Hamburg. Schließfächer geplündert: Landgericht verurteilt Haspa zur Zahlung von 104.000 Euro. Bank geht in Berufung.
104.000 Euro – diese Summe soll die Hamburger Sparkasse an zwei Kunden bezahlen, deren Schließfächer im August 2021 in Norderstedt ausgeraubt wurden. Das besagt ein Urteil der Zivilkammer 2 des Landgerichts Hamburg, das am Mittwoch verkündet wurde. In einem Fall sollen 64.000 Euro gezahlt werden, im anderen rund 40.000 Euro. Das bedeutet: Nach Auffassung der Kammer unter Vorsitz von Richterin Katrin Schwarz sollten die Opfer des Einbruchs fast komplett entschädigt werden und nicht nur bis zu einer Höchstsumme von 40.000 Euro.
Die Freude dürfte bei den beiden Geschädigten indes eher gedämpft sein. Denn die Haspa wird „gegen beide Urteile noch heute Berufung einlegen“, sagte am Mittwoch Stefanie von Carlsburg, Sprecherin des Geldinstituts. Genauso war die Bank schon im Sommer 2023 verfahren. Damals ging es um ein anderes Verfahren am Landgericht, bei dem es ebenfalls um Entschädigungen nach dem Einbruch ging. Geklagt hatten drei weitere Geschädigte, zuständig war hier die Zivilkammer 30 unter Vorsitz von Richter Christoph Ruholl. Die entschied im Juni 2023, dass die Opfer komplett zu entschädigen seien.
Muss die Haspa zahlen? OLG und Landgericht haben ganz unterschiedliche Auffassungen
Die Haspa ging aber in Berufung, vor das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg. Und schon am ersten Verhandlungstag im November machte der Vorsitzende Richter Ralph Panten deutlich, dass seine Kammer die Sache ganz anders sieht. Das OLG, so zeichnet es sich ab, wird wohl im Sinne der Bank urteilen. Demnach bliebe es dann bei einer Entschädigung von höchstens je 40.000 Euro. Die Geschädigten müssten teils sechsstellige Summen verloren geben. Es war ein Schock für die Opfer, die nun teilweise ihre Altersvorsorge verloren geben müssen.
Interessant an dem Urteil vom Mittwoch ist, dass nun schon die zweite Zivilkammer des Landgerichts zu einer ganz anderen Einschätzung kommt als die OLG-Richter. Und Richterin Schwarz ließ sich offenbar auch nicht davon beeindrucken, dass das OLG signalisiert hatte, anders als Ruholl zu urteilen.
Rechtsanwalt Jürgen Hennemann, der in beiden Prozessen Geschädigte vertritt, sagte dazu am Mittwoch: „Wie bereits zuvor die Zivilkammer 30, hat nunmehr auch die Zivilkammer 2 des Landgerichts Hamburg entschieden, dass die Haspa ihren 650 geschädigten Norderstedter Kunden gegenüber Sorgfalts- und Obhutspflichten pflichtwidrig und damit schuldhaft verletzt hat. Damit stellt sich nun auch die Zivilkammer 2 – nach Kenntnis der vorläufigen Rechtsansicht des Hanseatischen Oberlandesgerichts – diametral gegen dessen gegenwärtige rechtliche Würdigung und folgt dieser zu Recht nicht.“
Streitpunkt: War der Tressorrraum in Norderstedt im August 2021 ausreichend gesichert?
Im Kern geht es um die Frage, ob der Haspa-Tresorraum in Norderstedt zum Zeitpunkt des Einbruchs ausreichend gesichert war. Das Landgericht Hamburg hatte dies im Juni verneint und eine „Pflichtverletzung“ gesehen. Ralph Panten, Vorsitzender Richter des zuständigen 13. Zivilsenats am OLG, sagte aber am November am ersten Prozesstag des Berufungsverfahrens: „Wir haben die deutliche Tendenz, anzunehmen, dass die Sicherung ausreichend gewesen sein könnte.“
Sicher ist: Der Einbruch war einer der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Jahre. Bisher unbekannte Diebe waren zwischen dem 6. und dem 9. August 2021 in eine Norderstedter Filiale der Haspa eingebrochen. Aus einer über der Filiale liegenden Wohnung waren sie mit einem Kernbohrer in den Tresorraum eingedrungen. Dort hatten sie mehr als 600 Schließfächer aufgebrochen. Gestohlen wurden Geld und Wertsachen, der Schaden liegt laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen zwölf und 40 Millionen Euro. Von den Tätern fehlt noch immer jede Spur.
