Niedersachsen. Politik unter Druck: Vertreter aus elf Landkreisen fordern von Bund und Land Maßnahmen zum Wolfsmanagement: „Sonst kippt die Stimmung!“

Die Frustration im ländlichen Niedersachsen über den Umgang der Bundes- und Landespolitik mit dem Thema Wolf ist groß. Die Raubtiere scheinen die Scheu vor den Menschen immer mehr zu verlieren, die Region erlebt so viele Risse von Nutztieren wie nie zuvor.

„Die Menschen in unseren Dörfern sind in großer Sorge. Wölfe laufen tagsüber durch die Straßen und bewegen sich direkt hinter Kindergärten – wie zuletzt in Wriedel“, sagt Heiko Blume, Landrat des Landkreises Uelzen.

Wolfsattacken im Hamburger Süden: In den Dörfern geht die Angst um

Auf Blumes Einladung hin haben sich am vergangenen Montag Vertreter aus elf Landkreisen aus Regionen mit einer besonders hohen Wolfspopulation mit Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) getroffen, um über das Wolfsmanagement zu sprechen und Resolutionen zu überreichen. Mit dabei waren auch Land- und Kreisräte aus den Landkreisen Harburg, Stade, Lüneburg und dem Heidekreis.

Vertreter aus elf Landkreisen aus Regionen mit einer besonders hohen Wolfspopulation haben sich mit Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Fünfter von rechts) getroffen.
Vertreter aus elf Landkreisen aus Regionen mit einer besonders hohen Wolfspopulation haben sich mit Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Fünfter von rechts) getroffen.

„In vielen Bundesländern sind Wolfsangriffe auf Weidetiere eine große Sorge der Tierhalter und verunsichern die Bevölkerung. In Niedersachsen ist er darüber hinaus eine Gefahr für über eine Million Menschen, weil er die Deichsicherheit gefährdet“, begründete Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), das Treffen mit dem Umweltminister. „Bisher lassen Bundes- und Landespolitik sich für Maßnahmen feiern, die alle vor Gericht scheitern.

In der Wolfsfrage „steht die Glaubwürdigkeit der Politik auf dem Spiel“

Das gilt auch für die vorgeblichen Abschusserleichterungen einzelner Problemwölfe durch Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht keinen Bestand hatten. Das kann so nicht weitergehen“, so Meyer weiter. Zwischen den Vertretern der Landkreise bestand Einvernehmen, dass angesichts des erreichten Erhaltungszustandes der früher gefährdeten Art nunmehr dringend Handlungsbedarf für eine aktive Wolfspolitik bestehe.

Auch die Herde des Harburger Schäfers Wendelin Schmücker war schon mehrfach von Wolfsrissen betroffen.
Auch die Herde des Harburger Schäfers Wendelin Schmücker war schon mehrfach von Wolfsrissen betroffen. © dpa | Philipp Schulze

„Bloße passive Schutzmaßnahmen wie Zäune für Schafherden und Entschädigungsleistungen nach Wolfsrissen reichen nicht mehr. Die niedersächsischen Landkreise erwarten von der Politik in Brüssel, Berlin und Hannover rechtssichere, praktikable Regeln für ein gezieltes Wolfsmanagement“, stellte Landrat Blume fest. Die Glaubwürdigkeit der Politik stehe auf dem Spiel. Bundesministerin Lemke und die Niedersächsische Landesregierung seien aufgerufen, endlich rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die nicht nur auf dem Papier stehen.

Landrat Kai Seefried nach dem Wolfs-Treffen „ziemlich frustriert“

„Es geht uns nicht um punktuelle Schnellabschüsse. Ein Bestandsmanagement setzt verlässliche Regelungen im Europäischen Recht voraus“, so Hubert Meyer. „Auf völliges Unverständnis stößt bei uns, dass die Bundesumweltministerin dem Vernehmen nach einen Vorstoß auf Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes auf europäischer Ebene blockiert. Wir erwarten von Bundesministerin Lemke, dass sie in Brüssel in dieser Frage nicht als Bremserin auftritt, sondern sich massiv für eine den Realitäten gerecht werdende Einstufung des Wolfes und damit für eine Herabstufung des Schutzstatus engagiert.“

Rund 2000 Menschen kamen kürzlich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Wolf und Weidetiere nach Wingst.
Rund 2000 Menschen kamen kürzlich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Wolf und Weidetiere nach Wingst. © Sabine Lepél | Sabine Lepél

Ernüchtert – oder nach eigenen Worten: „ziemlich frustriert“ – machte sich Stades Landrat Kai Seefried am Montagabend in Uelzen wieder auf den Heimweg. Sein Fazit: „Das Treffen mit dem Umweltminister hat kaum neue Erkenntnisse gebracht.“ Zwar sei sachlich und konstruktiv diskutiert worden, doch eine Lösung bleibe in weiter Ferne.

