Landkreis Stade. Attacken in Stade und Harburg: Krisensitzung hinter verschlossenen Türen. Für wie viele Angriffe ist Wolf GW1582m verantwortlich?
Mehrere Wolfsangriffe haben in den vergangenen Wochen die Weidetierhalter und Anwohner im Landkreis Stade und im Landkreis Harburg in große Sorge versetzt. Erst die Wolfsattacke in Gräpel im Landkreis Stade, bei der 55 Schafe getötet wurden, dann ein Angriff auf eine Schafherde in Döhle im Landkreis Harburg, bei der über 20 Tiere in der Nähe eines Wohngebiets gerissen wurden. Und zuletzt eine tödliche Attacke auf Rinder im Stader Stadtgebiet, die vermutlich auch auf das Konto eines Wolfs geht – all dies sorgte in den vergangenen Wochen für Aufsehen.
Vor diesem Hintergrund hatte Stades Landrat Kai Seefried den niedersächsischen Umweltminister Christian Meyer (Bündnis 90/Die Grünen) um einen Besuch im Landkreis Stade gebeten, damit er sich vor Ort selbst ein Bild machen könne. Der Minister kam dieser Bitte an diesem Freitag nach – doch anders, als es sich Seefried und die Menschen im Landkreis Stade erhofft hatten.
Minister lehnt Vorschlag ab, betroffene Tierhalter zu besuchen
Denn das Ministerium lehnte nach Seefrieds Angaben den Vorschlag des Landrates ab, zu einem der betroffenen Weidetierhaltern zu fahren und dort das Gespräche mit Landwirten, Schäfern und Jägern zu suchen. Stattdessen gab es ein Treffen hinter verschlossenen Türen im Kreishaus in Stade, an dem Vertreter von Jägerschaft, Landvolk, Deichverband und der Kommunen, die von den jüngsten Wolfsattacken betroffen sind, teilnahmen – darüber hinaus Abgeordnete aus der Region.
Die Medien wurden erst im Anschluss des nicht einmal eine Stunde dauernden Gesprächs bei einer Pressekonferenz mit dem Minister über den Verlauf des Treffens informiert.
„Wenn ich auffällig viele Risse habe, muss es möglich sein, beliebig viele Wölfe abzuschießen.“
Dabei wiederholte Meyer seine Forderung nach einem regional differenzierten Bestandsmanagement für Wölfe. „Die jüngsten Vorfälle im Landkreis Stade und im Landkreis Harburg zeigen, dass EU und Bund den Ländern endlich ein regional differenziertes Bestandsmanagement ermöglichen müssen“, sagt Umweltminister Christian Meyer. „Wir haben als Land unsere Vorarbeiten im Dialogforum mit Umwelt- und Agrarverbänden geleistet und brauchen jetzt schnell eine bessere und unbürokratischer Handhabe, um in Regionen mit hohen Nutztierschäden trotz gutem Herdenschutz unabhängig von der konkreten Identifizierung von Problemwölfen handeln zu können.“
Man müsse zeitlich befristet zu einer schnelleren Entnahme – also zu einem genehmigten Abschuss – kommen können, so Meyer. „Darunter verstehe ich, dass wir nicht erst eine konkrete DNA-Probe abwarten müssen. Wenn ich in einer Region Risse habe, die auffällig sind, muss es möglich sein, beliebig viele Wölfe abzuschießen.“
Bisher genießen Wölfe einen hohen Schutzstatus. Aber wie lange noch?
Bisher genießen Wölfe einen hohen Schutzstatus, sowohl nach Bundes- als auch nach EU-Recht. In einigen Regionen wird aber angezweifelt, ob der Schutzstatus aufgrund größerer Populationen noch gerechtfertigt ist. Meyer taxierte die Anzahl der Wölfe in Niedersachsen auf „500 bis 600“. Zum Vergleich: In ganz Schweden, wo Wölfe bejagt werden können, zählt man seit mehreren Jahren stabil knapp 400 Wölfe.
