Hamburg/Norderstedt. Opfer des Einbruchs von 2021 könnten im Berufungsverfahren unterliegen – das zeichnet sich am ersten Prozesstag ab.

Es ist eine große Überraschung und ein Paukenschlag: Die Hamburger Sparkasse könnte mit ihrer Berufungsklage vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht (OLG) Erfolg haben. Das zeichnete sich am Mittwoch zu Prozessbeginn ab. Das bedeutet: Die Geschädigten des Einbruchs von 2021 würden den Schaden doch nicht in voller Höhe erstattet bekommen. Dazu hatte das Landgericht Hamburg die Haspa erst im Juni verurteilt. Doch dieses Urteil könnte das OLG nun kassieren. Damit bliebe es bei einer Erstattungssumme von höchstens 40.000 Euro.

Im Kern geht es um die Frage, ob der Tresorraum zum Zeitpunkt des Einbruchs ausreichend gesichert war. Das Landgericht Hamburg hatte dies im Juni verneint und eine „Pflichtverletzung“ gesehen. Ralph Panten, Vorsitzender Richter des zuständigen 13. Zivilsenats am OLG, sagte nun aber: „Wir haben die deutliche Tendenz, anzunehmen, dass die Sicherung ausreichend gewesen sein könnte.“

Der damals in Norderstedt verbaute Bewegungsmelder habe einen „Abdeckalarm“ und einen „Sabotagealarm“ gehabt, sei deshalb durchaus nicht so einfach zu überlisten gewesen wie ein Bewegungsmelder bei einem vergleichbaren Fall in Hamburg-Altona rund ein Jahr zuvor. Ob dieser Bewegungsmelder in Norderstedt tatsächlich eingebaut war, müsse allerdings einwandfrei belegt werden. Es wird sich im weiteren Verlauf des Verfahrens klären.

Rechtsanwalt Hennemann: Wende „ausgesprochen überraschend“

Rechtsanwalt Jürgen Hennemann, der die Opfer des Einbruchs vertritt, war sichtlich konsterniert. Es sei „ausgesprochen überraschend“, dass sich der Senat weitgehend die Haltung der beklagten Seite, also der Haspa, zu eigen mache. Mit den Argumenten des Landgerichts habe sich der Senat „nur sporadisch“ beschäftigt.

Stefanie von Carlsburg, Sprecherin der Haspa, sagte am Mittwoch: „Der Senat hat in seiner vorläufigen Bewertung die Auffassung vertreten, dass die Haspa ihren tresormäßigen Sicherungspflichten nachgekommen ist. Das entspricht auch unserer von Anfang an vertretenen Rechtsauffassung. Wir sind überzeugt davon, dass eine gegebenenfalls noch durchzuführende Beweisaufnahme das bestätigen wird.“

Bisher unbekannte Diebe waren zwischen dem 6. und dem 9. August 2021 in eine Norderstedter Filiale der Haspa eingebrochen. Aus einer über der Filiale liegenden Wohnung waren sie mit einem Kernbohrer in den Tresorraum eingedrungen. Dort hatten sie mehr als 600 Schließfächer aufgebrochen. Gestohlen wurden Geld und Wertsachen, der Schaden liegt laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen zwölf und 40 Millionen Euro. Von den Tätern fehlt noch immer jede Spur.

Landgericht Hamburg hatte Haspa im Juni verurteilt

Die Haspa hat alle Personen, denen damals etwas gestohlen wurde, bereits entschädigt. Allerdings mit einer Höchstsumme von 40.000 Euro, wie dies auch die Verträge vorsahen. Die Höchstsumme wäre aber hinfällig, wenn eine „Pflichtverletzung“ vorliegen würde. Wenn also die Haspa das Eigentum der Kunden nicht richtig geschützt hätte. Zu dieser Auffassung kam am 29. Juni die Zivilkammer 30 des Landgerichts Hamburg.

Richter Christoph Ruholl urteilte damals, der Bewegungsmelder im Tresorraum sei eben kein ausreichender Schutz gewesen, die Diebe hätten ihn leicht ausschalten können. Deshalb musste die Haspa den drei Klägern fünf- bis sechsstellige Summen nachzahlen. Es handelt sich um die Differenzbeträge zwischen den schon gezahlten 40.000 Euro und den Werten, die sich nach Angaben der Kläger tatsächlich in den Schließfächern befanden. Insgesamt muss die Haspa 278.000 Euro bezahlen.

Die Haspa beharrt allerdings auf dem Standpunkt, dass der Bewegungsmelder und weitere Sicherungssysteme durchaus auf dem neuesten Stand der Technik gewesen seien. Deshalb, das wurde noch im Juni verkündet, werde man vor dem OLG in Berufung gehen.

