Norderstedt. Opfer-Anwalt Hennemann sieht „Wende“ im Verfahren, Haspa-Sprecherin von Carlsburg glaubt das nicht. Was jetzt passiert.
Ehemalige Schließfach-Mieter gegen Hamburger Sparkasse, nächste Runde: In dem spektakulären Berufungsprozess vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht (OLG) scheint es Bewegung zu geben. Denn der mit Spannung erwartete nächste mündliche Verhandlungstermin, angesetzt für Freitag, 1. März, wurde kurzfristig abgesagt.
Der Grund: Der zuständige 13. Zivilsenat unter Vorsitz von Richter Ralph Panten will nun einen Gutachter zum Thema der Sicherungsmaßnahmen in der Norderstedter Haspa-Filiale hören. Jürgen Hennemann, Anwalt der Geschädigten, sieht sich bestätigt. Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg betont allerdings auch, diese neue Entwicklung sei nur im Sinne der Bank.
Kernfrage im Prozess: Muss die Bank die Opfer in voller Höhe entschädigen?
In dem Prozess geht es darum, in welcher Höhe die Schließfach-Mieter entschädigt werden, deren Geld und Wertsachen bei einem Einbruch im Jahr 2021 gestohlen wurden. Professionelle Diebe waren zwischen dem 6. und dem 9. August 2021 in die Bankfiliale in Norderstedt-Mitte eingebrochen. Aus einer über der Filiale liegenden Wohnung waren sie mit einem Kernbohrer in den Tresorraum vorgedrungen. Dann hatten sie 650 Schließfächer ausgeräumt. Gestohlen wurden Wertsachen wie Schmuck und Goldbarren, aber auch sehr viel Bargeld. Der Schaden liegt laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen zwölf und 40 Millionen Euro. Von den Tätern fehlt noch immer jede Spur – Razzien in Berlin und Brandenburg führten zu keinem Erfolg.
Einige Geschädigte, die teilweise sechsstellige Beträge bei dem Einbruch verloren, hatten dann gegen die Bank geklagt. Denn die Haspa hatte sie, wie alle anderen Geschädigten, zwar entschädigt – allerdings nur bis zu einer Höchstsumme von 40.000 Euro. Das sahen die Mietverträge für die Schließfächer auch vor. Der Anwalt der Geschädigten, Hennemann, argumentiert allerdings seit langem, der Tresorraum sei im August 2021 bei weitem nicht ausreichend gesichert gewesen. So sah es auch die 30. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg unter Vorsitz von Richter Christoph Ruholl. Die verurteilte die Haspa im Juni 2023 dazu, die vollen Beträge zu ersetzen. Eine weitere Kammer des Landgerichts urteilte später in weiteren Fällen auch so.
OLG-Senat sah die Sache bisher völlig anders als die Richter am Landgericht
Die Haspa ging aber in Berufung vor das OLG. Und hier schienen die Dinge bisher wesentlich günstiger für die Bank auszusehen. Schon am ersten Prozesstag im November sagte Ralph Panten: „Wir haben die deutliche Tendenz, anzunehmen, dass die Sicherung ausreichend gewesen sein könnte.“ Eines seiner Kernargumente war, dass es für derartige Tresorräume überhaupt keine allgemeingültigen Sicherheitsstandards gebe.
Anwalt Hennemann legte Anfang dieses Jahres dem Zivilsenat allerdings ein Gutachten eines Sicherheitsexperten vor. Und darin heißt es, dass es derlei Standards sehr wohl gebe, nämlich von der VdS Schadensverhütung GmbH, einem Tochterinstitut des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), sowie auch vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE). Und der Gutachter steht auch auf dem Standpunkt, dass die Haspa im vorliegenden Fall die Richtlinien beider Organisationen verletzt habe.
Wie Rechtsanwalt Hennemann und Haspa-Sprecherin von Carlsburg die Dinge sehen
Mit der Absage des Termins und der Bestellung eines eigenen Experten reagiert der Zivilsenat auf dieses Gutachten. Zum Grund für die Absage des Termins am Freitag sagt OLG-Sprecher Dr. Kai Wantzen: „Grund ist, dass die Klägerseite ihren Vortrag inzwischen so ergänzt hat, dass für das Gericht jetzt eine ausreichende Grundlage für die Einholung eines Sachverständigengutachtens besteht.“ Er stellt darauf ab, dass es die Klägerseite ist, die beweisen muss, dass die Sicherungssysteme nicht ausreichten.
Rechtsanwalt Hennemann kommentiert die aktuelle Entwicklung so: „Das ist eine Wende im Berufungsverfahren. Denn damit rückt der Senat von seiner vorläufigen Rechtsansicht im ersten Verhandlungstermin ab.“ Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg will hingegen keine nachteilige Entwicklung für ihre Seite erkennen: „Wir hatten bereits frühzeitig angeregt, eine Beweisaufnahme durchzuführen, diese findet jetzt durch das OLG statt“, sagte sie dem Abendblatt. Und weiter: „Wir sind uns sicher, dass die Beweisaufnahme bestätigen wird, dass die Haspa ihren Sicherungspflichten der Schließfachanlage in Norderstedt vollständig nachgekommen ist.“
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Es bleibt abzuwarten, wie der zweite Gutachter die Sache sehen wird. Aber wer wird das sein? Dazu OLG-Sprecher Wantzen: „Die Person des oder der Sachverständigen steht noch nicht fest. Das Gericht beabsichtigt, die Handelskammer Hamburg um Benennung geeigneter Personen zu ersuchen. Die Parteien können dann zur Person des oder der Sachverständigen Stellung nehmen, danach trifft die Auswahl das Gericht.“
Üblicherweise werden Gutachter in solchen Prozessen auch persönlich geladen, um öffentlich ihre Standpunkte darzulegen. Wann das sein wird, ist noch nicht sicher. Einen nächsten Verhandlungstermin gibt es bislang nicht. Sicher dürfte sein, dass es noch mehrere Termine in der Sache geben wird. Ein Grund: Anwalt Jürgen Hennemann möchte auch Zeugen vor Gericht erscheinen lassen, die bestätigen sollen, dass es branchenübliche Standards gab und gibt – die die Haspa unterschritten habe.