„90 Prozent der Wölfe in Niedersachsen sind unauffällig. Wir haben im Moment sechs Problemrudel im Land“, sagte Meyer. Im Gespräch mit dem Abendblatt nahm er die Jägerschaft im Landkreis Stade in die Pflicht: „Laut Monitoring gibt es hier gar kein Wolfsterritorium. Ich fordere die örtliche Jägerschaft auf, Wolfssichtungen konsequent zu melden.“
Minister verspricht mehr Geld für den Herdenschutz
Statt der häufig geforderten Obergrenzen für die Wolfspopulation in Deutschland forderte Meyer in Stade eine Untergrenze, die den Bestand der Wölfe sichert und sie vorm Aussterben schützt, die aber auch Grundlage für eine gezielte Entnahme wäre. „Klar ist aber auch, dass der Wolf in Niedersachsen bleiben wird, daher ist ein guter Herdenschutz weiter wichtig“, so Meyer, der auch bei diesem Thema Verbesserungen versprach, indem mehr Geld für den Herdenschutz zur Verfügung gestellt und die Regeln dafür entbürokratisiert werden sollen.
Gerade in Regionen wie dem Landkreis Stade, wo die Weidetierhaltung auf den Deichen so immens wichtig für den Küstenschutz sei, wolle das Ministerium die Halter besonders unterstützen. Allerdings könnte der durch das Land geförderte Schutz durch Zäune nicht auf Rinder oder Pferde ausgeweitet werden, so der Minister. Das wäre nicht finanzierbar: „Wir haben errechnet, dass uns das etwa 1,4 Milliarden Euro für alle Rinder und rund 600 Millionen Euro für alle Pferde im Land kosten würde.“
Landrat Seefried erneuert Forderung, Wolfspopulation in Niedersachsen stärker zu regulieren
Landrat Seefried erneuerte seine Forderung, die Wolfspopulation in Niedersachsen stärker zu regulieren. „Ohne ein wirksames Bestandsmanagement wird es auf Dauer keine Weidetierhaltung im Landkreis Stade mehr geben. Für unsere Küstenregion geht es damit vor allem auch um den Küstenschutz, der ohne Schafe in Gefahr gerät“, so der Landrat.
Er gab bekannt, dass er nach den aktuellen und mehrfachen Wolfsübergriffen auf Nutztiere im Landkreis Stade und im Nachbarkreis Rotenburg einen Abschussantrag für den Wolf GW1582m gestellt hat, dessen DNA bei den Rissen in Gräpel identifiziert wurde und der wahrscheinlich an weiteren Risse in der Nähe beteiligt war. Leider ließen die DNA-Proben auf sich warten, so Seefried. Mittels dieser Proben muss nach aktueller Rechtslage bewiesen werden, dass ein Wolf mindestens zweimal an Angriffen auf Nutztiere beteiligt war, bevor ein Abschuss genehmigt werden kann.
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Während Umweltminister Meyer das Gespräch im Stader Kreishaus als „konstruktiv“ bewertete, zeigten sich viele Beteiligte enttäuscht über das Ergebnis. „Die Menschen im Landkreis wollten vom Minister Antworten auf die Situation hier. Die haben sie nicht erhalten“, sagte Helmut Dammann-Tamke, Präsident des Deutschen Jagdverbandes mit Wohnsitz im Landkreis Stade.
„Ich habe mehr Konkretes erwartet“, sagte auch Peter Hatecke, Vorsitzender der Jägerschaft im Landkreis Stade, und präsentierte ein Foto von einem der in Stade attackierten Rinder, dem bei lebendigem Leib große Stücke Fleisch aus dem Körper gerissen wurden und das anschließend von einem Tierarzt getötet werden musste. „Was hier durch die uneingeschränkte Ausbreitung der Wölfe geschieht, ist staatlich genehmigte Tierquälerei“, sagte Hatecke. „Und bis zum nächsten Riss dauert es gewiss nicht mehr lange.“