Norderstedt. Kripo übergibt Akten an die Staatsanwaltschaft. Die Spur führt zu einem Clan nach Berlin, doch der Polizei fehlen Beweise.
Das Verbrechen machte bundesweit Schlagzeilen und hat viele Norderstedter ihr Erspartes gekostet: Im August 2021 brachen Kriminelle in die Haspa-Filiale an der Rathausallee in Norderstedt ein und plünderten unbemerkt die Schließfächer. Jetzt zeichnet sich ab: Die Ermittlungen der Polizei gehen zu Ende, ohne dass bei der Suche nach den Tätern ein Durchbruch gelungen ist. Sie kommen möglicherweise ohne Strafen davon.
Nach Abendblatt-Informationen haben die Ermittler der Kriminalpolizei vier Verdächtige im Visier, doch der konkrete und sichere Nachweis fehlt, dass sie für den spektakulären Coup verantwortlich sind und dafür strafrechtlich belangt werden können. Der Wert der Beute und der Schaden im Tresorraum gehen in die Millionen.
Norderstedt: Polizei übergibt Akten an die Kieler Staatsanwaltschaft
Fest steht, dass die Spezialdienststelle für komplexe Ermittlungen der Kriminalinspektion Bad Segeberg die Akten zum größten Teil an die Staatsanwaltschaft Kiel abgegeben hat. Dort werden sie zunächst bewertet. Dann fällt die Entscheidung, ob die Justiz gegen die Beschuldigten Anklage erheben wird. Wahrscheinlich ist eine Anklageerhebung derzeit offenbar nicht, der Polizei fehlt eine heiße Spur.
Offiziell halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft zurück, wenn sie nach dem Stand der Ermittlungen gefragt werden. „Die Ermittlungen sind weitgehen abgeschlossen, einzelne Ergebnisse stehen noch aus“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Bimler.
Haspa: Die Spur führt von Norderstedt in die Clan-Szene nach Berlin
Nachdem die Spezialermittler den Fall übernommen hatten, stand schnell fest, dass eine wichtige Spur nach Berlin in die Clan-Szene führt. Zunächst konnten die Polizisten fünf Personen als Verdächtige einkreisen, von denen jedoch einer später ausschied – er war durch eine Verwechslung in den Kreis der Verdächtigen geraten.
Das Problem der Ermittler: Weder liegen Zeugenaussagen vor, die die Verdächtigen belasten, noch konnte die Polizei Spuren sichern, die zu einer eindeutigen Identifizierung führten.
Rückblick: Am Morgen des 9. August 2021 rückt die Norderstedter Feuerwehr zu der Haspa-Filiale an der Rathausallee aus. Der Tresorraum und die darüber liegende Wohnung sind komplett verqualmt und verrußt. Die Täter hatten Reifen in Brand gesetzt, um ihre Spuren zu vernichten – mit Erfolg. Tagelang waren Spezialisten des Landeskriminalamtes und anderer Dienststellen mit der Spurensicherung beschäftigt, doch in den schwarz verqualmten Räumen hatten sie kaum eine Chance, gerichtsfeste Hinweise zu entdecken.
Täter konnten ungestört am Wochenende 600 Schließfächer aufbrechen
Zwischen der Wohnung und dem Tresorraum klaffte ein Loch, dass die Unbekannten mit einem Kernbohrer durchstoßen haben und das sie zum Einstieg in den Tresorraum nutzten. Irgendwann an dem Wochenende zwischen Freitag, 6. August, und Sonntag, 8. August, haben sie gebohrt und ungestört 600 der 1200 Schließfächer aufgebrochen.
Anwohner hörten zwar Lärm, vermuteten aber Renovierungsarbeiten. Den Kernbohrer kühlten die Täter mit einer eigens geschaffenen Wasserleitung. Für die Polizei steht schnell fest: Die Täter waren gut vorbereitet, organisiert und gingen hochprofessionell vor. Was sie entwendet haben, wird sich möglicherweise nie vollständig aufklären lassen. Polizei und Mitarbeiter der Bank rätselten, wie es den Tätern gelingen konnte, die anspruchsvollen Alarmeinrichtungen außer Kraft zu setzen.
„Thomas Slovic“ und „Nico“ mieteten die Wohnung über dem Tresorraum
Die Wohnung, in der zuvor eine Logopädiepraxis untergebracht war, liegt an der Straße Beamtenlaufbahn und wurde am 15. Mai 2021 von einem Mann angemietet, die sich als „Thomas Slovic“ ausgab – eine Person, die es unter diesem Namen nicht gibt, wie die späteren Ermittlungen ergaben.
