagen habe, „an denen jedoch die anderen Parteien, also der Gutachter oder der Senat, offenbar nicht konnten.“
Haspa: „Verschiebung hat keine Auswirkung auf Gesamtzeitablauf“
Mit dem 11. November mache die Bank „nun den frühestmöglichen Terminvorschlag des Gutachters in Abstimmung mit dem Senat möglich.“ Ohnehin habe „der Gutachter bereits frühzeitig eine Fertigstellung des Gutachtens für Ende November avisiert.“ Damit habe „die Terminverschiebung keine Auswirkung auf den Gesamtzeitablauf.“
Wirklich nicht? Rechtsanwalt Hennemann bezeichnet diese Argumentation als „geradezu unredlich“. Er sagt: „Diese Zusage basierte auf einer völlig anderen Voraussetzung. Der Gutachter hat von einer Fertigstellung Ende November gesprochen, als er noch davon ausging, am 9. September den Tresorraum in Norderstedt besichtigen zu können. Aber nach einem Vor-Ort-Termin, der erst am 11. November stattfindet, wird der Gutachter kaum in der Lage sein, seine dort gewonnen Erkenntnisse innerhalb von drei Wochen zu verarbeiten. Wir müssen nach aller Erfahrung davon ausgehen, dass er sein Gutachten nicht mehr im Jahre 2024 wird vorlegen können.“
Auch den Termin am 11.11. hätten Haspa-Anwälte gerne noch verschoben
Auch den Einwand, die Haspa habe ja „Alternativtermine im September“ vorgeschlagen, damit sei eine stringentere Verfahrensführung also nicht an ihr gescheitert, lässt Hennemann nicht gelten: „Dieses Argument ist absurd. Es handelt sich um einen sehr gefragten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in einer Marktnische, der eine extrem hohe Arbeitsbelastung hat und außerdem aus dem Rheinland anreisen muss. Jedem war klar, dass der einen Termin nicht einfach um zwei Wochen verschieben kann, sondern dass man dann wesentlich weiter Richtung Winter wandert.“
War genau das die Absicht der Haspa-Anwälte? Manches spricht dafür. Denn nach Abendblatt-Informationen haben sich diese sogar noch bemüht, den Termin am 11. November gegen ein späteres Datum auszutauschen, was der Senat dann aber ablehnte.
Hennemann: Haspa fürchtet Gutachten „wie Teufel das Weihwasser“
Für Rechtsanwalt Hennemann zumindest ist der Fall klar: Seiner Ansicht nach „fürchtet die Haspa ein Bekanntwerden der Inhalte des Gutachtens vor Ablauf dieses Jahres wie der Teufel das Weihwasser“, da es jene „gravierenden Sicherheitsmängel“ an der damals eingebauten Tresoranlage belegen werde, auf die er bereits seit mehr als drei Jahren hinweist.
Hennemann ist überzeugt: „Wenn das fertige Gutachten öffentlich ist, sehen alle Betroffenen klar“, sagt der Rechtsanwalt und meint explizit auch die über 600 geschädigten Schließfach-Kunden, die noch nicht geklagt haben.
Haspa-Sprecherin kann Vorwurf einer Verzögerungsstrategie „nicht nachvollziehen“
Stefanie von Carlsburg hingegen unterstreicht, man sei selbst an einem „zeitnahen Abschluss des Verfahrens interessiert“. Darauf, in welchem Tempo der Prozess ablaufe, habe man „keinen Einfluss“. Den Vorwurf, die Haspa beziehungsweise ihre Anwälte verfolgten eine Verzögerungsstrategie, könne man „nicht nachvollziehen.“
Wie auch immer man das bewertet, sicher sind zwei Dinge. Bisher haben nur eine Handvoll Personen, denen Wertsachen oder extrem hohe Geldbeträge im August 2021 gestohlen wurden, gegen die Haspa geklagt. Und: Für alle Übrigen der 650 Geschädigten schließt sich das Zeitfenster für eine mögliche Klage unaufhaltsam.