Manfred Troike (l.) ist einer der Geschädigten, die Rechtsanwalt Jürgen Hennemann im Berufungsprozess vor dem OLG Hamburg vertritt.
Manfred Troike (l.) ist einer der Geschädigten, die Rechtsanwalt Jürgen Hennemann im Berufungsprozess vor dem OLG Hamburg vertritt. © FMG | Claas Greite

Rechtsanwalt Hennemann hat nun zunächst bis zum 15. Januar Zeit, auf diese Wendung im Verfahren zu reagieren. Er könnte etwa fordern, dass Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma als Zeugen gehört werden, die nach Angaben der Haspa den Bewegungsmelder in Norderstedt eingebaut haben sollen. Nach dem 15. Januar hat die Gegenseite dann wieder Zeit, auf Hennemanns Ausführungen zu reagieren. Einen nächsten Prozesstermin wird es wohl nicht vor März geben.

Sicher ist: bei dem Berufungsverfahren geht es um weit mehr als eine Summe von 278.000 Euro. Die, so ist zu vermuten, hätte die Haspa wohl verschmerzen können. Aber von dem Urteil wird eine große Signalwirkung ausgehen. Hunderte Betroffene dürften den Prozessausgang am OLG mit großem Interesse verfolgen.

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Die Partei, die vor dem OLG unterliegt, kann dann wiederum vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Revision gehen. Ob diese Revision zugelassen würde, ist allerdings offen. Entscheiden würde das das OLG in Hamburg. Wird abgelehnt, kann eine „Nicht-Zulassungsbeschwerde“ einlegt werden.

Einschätzungen der beiden Gerichtskammern gehen stark auseinander

Auffällig ist, wie sehr die Einschätzungen der Zivilgerichtskammer 30 des Landgerichts und des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts auseinandergehen. Erstere Kammer unter Vorsitz von Richter Ruholl hatte sich stark auf den Fall in Hamburg-Altona im Oktober 2020 gezogen. Damals hatten unbekannte Täter versucht, in eine Haspa-Filiale einzubrechen. Wie in Norderstedt ein gutes Jahr später, wurde ein Kernbohrer eingesetzt und wie in Norderstedt, wurde zuvor der Bewegungsmelder abgeklebt. Allerdings scheiterte der Einbruch in Altona, der Bohrer blieb stecken und die Täter flüchteten.

Christoph Ruholl hatte nun betont, dieser Fall hätte der Haspa eine Warnung sein müssen. Sie hätte danach stärker vorsorgen müssen, die Sicherheitstechnik „in anderen Filialen überprüfen und nachrüsten müssen.“ Ruholl hatte bemängelt, dass die Täter auch in Norderstedt den Bewegungsmelder abkleben konnten. Und er hatte auch gesagt, dass „Anlass“ bestanden hätte, den Tresorraum mit Kameras zu überwachen. Denn dann hätten die Täter den Bewegungsmelder nicht auskundschaften beziehungsweise lahmlegen können.

Was nach Einschätzung von OLG-Richter Panten anders war als in Altona

OLG-Richter Ralph Panten hingegen sagte, die Haspa habe durchaus auf den Fall in Altona reagiert. Der Bewegungsmelder sei gegen ein neues Modell ausgetauscht worden. Und das sei dann zwar auch abgeklebt worden, aber eben ganz anders. Der „passgenaue Aufkleber“ sei nicht vorne angebracht worden – denn dann hätte das Gerät Alarm geschlagen. Vielmehr sei der Melder „aufgebrochen“ worden, dann sei im Inneren eine Platine abgeklebt worden. Wie genau das vonstatten gegangen sei, habe die Polizei nicht klären können.

Panten betonte auch, dass es für Tresorräume eben keine allgemeingültigen Sicherheitsstandards gebe. „Das hat mich selbst überrascht“, sagte der Richter. Aber was den Bewegungsmelder anbetreffe, so habe dieser tatsächlich sehr hohen Standards entsprochen.

Die Forderung, die Haspa hätte den Tresorraum mit Kameras überwachen müssen, wies er ab. Dagegen spreche der Persönlichkeitsschutz der Kunden. Außerdem hätten Haspa-Mitarbeiter dann ja stets Stunden von Filmmaterial sichten müssen, das sei personell nicht darstellbar – so die Darstellung der Bank, der der Richter offenbar auch zuneigte.

Nicht zuletzt seien da räumliche und geografische Gegebenheiten, die den Norderstedter Fall eher zu einem Einzelfall machten. Die Norderstedter Filiale sei umgeben von Wohnungen, außerdem eine „relativ kleine Filiale in der Vorstadt.“ Das habe den Fall weniger vorhersehbar gemacht, beziehungsweise spreche dagegen, dass die Bank die Pflicht gehabt hätte, den Tresorraum mit noch weiteren Systemen zu sichern, wie etwa „Körperschallmeldern“, wie von Anwalt Hennemann gefordert.

Ein Gerichtsverfahren am Landgericht läuft noch

Eine weitere Verhandlung am Landgericht Hamburg läuft noch. Zwei weitere Haspa-Kunden, ebenfalls vertreten von Anwalt Jürgen Hennemann, hatten gegen die Bank geklagt. Um diese Fälle kümmert sich die Zivilkammer 2 unter Vorsitz von Richterin Katrin Schwarz. Die Kammer hatte die Sache bisher ähnlich gesehen wie die Kammer 30. Ein Urteil steht aber noch aus, es wird für Ende Dezember erwartet.