„Die Menschen vor Ort sind zutiefst verunsichert“

Die Stimmung sei angespannt, die Positionen seien schnell klar gewesen. Die einzige neue Information, die der Umweltminister zu bieten hatte: Die Verordnung zum Schnellabschuss sei fertig, doch die Verbandsbeteiligung liege erst einmal auf Eis. Ursprünglich hatte der Minister sie bei dem Treffen mit den Landräten präsentieren wollen.

„Wenn wir jetzt nichts tun, hat sich die Wolfspopulation in drei Jahren verdoppelt“, rechnet der Stader Landrat vor. Seefried findet deutliche Worte: „Das kann im Ernst niemand wollen. Schon jetzt ist jegliches Maß überschritten. Die Menschen vor Ort sind zutiefst verunsichert.“ Die gesellschaftliche Stimmung sei an einem Kipppunkt. Die Politik müsse Handlungsfähigkeit beweisen, alles andere wäre eine Steilvorlage für Extremisten und Demokratiefeinde, so Seefried.

Landrat Kai Seefried (links) und Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer bei einer Begegnung im Stader Kreishaus.
Landrat Kai Seefried (links) und Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer bei einer Begegnung im Stader Kreishaus. © HA | Sabine Lepél

Auch in den Landkreisen im Hamburger Umland verbreitet die zunehmende Wolfspopulation in Niedersachsen, die das Umweltministerium auf 400 bis 600 Wölfen beziffert, Angst und Schrecken bei Mensch und Tier: So wurden seit Jahresbeginn bei Angriffen durch Wölfe alleine im Landkreis Cuxhaven mehrere Dutzend Schafe verletzt oder getötet.

Inzwischen laufen Wölfe durch Wohnsiedlungen und Obstplantagen

Seit Wochen kursieren im Alten Land Fotos und Videos, die einen Wolf zeigen, der den Kontakt zur Wohnbebauung sucht, durch Gärten und Obstplantagen schleicht und sich auch Obstbauern auf Traktoren nicht verscheuchen lässt, sondern sie minutenlang bei ihrer Arbeit verfolgt.

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In Kranenburg an der Oste, wo im Sommer bei einem einzigen Wolfsangriff 53 Schafe getötet wurden, läuft ein Wolfsrudel täglich durch ein Neubaugebiet, wie die örtliche Bürgermeisterin jüngst beklagte. In der Nähe des Ortes sind kürzlich wieder fünf Schafe nach einem Wolfsangriff auf eine Herde getötet worden.

Bei Jesteburg wurde ein Rind von einem Wolf gerissen

Im Landkreis Stade gab es bereits im vorigen Herbst eine Serie von Rissen in Kehdingen, an der Oste und vor den Toren Stades. Inzwischen ist auch das Alte Land betroffen: Auf der Jorker Elbinsel Hahnöfersand, auf der die Hansestadt Hamburg eine Justizvollzugsanstalt betreibt, waren im März sieben Deichschafe nach einer Wolfsattacke getötet worden, vier wurden verletzt, zwei blieben verschollen.

Auch die Fälle, die das Umweltministerium seit Jahresbeginn für das Harburger Kreisgebiet veröffentlich hat, sind erschreckend: In Asendorf bei Jesteburg wurde ein Rind gerissen, in Meilsen bei Buchholz fielen dem Wolf vier Schafe zum Opfer. Auch im Raum Hollenstedt gab es jüngst Risse: In Wenzendorf starb ein Schaf, drei weitere wurden verletzt, im Appeler Ortsteil Grauen wurde ein Schaf getötet. In Neu Wulmstorf-Elstorf wurde ein getötetes Schaf gefunden, ein weiteres ist verschollen.