Zur Wohnungsbesichtigung am 2. Mai und zur Übergabe am 15. Mai erschien ein „Beauftragter“ namens „Nico“. „Die Kaution und die Miete zahlte der angebliche Mieter durch eine Bareinzahlung in Hannover ein“, sagte ein Polizeisprecher. Von „Nico“ liegt ein Phantombild vor. Ein anderer verdächtiger Mann, der auf einer Videoaufzeichnung zu sehen, erwies sich dagegen als unschuldig. Bei ihm handelte es sich um einen Beschäftigten aus einem nahe gelegenen Imbiss, der nicht mit Coup zu tun hatte.
Polizei entdeckt Parallelen zu anderen Einbrüchen in Sparkassen
Die Ermittler stießen bei ihren Ermittlungen auf ähnliche Taten: 2019 gingen Unbekannten ähnlich wie in Norderstedt vor und leerten Schließfächer in Hannover und in Buchholz. Bei einem missglückten Coup in einer Haspa-Filiale in Hamburg-Altona waren die Täter gezwungen, den Kernbohrer zurückzulassen, der von zwei Polizisten aus dem Gebäude getragen werden musste. Die Täter mussten ohne Beute flüchten, nachdem sie entdeckt worden waren. Dass eine Bande für diese Taten verantwortlich ist, dürfte zu den Arbeitshypothesen der Kriminalbeamten zählen.
Auch eine hohe Belohnung hat bislang nicht zur Aufklärung der Tat in Norderstedt geführt. 50.000 Euro setzte die Haspa aus, 5000 Euro die Staatsanwaltschaft. Ein Fahndungsaufruf in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ Anfang Dezember führt zu vielen Anrufen, doch immer noch fehlten konkrete Spuren.
SEK und Kripo durchsuchen Wohnungen des Clans in Berlin
Wenige Tage später setzten die Fahnder große Hoffnungen in eine Durchsuchung in Berlin. Mehrere Wohnungen in den Stadtteilen Spandau, Neukölln und Tempelhof, ein Geschäft in Charlottenburg und eine Spielhalle im brandenburgischen Königs Wusterhausen wurden von Spezialeinsatzkommandos (SEK) und der Kripo aus Schleswig-Holstein durchsucht. Der Einsatz richtet sich gegen drei Männer im Alter von 24 bis 44 Jahren, die nach Medienberichten einem arabischstämmigen Clan angehören sollen.
Nach Informationen des Abendblatts handelt es sich bei den durchsuchten Wohnungen um Objekte, die dem Remmo-Clan zugeordnet werden. Mitglieder der arabischstämmigen Großfamilie werden für Einbrüche in Sparkassen nach dem Muster des Norderstedter Falls verantwortlich gemacht. Aus diesem Kreis stammten auch die Diebe der 100 Kilo schweren Goldmünze (Maple Leaf) aus dem Berliner Bode-Museum und sechs Verdächtige vom Diamanten-Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden.
Haspa setzte verstärkt Sicherheitspersonal in den Filialen ein
Haftbefehle gegen die Männer lagen nicht vor. Sie wurden kurzzeitig festgenommen und danach wieder entlassen. „Wir wollten Beweismittel sicherstellen“, sagte damals Oberstaatsanwalt Bimler.
Nach dem Coup in Norderstedt setzte die Haspa mehrere Monate verstärkt Sicherheitspersonal in einigen Filialen ein. Nachts und an Wochenenden waren die Mitarbeiter in Räumen mit Geldautomaten präsent, von denen auch ein Zugang in Schließfachräume möglich ist.
Anwalt: Sicherheitssysteme der Sparkasse nicht auf dem aktuellen Stand
Streit gibt es bis heute weiter über die Entschädigung der bestohlenen Haspa-Kunden. Der Rechtsanwalt Jürgen Hennemann vertritt mehrere Opfer und behauptet, die Sicherheitssysteme der Bank hätten nicht den geltenden Standards entsprochen. Die Haspa sieht sich jedoch durch ein Gutachten entlastet.
Die Bank erklärte, dass nach den Geschäftsbedingungen jedes Schließfach mit einem Betrag von 40.000 Euro versichert war. Bestohlene halten dagegen, dass sie teilweise deutlich höhere Werte in den Fächern gelagert hätten – Wertgegenstände oder Bargeld. Hätte die Haspa in Sachen Sicherheit fahrlässig gehandelt, wäre die Versicherungssumme von 40.000 Euro wohl obsolet und die Bank müsste die Kunden wesentlich höher entschädigen als bisher.
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Ein erster Prozess eines Mandanten von Hennemann gegen die Haspa soll demnächst vor dem Landgericht Hamburg beginnen. Ein erster Prozesstermin steht aber noch aus.
Polizei nimmt weiter Hinweise zum Einbruch in die Haspa entgegen
Die Polizei betonte, dass sie weiterhin Hinweise zur Tat entgegennimmt und die Ermittlungen sofort wieder hochfahren wird, sobald sich neue Erkenntnisse ergeben. Die Belohnungen gelten weiterhin. Hinweise nehmen alle Polizeidienststellen entgegen.