Richter Ruholl im Juni 2023: Einbruchsversuch in Altona hätte Warnung sein müssen
Die Haspa hat alle Personen, denen damals etwas gestohlen wurde, bereits entschädigt. Allerdings mit der Höchstsumme von 40.000 Euro, wie dies auch die Verträge vorsahen. Die Höchstsumme wäre aber hinfällig, wenn eine „Pflichtverletzung“ vorliegen würde. Wenn also die Haspa das Eigentum der Kunden nicht richtig geschützt hätte. Zu dieser Auffassung kam am 29. Juni die Zivilkammer 30 des Landgerichts Hamburg.
Richter Christoph Ruholl urteilte damals, der Bewegungsmelder im Tresorraum sei eben kein ausreichender Schutz gewesen, die Diebe hätten ihn leicht ausschalten können. Ein Einbruchsversuch in Hamburg-Altona im Oktober 2020 hätte der Haspa eine Warnung sein müssen. Damals war es den Tätern gelungen, den Bewegungsmelder mit einem passgenauen Aufkleber auszuschalten.
Richter Panten im November 2023: Bewegungsmelder war besser als der in Altona
Der Bewegungsmelder in Norderstedt wurde daraufhin nach Angaben der Haspa zwar durch ein neueres Modell ersetzt. Aber auch der konnte offenbar auch durch einen Aufkleber aus dem Spiel genommen werden. Es hätte also zusätzliche Sicherungssysteme geben müssen, urteilte Ruholl. Ralph Panten sagte hingegen ein halbes Jahr später, der damals in Norderstedt verbaute Bewegungsmelder habe einen „Abdeckalarm“ und einen „Sabotagealarm“ gehabt, sei deshalb durchaus nicht so einfach zu überlisten gewesen wie das Modell in Altona.
- Haspa-Schließfach-Coup in Norderstedt: „Die Altersvorsorge ist weg!“
- Schließfach-Coup: Überraschende Wende vor Gericht
- Polizei Norderstedt - Haspa-Einbruch: Kommen die Täter ohne Strafen davon?
Was Jürgen Hennemann und Stefanie von Carlsburg über das Urteil sagen
Richterin Katrin Schwarz schloss sich nun der Auffassung ihres Kollegen Ruholl an. Anwalt Hennemann sieht sich dadurch bestätigt: „Damit hat eine weitere Spezialkammer für Bankrecht am Landgericht Hamburg durch Urteil entschieden, dass der Einsatz eines einzelnen Bewegungsmelders insbesondere in Ansehung der Bedrohungslage, der sich die Haspa bereits nach dem zuvor mit einem Kernbohrer in ihrer Altonaer Filiale erfolgten Einbruchsversuch ausgesetzt sah, keinesfalls ausreichend war. Vielmehr hätte die Haspa nach diesem Vorfall deutlich weitergehende Sicherheitstechnik verwenden und insbesondere die Außenhülle des Tresorraums, so die Zivilkammer 2, durch entsprechende Sensortechnik gezielt gegen Kernbohrerangriffe schützen müssen.“
Die Haspa sieht es, wenig überraschend, anders. Stefanie von Carlsburg sagte über das Urteil vom Mittwoch: „Hier wird im Wesentlichen die aus unserer Sicht unzutreffende rechtliche Argumentation der Zivilkammer 30 wiederholt. Mit diesen Urteilen hatte sich das Hanseatische Oberlandesgericht im Verhandlungstermin vom 22.11.2023 auseinandergesetzt und in seiner vorläufigen Einschätzung ausgeführt, dass es die Beurteilung des Landgerichts nicht teile und die Haspa ihren tresormäßigen Sicherungspflichten nachgekommen sei. Demgemäß ändern die heute ergangenen Urteile nichts an unserer Überzeugung, dass die Haspa ihren Pflichten nachgekommen ist und unsere Rechtsauffassung in der Berufungsinstanz bestätigt werden wird.“
Eventuelle Ansprüche von Geschädigten, die noch nicht klagen, sind ab 2025 verjährt
Nun werden also auch diese beiden Fälle das Oberlandesgericht beschäftigen. Und das wird sich wohl durch das Jahr 2024 ziehen. Im ersten Berufungsverfahren am OLG gibt es noch keinen zweiten Verhandlungstermin. Der werde aber immerhin „sicherlich im ersten Halbjahr 2024“ stattfinden, sagt Gerichtssprecher Dr. Kai Wantzen.
Für jene Geschädigten des Bankeinbruchs, die vielleicht noch gegen die Haspa klagen wollen, aber das bisher noch nicht getan haben, läuft derweil die Zeit ab. Sie müssen bis 31. Dezember 2024 Klage einreichen – anderenfalls wären ihre Ansprüche verjährt.